»Ich durfte Olaf Scholz interviewen«

Die Affäre um Linda Zervakis und den Bundeskanzler – peinlicher geht’s nimmer

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 6 Min.

Unverfälschte Interviews mit dem regierenden Personal gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Die jeweilige PR-Abteilung der Befragten stutzt und glättet und streicht mitunter so sehr am Gesagten herum, dass kaum noch Ecken und Kanten, geschweige denn eigene Positionen zu erkennen sind. Mitunter reißt dann sogar einer Redaktion die Hutschnur und lässt ein solch überarbeitetes Interview im Papierkorb verschwinden. Eine redliche Entscheidung zwar, doch wer arbeitet gern umsonst?

Und was im Fernsehen gesendet wird, ist schon lange nicht mehr »live«. Aus technischen oder terminlichen Gründen, heißt es dann immer, sei das Interview zuvor bereits aufgenommen worden. Warum? Weil nur ja keine verunglückten und unbedachten Äußerungen der Befragten durchrutschen mögen und solche verplapperten Passagen rechtzeitig, also vor der Ausstrahlung, gelöscht werden können. So ist das Geschäft, so lautet die Verabredung zwischen Mächtigen und ihren doch eigentlich – versprochen! – kritischen Beobachtern mittlerweile. Auch dies eine Unsitte.

Die Abhängigkeiten zwischen Macht und Berichterstattung sind also schon undurchsichtig genug, zumal in der Berliner Hauptstadtblase, die sich wie eine Waschmaschine stets um sich selbst dreht. Dass aber nun herauskommt, wie und wofür Journalist*innen aus Ministerien und sogar dem Kanzleramt bezahlt werden, macht diese Beziehungsgeflechte noch unappetitlicher.

Zunächst kam heraus, dass die Fernsehmoderatorin Linda Zervakis für ein Gespräch mit dem Bundeskanzler auf offener Bühne nicht von den Veranstaltern engagiert worden sei, sondern vom Bundeskanzleramt. Olaf Scholz selbst ließ Linda Zervakis bestellen, nur dann wäre er bereit zu kommen. Zudem wurden die sogenannten Auslagen der Moderatorin vom Bundeskanzleramt übernommen. »Kostenpauschale«, nannte sich das, eine Summe von 1130, 50 Euro wurde vom Bundeskanzleramt – auf Nachfrage – bekannt gegeben.

»Im Dienste ihres Kanzlers«, hatte die Überschrift in der linksliberalen »Taz« gelautet. Eine Recherche, gegen die die Moderatorin zunächst presserechtlich vorgehen ließ. Dieses juristische Schwert ließ sie dann freilich, wegen Aussichtslosigkeit, rasch wieder fallen. Mit solchen harten Bandagen wird auf privilegierten Etagen umgehend vorgegangen, um zu bluffen, einzuschüchtern und mundtot zu machen. Auch dies eine Frage der Macht.

Dann sickerten eine Woche später neue Details durch. 2022 soll Linda Zervakis insgesamt 12 000 Euro vom Bundeskanzleramt überwiesen bekommen haben. Darunter ein weiterer Auftritt, eine weitere Moderation mit dem beziehungsweise für den Bundeskanzler. Und sogar schon während ihrer Zeit in der gebührenfinanzierten ARD flossen Summen an die Moderatorin aus dem Regierungszentrum. Ein Fall von Habgier und Unseriosität.

Dass diese Abhängigkeiten ausgerechnet durch eine Anfrage der rechtsradikalen AfD im Bundestag offenbar wurden und nicht liberale Medien (oder Parteien) auf diesen Trichter kamen – ein weiteres Armutszeugnis für den gewöhnlichen, offenbar zu regierungsnahen Journalismus (und die davon profitierende Politikerklasse). Ein Gewöhnungseffekt? Eine Prise schlechtes Gewissen? Verschleierung aber dient nicht den Geheimniskrämern, sondern jenen, die sie aufdecken.

So ist das, wenn Leute aus kleinen, armseligen Verhältnissen Lunte riechen. Jeder Skrupel wird abgelegt, jeder Gedanke ans eigene Tun unterlassen, Hauptsache, der Wohlstand brummt, völlig egal, wer dafür bezahlt. Unrechtsbewusstsein? Natürlich nicht. Die übliche Antwort: Steht ihnen alles zu. So wie das beispielsweise auf der anderen Seite unschwer am Wesen von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD, 78) zu erkennen ist.

Linda Zervakis kam 1975 als Tochter griechischer Gastarbeiter in Hamburg zur Welt. Über die ärmlichen Jahre im Kiosk ihrer Eltern hat sie in einem launigen Büchlein berichtet. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr habe sie selbst im Kiosk Schnaps, Bier und Süßigkeiten verkauft. Als Migrantenkind lernte sie Alltagsrassismus kennen und die Parallelwelt steinreicher Hanseaten. Diese Welt scheint nun offenbar erstrebenswert für die ehrgeizige Moderatorin zu sein. Ihre Karriere im Schnelldurchlauf: Abitur, Praktikum bei einer Werbeagentur, Volontärin und Redakteurin beim Hörfunk und Fernsehen, ab 2013 dann Nachrichtensprecherin im Hauptprogramm der ARD.

