Handy-Auswertung war rechtswidrig

Bundesverwaltungsgericht lehnt Revision des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ab

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sieht das regelmäßige Auslesen von Mobiltelefonen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht vom Gesetz gedeckt. Die bei fehlenden Pässen oder Passersatzpapieren übliche Auswertung digitaler Datenträger erfolge ohne hinreichende Berücksichtigung sonstiger vorliegender Erkenntnisse und Dokumente, argumentierten die Richter. Auch die Anordnung gegenüber der Klägerin, Zugangsdaten für ihr Mobiltelefon zur Verfügung zu stellen, ist demnach rechtswidrig.

Das Gericht gab damit der Klage einer 44-jährigen Frau aus Afghanistan statt, die zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vor zwei Jahren gegen die Handy-Auswertung vor das Verwaltungsgericht in Berlin gezogen war. Schon das Berliner Gericht hielt die Maßnahme für rechtswidrig. Weil die Praxis die Grundrechte Tausender Geflüchteter auch in anderen Bundesländern betrifft und die Rechtssache deshalb grundsätzliche Bedeutung hat, hatte das Verwaltungsgericht mit Einverständnis der GFF die Sprungrevision zur obersten Instanz zugelassen. Diese Revision des BAMF wurde nun vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.

Beim Auslesen der Mobiltelefone von Asylsuchenden erstellen die Behörden eine Kopie von darauf befindlichen Inhalten und werten diese aus. Die Maßnahme soll die Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit ermöglichen, wenn die Antragsteller keinen gültigen Pass oder Passersatz vorweisen können. Auch Ausländerbehörden dürfen die Datenträger von Personen ohne Papiere durchsuchen, um das Zielland einer Abschiebung zu ermitteln.

Die Behörden prüfen, ob im Adressbuch oder bei Anrufen und Nachrichten häufig Ländervorwahlen vorkommen, die dem in der Anhörung genannten Heimatland entsprechen. Auch besuchte Webseiten werden nach derartigen Länder-Endungen durchsucht. Aus Fotos und auf dem Telefon installierten Apps extrahiert das BAMF Geodaten, in denen der jeweilige Aufenthaltsort gespeichert ist. Außerdem werden die Login-Namen verschiedener Apps aufgelistet.

Um »Asylmissbrauch« zu verhindern und Ausreisepflicht durchsetzen zu können, hatte der Bundestag 2017 das Asylgesetz verschärft und die gesetzliche Grundlage für die Handy-Auslesungen geschaffen. Demnach müssen die Erstantragstellenden ohne Pass oder Passersatz vorhandene Mobiltelefone herausgeben. Wird die im Gesetz geforderte Pflicht zur Mitwirkung verweigert, können entweder Leistungen gekürzt oder ein Asylantrag sogar als zurückgezogen angesehen werden.

Mit Stand August 2022 hatten nach Angaben des Bundesinnenministeriums im vergangenen Jahr 30,6 Prozent der Asylsuchenden bei der Antragstellung angegeben, dass sie über ein »Datenträger-Gerät« verfügen, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Clara Bünger. Zwangsmaßnahmen zu deren Herausgabe seien aber »bisher keine angedroht oder durchgeführt« worden.

80 Prozent aller erlangten Geräte konnten »technisch ausgelesen werden«, so das Ministerium. Demnach seien technische Probleme »meist beim Anschließen älterer mobiler Datenträger« aufgetreten, etwa wenn USB-Anschlüsse an den Geräten fehlten.

Kommen die Antragsteller der Aufforderung zur Herausgabe des Passwortes nicht nach, kann gemäß Paragraf 15a des geänderten Asylgesetzes in Verbindung mit dem Aufenthaltsgesetz von den zuständigen Telefon- oder Internetfirmen die Übermittlung von Zugangsdaten verlangt werden. Das ist dem BAMF sogar bei Geräten von Kindern erlaubt. 

Eigentlich darf das BAMF die Handy-Auswertung aber nur als letztes Mittel einsetzen, vorher sollen die Entscheider mit gezielten Fragen zum Herkunftsland und -ort in der Asylanhörung Zweifel an der Identität ausräumen. Das bestätigt nun auch das Gericht in Leipzig.

Besonders wirksam ist die eingriffsintensive Maßnahme ohnehin nicht. Bis zum August hatte das BAMF im vergangenen Jahr über 16 000 Datenträger ausgelesen, hauptsächlich von Menschen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Bei rund 4 Prozent der Betroffenen sei die Identität angeblich widerlegt worden.

»Das Urteil ist ein großer Erfolg für den Datenschutz von Geflüchteten«, kommentiert die Juristin und Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht, Lea Beckmann. »Es ist klar rechtswidrig, dass das BAMF Handydaten auf Vorrat auswertet. Das muss jetzt aufhören.«

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