EU-Staaten gegen zivile Seenotrettung

Von Organisationen betriebene Schiffe sollen höhere Vorgaben zur Verkehrssicherheit erfüllen

Die »Sea-Watch 3« und zwei Rettungsboote trainieren einen Einsatz im Mittelmeer.
Die »Sea-Watch 3« und zwei Rettungsboote trainieren einen Einsatz im Mittelmeer.

Zusammen mit der EU-Kommission und Frontex wollen die EU-Mitgliedstaaten die zivile Seenotrettung im Mittelmeer stärker an die Kette legen. Hierzu haben die Akteure aus Brüssel und Warschau eine »Kontaktgruppe für Suche und Rettung« wiederbelebt. Sie wurde nach einer Empfehlung der Kommission im Frühjahr 2021 eingerichtet, hatte aber nur zwei Mal getagt. Auch die Schengen-Staaten Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein nehmen daran teil.

Nach gut eineinhalb Jahren Pause hat sich »Kontaktgruppe« am vergangenen 31. Januar wieder getroffen. Auf dieser Sitzung forderte die Kommission die Mitgliedstaaten auf, »gemeinsam Überlegungen anzustellen«, wie die privaten Seenotretter reglementiert werden könnten. Daran sollte sich dem Vorschlag zufolge auch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) beteiligen. So steht es in der nun vorliegenden Antwort der Kommission auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Abgeordneten Özlem Demirel.

Die Einbindung der für die maritime Sicherheit zuständigen Sonderorganisation der Vereinten Nationen hatte die Kommission bereits im November in ihrem »Aktionsplan für das zentrale Mittelmeer« angeregt. Demnach sollten die Mitgliedstaaten und die Kommission mit der IMO die Frage behandeln, »ob ein spezifischer Rahmen und spezifische Leitlinien für Schiffe mit dem Schwerpunktthema Such- und Rettungsaktionen erforderlich sind«.

In der Beschreibung der »Kontaktgruppe für Suche und Rettung« heißt es, dass man sich »mit allen einschlägigen Interessenträgern« austauschen solle. Explizit genannt werden »Eigentümer oder Betreiber von Schiffen« für Such- und Rettungsaktionen. Keine im Mittelmeer tätige Organisation wurde jedoch zu einem der bislang drei Treffen eingeladen. Stattdessen nutzten die beteiligten Staaten das Gesprächsformat, um neue Verabredungen zur Behinderung dieser zivilen Organisationen zu treffen.

Auf ihrem zweiten Treffen im Juni 2021 vereinbarte die »Kontaktgruppe«, dass die Flaggenstaaten verstärkt auf die Einhaltung von Sicherheitsanforderungen pochen sollen. Dies hatte die EU-Kommission bereits ein Jahr zuvor in ihren Empfehlungen angeregt. Dort heißt es, dass die zivilen Rettungsschiffe »im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« hohe Vorgaben unter anderem zum Gesundheitsschutz erfüllen sollen.

Eine solche Reglementierung hatte das deutsche Verkehrsministerium schon 2019 unter Andreas Scheuer (CSU) mit einer Änderung der Schiffssicherheitsverordnung versucht. Damals sollten die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe nicht mehr zum Freizeitbereich gezählt, sondern als kommerzielle Schiffe eingestuft werden und die hierfür geltenden, strengen Voraussetzungen an Arbeitsschutz und Bezahlung erfüllen. Erst eine erfolgreiche Klage der Seenotrettungsorganisation Mare Liberum konnte das Ansinnen stoppen.

Nun unternehme das Bundesverkehrsministerium einen erneuten Versuch, diesmal unter Minister Volker Wissing (FDP), berichtet das ARD-Magazin Monitor. Der Vorstoß erfolgt offenbar abgestimmt mit den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission. Denn Wissings Ministerium nimmt ebenfalls an der »Kontaktgruppe für Suche und Rettung« teil. Außerdem entsenden das Außenministerium und das Innenministerium Vertreter dorthin.

Der Entwurf zur Änderung der Schiffssicherheitsverordnung sehe abermals eine Verengung der Definition des »Freizeitzweckes« vor, erklären sieben in Deutschland ansässige Seenotrettungs- und Beobachtungsorganisationen in einer Pressemitteilung. Die humanitäre Beobachtung oder Seenotrettung würde demnach der kommerziellen Schifffahrt gleichgestellt und so dem Erfordernis eines Schiffssicherheitszertifikats unterworfen. Dies würde erhebliche neue Anforderungen an die Konstruktion und Ausrüstung mit sich bringen, kritisieren die Organisationen. Sie rechnen zudem mit aufwändigen Besichtigungen und technischen Überwachungen ihrer Schiffe. Dem Verordnungsvorschlag zufolge sollen die Vorgaben nunmehr auch für Schiffe ab 24 Meter Länge gelten, diese Grenze lag zuvor bei 35 Metern.

»Für die Mehrheit der zivilen Seenotrettungsschiffe unter deutscher Flagge wird diese Verordnung bedeuten, dass sie ihre lebensrettende Arbeit einschränken oder einstellen müssen«, schreiben die Seenotretter. Die Umsetzung dieser Änderungen bedeute auch einen Bruch des Koalitionsvertrags, wonach die zivile Seenotrettung nicht behindert werden dürfe.

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