Dass Zervakis 2021 im Privatfernsehen gelandet ist und nicht mehr die »Tagesschau« im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen moderiert, passt zu diesem Geschäftssinn. Im Privatfernsehen wird besser bezahlt. Die Werbeindustrie besorgt die Inhalte, die Abhängigkeiten sind eindeutig. Die Verabredung: Auf Gesichter kommt es an, nicht auf den Inhalt. Gekaufte Berichterstattung also oder reine Unterhaltung.

Ganz herzig klingt nun die Rechtfertigung von Linda Zervakis. »Ich habe mich zu keiner Zeit von irgendeiner Seite vereinnahmen lassen und werde diesen Weg auch fortsetzen«, behauptet sie. Kein Einlenken, kein Einsehen, keinerlei Unrechtsbewusstsein. All das steht ihr zu, all das werde sie genau so weitermachen. Wenn man sie denn lässt.

Dabei wurde ihr Zusammentreffen mit dem Bundeskanzler seinerzeit bereits – unmittelbar nach der Veranstaltung – von Beobachtern als zahm und inhaltsleer beurteilt. Die gekaufte Moderatorin hatte also ganze Arbeit im Sinne des Befragten gemacht. Und sie selber jubelte auf Instagram: »Ich durfte Olaf Scholz interviewen«, versehen mit dem Hashtag #greathonour. »Unterwürfiger geht es kaum noch«, wurde in der »Neuen Zürcher Zeitung« kommentiert. Ein Schauspiel hatte also stattgefunden, eine Inszenierung, reine Show. Nur das Publikum wusste nichts über die Hintergründe dieses Mummenschanzes.

Die alte Leier ist aber doch bekannt: Wes’ Brot ich fresse … – das Motto aus der Zeit der Minnesänger. Heute noch gültig. Hofschranzen, die den Fürsten anhimmeln und lobpreisen. Womöglich haben diese Karrierist*innen der Neuzeit längst die Orientierung verloren, weil sie nur noch unter ihresgleichen verkehren, im Dunstkreis der Macht unterwegs sind, auf Partys, Events, an Urlaubsorten. Man begegnet sich, man kennt sich, man palavert und schmeichelt. Weh tun möchte man sich nicht, denn dann könnte man abgeschnitten werden von Insiderinformationen (und natürlich vom Geld und weiteren Karriereschritten). Irgendwann gibt es dann keine Grenzen mehr, Moral und Ethik sind entsorgt, alte Überzeugungen gleich mit über Bord geworfen.

Doch das Ausmaß dieser Netzwerke ist keineswegs auf Linda Zervakis begrenzt. Es scheint ganz üblich und durchaus angesehen zu sein, dass herausgehobene Journalistinnen ihre Position nutzen, um das Gehalt im Journalismus durch Zuwendungen von Ministerien üppig aufzustocken.

In der erwähnten Anfrage der AfD kam Anfang des Monats auch heraus, dass die Bundesregierung und nachgeordnete Bundesbehörden seit 2018 Honorare im Wert von fast 1,5 Millionen Euro an Journalisten ausgeschüttet haben. Honorare für Moderationen, Texte, Lektorate, Vorträge und andere Veranstaltungen. Dabei entfielen Honorare in Höhe von rund 875 000 Euro an Journalisten des gebührenfinanzierten Rundfunks, knapp 600 000 Euro an Journalisten privater Medien. Zweihundert Journalisten wurden genannt. Nebenbei: Honorare vom Geheimdienst, dem Bundesnachrichtendienst werden weiterhin geheim gehalten, denn diese Kooperationen seien »besonders schützenswert« und dienten »Staatswohlgründen«. Welcher Journalist sich also auch in Diensten der Schlapphüte stellt, bleibt ungewiss.

Fast ausnahmslos alle Ministerien haben Auskunft gegeben auf die gestellten Fragen, nur Annalena Baerbocks Außenministerium war dazu offenkundig nicht in der Lage oder nicht willens. Obwohl auch dort bekanntermaßen Journalist*innen engagiert wurden.

Dass die nun ans Licht gekommenen Auswüchse eines bezahlten Arrangements zwischen Macht und Beobachtern genau jene Parolen rechtsradikaler Propagandisten unterfüttern, ist die Tragik dabei (und schadet dem gesamten System). So werden Verschwörungstheorien über die Lügenpresse oder den Staatsfunk hervorragend unterfüttert. Gute Ideen wie kritischer Journalismus als Kontrollorgan der Macht oder das gebührenfinanzierte Rundfunksystem werden durch die Habgier und Unbekümmertheit einiger weniger ausgehöhlt und ruiniert. Es sind die Karrieristen, die diesen Herrschaftsjournalismus bevölkern. Es sind die Karrieristen, die die Demokratie gefährden.

Wie heißt es in einem Leserbrief in der linksliberalen »Taz«? »Politikverdrossenheit hat eine Ursache!«

                               

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