Vertrauen ist gut, Immigration ist besser

Zwischen Russland, Deutschland und den USA

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 3 Min.

Liebe Leser*innen, mögen Sie eigentlich Russen? Kein Problem, wenn nicht, denn ich habe meine russische Staatsbürgerschaft gerade abgegeben. Genau, Texas-Talke wurde einst im sowjetischen Leningrad geboren und wuchs dann in Perestroika-Piter auf. Der Abgabeprozess meines russischen Passes dauerte fast so lang wie das Bestehen der Berliner Mauer. Denn während man die deutsche Staatsbürgerschaft trotz tadellosen Benehmens einfach so verlieren kann, und zwar nicht, weil man aufgehört hat, zu recyceln oder dem Gegenüber beim Prosten in die Augen zu schauen, sondern weil man sich zum Beispiel für den US-amerikanischen Pass bewirbt und versäumt, das deutsche Konsulat zuvor davon zu unterrichten – so ist es bei den Russkis andersrum: Die lassen einen nicht gehen, ganz egal, ob man aufgehört hat, Mayo-Salate zu mögen oder zu Hause Tapotschki zu tragen. Mütterchen Russland will Kontrolle statt Vertrauen, egal wie weit weg die Kinderchen sind.

Ich immigrierte zwar im Alter von neun Jahren nach Deutschland, musste aber dem russischen Konsulat trotzdem beweisen, dass ich niemals – weder in Russland noch in der Sowjetunion – Steuern hinterzogen habe. Der Vorgang war mir zu lästig, und so tat ich, was jede osteuropäische Frau tut: Ich zwang meinen Vater, sich um die zahllosen Dokumente zu kümmern. Und während der russische Krieg in der Ukraine begann, fragte ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen würde, wenn ich weiterhin in Sankt Petersburg leben würde. Klar, ich würde auch dort Kleider und hohe Absätze tragen und meine Haare hellblond färben und meinen Mann zwingen, mich pausenlos zu fotografieren. Aber würde ich auch protestierend auf die Straße gehen und mein Leben riskieren? Oder würde ich feige von meinem iPhone aus den Westen beschimpfen, meinen Caffè Latte mit der Alpro-Hafermilch schlürfend?

Glücklicherweise werde ich das nie erfahren, denn im Jahr 1996 zwang meine Mutter meinen Vater, abzuhauen. 26 Jahre später verabschiedete ich mich (mit Papas Hilfe) formell von den letzten Spuren meiner Herkunft. Ich habe nämlich – abgesehen davon, dass ich diesen elenden Krieg verdamme – nichts mehr mit Russland zu tun. Ich mag keine Propaganda, keinen Wodka, keine Korruption, lehne die orthodoxe Kirche ab und lege kein Gemüse ein. Ich mag französisches Essen, italienische Designer, den amerikanischen Lifestyle … wie jede andere Russin, verdammt. Diese frühkindlichen Geschmacksnerven werden mich wohl bis an mein Lebensende verfolgen, das ist Mütterchens Strafe dafür, dass ich Politik boykottiere.

Diese doppelte Immigration Deutschland/USA stellte allerdings Verrücktes mit meiner Persönlichkeit an. In Deutschland war ich trotz akzentfreiem Deutsch und relativ nordischem Aussehen immer »die Russin«. Doch als ich nach Amerika zog, wurde die kartoffelige, knauserig-korrekte Deutsche aktiviert: Ich bin die Einzige in meinem Freundeskreis, die überall Licht ausmacht, während bei den Amis der Fernseher im Garten läuft; die lüftet, statt die Ventilatoren in jedem Zimmer aufzudrehen; die diesen Wust an Plastiktüten wiederverwendet und die trotz Einparkservice nach kostenlosen Parkplätzen sucht, weil man ja sonst Trinkgeld geben müsste. Galt ich in Deutschland als auffällig und modebewusst, so bin ich nun ein grauer Birkenstock zwischen all den braun gebrannten, konturierten und modellierten US-Südstaaten-Ladies.

Vielleicht musste ich wieder auswandern, um zu wissen, was ich an Deutschland hatte – die Teigwaren, die eingehaltenen Regeln, die Schlösser und Burgen, das Krankenkassensystem, die öffentlichen Verkehrsmittel, das Sicherheitsgefühl, das Bier. Doch all das Schwärmen hilft nichts, meine neue Heimat sind die USA, und jetzt geht es darum, sich in Texas zu assimilieren – »Brisket« essen, Cowboyboots im Supermarkt tragen, ständig lächeln und zu allen freundlich sein. Easy! Und was mir nicht zusagt am American Way of Life, das lasse ich mit Verweis auf europäische Exzentrik sein.

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