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  • Pandemie: Gewalt gegen »Asian Americans«

Die Unsichtbaren

In der Pandemie ist die Gewalt gegen asiatischstämmige Menschen in den USA massiv gestiegen. Sie hat eine Vorgeschichte

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 7 Min.

Vor der Pandemie galt es fast als eine Binsenweisheit: Die asiatische Einwanderung in die USA ist eine Erfolgsgeschichte. Einwanderer aus China, Vietnam und anderen ostasiatischen Ländern sind strebsam, bildungsbeflissen und im neuen Heimatland gut akzeptiert. Oft war von der »Model Minority« die Rede, der Vorbild-Minderheit.

Mit Beginn der Corona-Pandemie setzte dann eine beispiellose Welle der verbalen und physischen Gewalt gegen asiatischstämmige Amerikaner in den Straßen ein. Sie hat eine Vorgeschichte: Schon lange davor war die Erfolgsstory ein Mythos: Einwanderer aus Asien reüssierten nicht nur, sie wurden auch über Jahrzehnte rassistisch behandelt und stigmatisiert.

Im ersten Pandemie-Jahr mit seiner grassierenden Angst und wirtschaftlichen Einbrüchen stieg die Zahl von Hassverbrechen gegen »Asian Americans« um 150 Prozent. Andere Hassverbrechen gingen damals eher zurück. Die Gruppe »Stop AAPI Hate« zählt mehr als 11000 Fälle bis heute. Den schlimmsten Überfall gab es im März 2021 in Georgia, als Robert Aaron Long acht Frauen in Massage-Salons niederschoss: Sechs der Opfer waren asiatischer Herkunft.

Alltäglich sind Beschimpfungen: Ein lauter Ruf »Corona Virus« im Angesicht eines Migranten wirkt bedrohlich. Ein Drittel aller asiatischstämmigen Amerikaner hat während der Pandemie seine Alltags-Routine geändert, um sicherer zu sein. Nach schlimmen Attacken schlossen beispielsweise asiatische Besitzer ihre kleinen Geschäfte früher am Abend.

»Eine Zielscheibe, die auf unseren Rücken getackert wurde«

Einhellig wurde diese neue Atmosphäre mit den Verbalinjurien von Ex-Präsident Donald Trump in Verbindung gebracht: Trump sprach vom »China Virus«, »Wuhan Virus« oder Kung Flu (Grippe). Die demokratische Abgeordnete im Landesparlament des Bundesstaats Georgia, Bee Nguyen, nannte diese Rhetorik eine »Zielscheibe, die auf unseren Rücken getackert wurde«.

Joe Biden hat dann in seinen ersten Tagen als Präsident ein Memorandum geschrieben, um Hate Crime gegen asiatischstämmige Personen zu unterbinden. Unmittelbar nach dem Massenmord in Atlanta legte er rhetorisch, judikativ und finanziell nach.

Derzeit verschärfen sich die Spannungen zwischen Washington und Peking, jenseits von Bidens Anti-Rassismus-Politik. Chinesische und US-Kampfjets kommen sich fast täglich über dem Südchinesischen Meer in die Quere. Im Februar warnten der Nationalsicherheitsberater Jake Sullivan und Verteidigungsminister Lloyd Austin China scharf davor, der russischen Armee Waffen zu liefern. Gleichzeitig kam überraschend ein anderer Bericht: Das US-Energieministerium hält es plötzlich für »wahrscheinlich«, dass das Coronavirus in einem Labor in Wuhan seinen Ursprung hat. Auch das FBI vertritt diese These. In den Jahren 2020 und 2021 wiesen offizielle Kreise in Washington diese These immer wieder zurück. Was solche Berichte und außenpolitische Spannungen für asiatischstämmige Menschen in den USA bedeutet, ist noch ungewiss.

Das Beispiel Mark Zuckerberg und Priscilla Chan

Die Lage dieser Gruppe war jedenfalls immer komplexer als der Mythos um die Vorbild-Minderheit: Manche sind wohlhabend oder reich. Es ist eine oft erwähnte Tatsache, dass die statistisch wohlhabendsten Ehepaare in den USA aus einem weißen Mann und einer asiatischstämmigen Frau bestehen. Mark Zuckerberg und seine chinesisch-amerikanische Frau, die Kinderärztin Priscilla Chan, sind ein Beispiel dafür. Die Werbung ist voll solcher Paare, immer in der spezifischen Konstellation eines weißen Mannes und einer asiatischen Frau.

Doch sehr viele Einwanderer und ihre Nachkommen sind arm. Asiaten kamen zuerst als Arbeiter in die USA; die große asiatische Arbeiterklasse von heute ist alles andere als eine privilegierte Gruppe. Als Robert Aaron Long Sex-Arbeiterinnen in Georgia niederstreckte, dauerte es sehr lange, bis die Namen mancher Opfer von der Polizei bekannt gegeben wurden. Einige der Frauen waren Koreanerinnen zwischen 50 bis 70 Jahren; sie lebten in Atlanta, hatten aber keine Angehörigen, die die Polizei immer zuerst kontaktieren muss. Diese Frauen waren, wie »Asian Americans« sich oft selbst beschreiben: unsichtbar. Unsichtbar, weil die konfuzianischen Werte ein hohes Maß an Stoizismus und Leidensbereitschaft verlangen. Unsichtbar auch, weil diese Werte kaum US-amerikanische Werte sind. In den USA steht zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein über allem.

Eisenbahnarbeiter aus China

Die ersten Chinesen, die in großem Stil in die USA kamen, waren die Eisenbahnarbeiter. Schätzungsweise 20 000 von ihnen stellten die westliche Etappe der transkontinentalen Eisenbahn fertig. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hämmerten sie in den Jahren ab 1864 Steine und arbeiteten mit Explosivstoffen. Hunderte starben dabei. Ihr Lohn war nicht einmal halb so hoch wie der von weißen Eisenbahnarbeitern.

Im Jahr 1867 streikten sie für gleichen Lohn. Wissenschaftler der Stanford Universität, die diese Episode beschreiben wollten, fanden kein einziges Dokument zu diesen Arbeitern. Die Forschenden haben nur archäologische Funde; geheime Gärten wurden gefunden, die die Arbeiter in der Nähe der Eisenbahn angelegt hatten.

Schon in der Zeit des Eisenbahnbaus kamen die ersten Restriktionen im Jahr 1875 gegen asiatische Einwanderung, speziell gegen Frauen. Sie wurden als Prostituierte und Trägerinnen von Krankheiten diffamiert. Insofern knüpft die Trump’sche Rhetorik an sehr alte rassistische Einstellungen an. Dann folgten die Kriege des 20. Jahrhunderts, in denen Frauen Asiens als exotisch und unterwürfig typisiert, ja fetischisiert wurden, von US-Soldaten im Korea- und Vietnamkrieg und später von der breiten Gesellschaft. Asiatische Frauen sind auch heute noch überproportional von Gewalt bedroht: Nach einer Studie des National Network to End Domestic Violence waren bereits 40 bis 60 Prozent von ihnen Opfer von physischer oder sexueller Gewalt.

Während der Pandemie berichteten amerikanische Waffenhändler, dass plötzlich viel mehr asiatischstämmige Menschen in den Gun-Shops waren. Viele fühlten sich bedroht und wollten sich notfalls mit Waffengewalt verteidigen. Andere wurden selbst zu Gewalttätern. So kaufte sich der 72-jährige Huu Can Tran damals, im Januar 2021, ebenfalls eine Waffe. Zwei Jahre später tötete er damit im kalifornischen Monterey Park elf Menschen, die meisten davon waren wie er »Asian Americans«. Tran war als junger Mann aus China eingewandert, später heiratete er eine Frau, die er beim Tanzen kennengelernt hatte. 2002 gründete Tran eine Trucking Firma, die jedoch pleite ging. Er ließ sich scheiden und zog in einen Trailerpark, wo Menschen in Wohnwagen leben. Während des chinesischen Neujahrsfestes in diesem Jahr kehrte er zum Tanzstudio in Monterey Park zurück, wo er früher als leidenschaftlicher Tänzer gut bekannt war und tötete unter anderem die 72-jährige Managerin Ming Wei Ma.

Der Basketballstar Jeremy Lin prangert Missstände an

Der Basketballstar Jeremy Lin, dessen Eltern aus Taiwan eingewandert sind, hat sich während der Pandemie entschieden, sich öffentlich zu äußern und auch Missstände anzuprangern. Damit ist er an der Spitze einer Generation von »Asian Americans«, die sich auf Colleges und in den Städten stärker zivilgesellschaftlich organisieren. Lin beschreibt in einem Fernseh-Interview mit PBS anschaulich, welche Muster er in seiner Kindheit erlebte: Wenn man Stress mit der Außenwelt hat, soll man sich nicht beklagen: »So habe ich meinen Kopf schön nach unten gehalten, habe noch härter gearbeitet. Ich ließ mein Spiel für sich sprechen: Ich spiele besser als du, aber ich rede nicht darüber.« Auf Instagram schrieb Lin im Frühjahr 2020 über die Pandemie: »Es gibt echte Menschen, die leiden, und echte Helden, die rund um die Uhr arbeiten, im Dienste der Anderen. Bitte lasst eure Angst und eure Unwissenheit nicht von dieser Einsicht berauben: Die Welt braucht mehr Mitleid und Empathie.«

Lin arbeitet im stark afroamerikanischen Umfeld, wo alle unter Rassismus gelitten haben. Lin sagt, dass er nicht über die spezifischen Verletzungen der Asiaten oder der Schwarzen reden will. Zu oft würden die Geschichten des Leides gegeneinander aufgewogen. »Ich will jetzt zu den Wurzeln der Ungerechtigkeit durchdringen und diese Wurzeln anpacken und ändern.« Lin, der gläubiger Christ ist, bleibt in seinen öffentlichen Statements bei psychologischen Wurzeln des Rassismus, er redet kaum über das Problem der Ungleichheit.

Die Generation von Jeremy Lin ist anders als ihre Eltern: Sie schweigen nicht und organisieren sich gegen die neue Gewalt. Die »New York Times« hat kürzlich noch über einen anderen Trend berichtet: Immer mehr aus dieser Gruppe hätten bei den letzten Wahlen zum ersten Mal für Republikaner gestimmt. Womöglich werden die Republikaner zunehmend auch asiatischstämmige Menschen für sich gewinnen – so wie sie in den vergangenen Jahren von vielen Latinos gewählt wurden, trotz der Rhetorik gegen Mexikaner.

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