Wagenknecht und Schwarzer locken Tausende zum Brandenburger Tor

Polizei spricht von 13 000 Teilnehmer*innen auf Kundgebung für Frieden / Wagenknecht warnt vor »Abnutzungskrieg« in der Ukraine

Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (l.) und Sahra Wagenknecht (Linkspartei) bei der Demonstration auf der Bühne
Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (l.) und Sahra Wagenknecht (Linkspartei) bei der Demonstration auf der Bühne

Ilsegret Fink beklagte sich über die massiven Polizeisperrungen. Als Frau in ihren Neunzigern kam sie am Samstag nicht durch die Sperrung am Brandenburger Tor und musste mit Krücke einen kurzen Umweg nehmen. Finks Ziel: die Demonstration »Aufstand für den Frieden« im Zentrum von Berlin, zu der ein Bündnis um die Linken-Politikrin Sahra Wagenknecht und die Alt-Feministin Alice Schwarzer aufgerufen hatte. Überall standen Polizisten vor ihren Autos. Schneeregen und Temperaturen um 0 Grad Celsius machten nicht nur ältere Bürger*innen wie Ilsegret Fink zu schaffen.

Die Menschen kamen zum Brandenburger Tor, um gegen die Eskalierung des Krieges in der Ukraine zu demonstrieren. Die Polizei sprach von 13 000 Demonstranten, die Organisatoren von 50 000 und behaupteten, dass die Beamt*innen absichtlich die Zahlen untertrieben. Die Beweggründe der Teilnehmer*innen, Polizei und Wetter zu trotzen, waren unterschiedlich. Der politische Hintergrund war es zum Teil auch.

Martha aus dem Berliner Wedding beispielsweise trug ein Schild, auf dem »mit AfD und Co. kein Frieden« stand. All zu oft in ihrem Alltag erlebe sie nach eigenen Angaben, dass eine Positionierung für den Frieden heutzutage als rechts gilt. Sie wollte deswegen eine starke linke Präsenz am Brandenburger Tor, erklärte sie.

Und die war auch sichtbar. Viele Slogans und Fahnen stammen aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Gezeigt wurden außerdem Transparente der Linkspartei. Viele Parteimitglieder schienen den Weg in die Hauptstadt angetreten zu haben. So wie Till aus Hessen. Er kam, um für eine »so grundsätzliche Sache wie Frieden« zu demonstrieren. Philipp aus Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern fuhr nach Berlin, weil bei ihm zu Hause die Friedensaktivitäten vor allem von rechts organisiert werden. Auch er positioniert sich links.

Dass auch Rechte dem Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer gefolgt waren, war offensichtlich. Schließlich hatten bereits Rechte das von Wagenknecht und Schwarzer initiierte »Manifest für Frieden« unterzeichnet. Einer von ihnen war AfD-Chef Tino Chrupalla. Den Verfassern des Manifests wurde dann auch der Vorwurf gemacht, sich nicht ausreichend ausreichend von rechts abzugrenzen. Nach Parteiangaben sind zahlreiche Mitglieder der AfD vor Ort gewesen. Auch der Landesvorsitzende aus Sachsen, Jörg Urban, sei gekommen. Unter den Teilnehmer*innen befand sich auch der extrem rechte Videoblogger Nikolai Nerling. Es gab Sprechchöre »Nazis raus«, die die Reden auf der Tribüne teilweise gestört haben.

Ukrainische Queer-Aktivist*in: "Das Manifest für Frieden ist naiv."

Zum Tumult auf der Demonstration kam es, als Demonstrant*innen eine Gruppe um den »Compact«-Chefredakteur Jürgen Elsässer vom Platz drängen wollten. Elsässer gehörte einst selbst zur politischen Linken, eher er die Seiten gewechselt hat. Heute gibt es eine Nähe zum AfD-Rechtsaußen Björn Höcke.

Lesen Sie auch das Pro und Kontra zum Manifest für den Frieden von Christian Klemm und Simon Poelchau.

Auf der Bühne am Samstagnachmittag forderte Wagenknecht einen Stopp von Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine. Es gehe darum, »das furchtbare Leid und das Sterben in der Ukraine zu beenden«, so die Politikerin. Zugleich gehe es darum, Russland ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten, »statt einen endlosen Abnutzungskrieg mit immer neuen Waffen zu munitionieren«. Wagenknecht vertrat dadurch die Stoßrichtung des Manifests das sich unter anderem für Verhandlungen mit Moskau stark macht.

[embed url=»https://twitter.com/ndaktuell/status/1629503808698044416«]

Der frühere General Erich Vad, einer der Erstunterzeichner des Manifests, stieß in das gleiche Horn wie Wagenknecht. Er forderte »ein Ende der Kriegsrhetorik in Deutschland«, einen Ausstieg aus der militärischen Eskalation und den baldigen Beginn von Verhandlungen. »Es ist naiv zu glauben, man könne Russland militärisch ohne Nuklearkrieg besiegen.«

Alice Schwarzer wertete die Demonstration am Abend als »gewaltigen Erfolg«. »Da waren einfach Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die aus allen Ecken Deutschlands angereist waren, um ein Zeichen zu setzen.« Als am Ende »Imagine« von John Lennon gespielt worden sei, hätte sie am liebsten auf der Bühne getanzt.

Denn der Krieg in der Ukraine wird sehr wahrscheinlich noch eine ganze Weile weitergehen. Schwarzer hat also noch genügend Gelegenheiten, ihre Fähigkeiten auf dem Parkett unter Beweis zu stellen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal