Linke: Hoffen auf ein Wunder

Georg Fülberth über eine mögliche Spaltung der Linkspartei

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 4 Min.

Sprechen Außenstehende mit Genossinnen und Genossen der Linkspartei, erfahren sie von denen nichts über den Zustand der Welt, sondern nur über den ihrer Organisation. Der Erkenntniswert ist gering. Angehörige der einen Richtung äußern sich über die der anderen und umgekehrt, jeweils mit negativen Vorzeichen. Selbst bei scheinbar oder tatsächlich neutralen Themen fragt man sich nachher, ob man über dieselbe Sache geredet hat. Vielleicht ist das nicht einmal beim Wetter anders.

Gegenwärtig wird viel darüber gerätselt, ob eine Abspaltung eines sogenannten Wagenknecht-Flügels zu erwarten ist. Wer die befürchtet und die Partei unbedingt zusammenhalten will, bemüht sich um ein flaches Profil und wirkt dadurch nicht attraktiv. Gegnerische Medien dagegen gießen Benzin ins Feuer. Vorhersagen sind unmöglich, solange Sahra Wagenknecht sich nicht entschieden hat. Einem Projekt, das von dem Kalkül einer einzigen Person abhängt, kann man kaum ein positives Horoskop stellen.

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Tun wir mal so, als würde es zur Spaltung kommen und eine Gruppe um Wagenknecht träte zur Europawahl 2024 an. Es gibt keine Fünf-Prozent-Klausel, also erhielte sie sicher mehrere Mandate. Die Linke würde geschwächt, aber auch sie wäre in Straßburg weiterhin vertreten. Beide könnten ihre Profile nebeneinander und unbehindert voneinander entwickeln.

Es empfiehlt sich aber, von den aktuellen personellen und fraktionellen Angiftungen abzusehen und nach strukturellen Ursachen der misslichen Lage zu suchen.

Die PDS und ab 2007 Die Linke hatten drei Kompetenzbereiche: Ostdeutschland, die soziale Frage und den Frieden. Was ersteres angeht, so wird von vielen Menschen, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR leben, die AfD mittlerweile als ihre Lieblingsanwältin angesehen. PDS und Linke galten als Vertreterinnen nicht wegen, sondern trotz ihrer sozialistischen Orientierung. Dass sie mit der SED nicht viel zu tun haben wollten, half ihnen nichts. So bot sich ab 2013 die AfD als attraktiveres Angebot ohne Rotstich an.

Sozialpolitisch wurde der Linkspartei mehr zugetraut als der SPD, so lange diese sich mit der Agenda 2010 und Hartz IV blamierte. Mittlerweile hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Mindestlohn von zwölf Euro durchgesetzt. Dass Die Linke einen höheren Betrag fordert, wird nicht ernstgenommen, denn sie hat keinen Hebel zur Verwirklichung. Die soziale Frage ist zur SPD zurückgekehrt.

Krieg und Frieden: Am 27. Februar 2022 rief Olaf Scholz die »Zeitenwende« aus. Die Folge: Die Bundeswehr soll massiv aufgerüstet werden. In der Aussprache versprühte Alice Weidel von der AfD ihren üblichen Unrat. Sie aber war die einzige Abgeordnete, die auf die Umtriebe der Nato hinwies. Von der Linksfraktion kam in dieser Sitzung nichts dazu. Seitdem gilt die AfD für die öffentliche Wahrnehmung in höherem Maße als die Partei der ostpolitischen Vernunft als Die Linke.

Der Kernbestand der Linken ist also ausverkauft, kann durch nichts anderes ersetzt werden, muss neu erarbeitet werden. Schnäppchen von der Resterampe der Grünen wirken da nur als Imitate, denen das Original vorgezogen wird.

Die Linke wird aber nicht rückstandslos verschwinden. Auch nicht, wenn es zu einer Spaltung käme. Zu ihren Verdiensten gehört, dass sie einer ganzen Generation von Linken in schwieriger Zeit Orientierungen und Handlungsmöglichkeiten eröffnet hat. Ganz auseinanderlaufen werden diese Menschen wohl nicht – wohin denn auch?

Prognosen haben den Vor- und den Nachteil, dass sie fast nie eintreffen, auch im vorliegenden Fall nicht. Niemand kennt die jähen Wendungen nach unten oder oben im Voraus. Auch auf Wunder, die gar keine sind, sondern deren Ursachen sich erst im Nachhinein herausstellen, darf gehofft werden. Niederlagen können nützlich sein und Neues aus sich hervorbringen, wenn sie begriffen werden.

Georg Fülberth, geboren 1939, ist Politikwissenschaftler und Historiker.

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