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Vom Eurokommunismus zum Rechtspopulismus

»Und draußen die Nacht« ist ein gelungener Politthriller über die Entführung und Ermordnung des Politikers Aldo Moro

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.
Papst Paul VI. (Toni Servillo, li.) verweigert seinem Freund Aldo Moro (Fabrizio Gifuni, re.) die Unterstützung.
Papst Paul VI. (Toni Servillo, li.) verweigert seinem Freund Aldo Moro (Fabrizio Gifuni, re.) die Unterstützung.

Die Weltgeschichte ist voller Ereignisse, die den Lauf der Dinge wohl verändert hätten, hätten sie sich denn auch ereignet. Ein Nein Neville Chamberlains zum Münchner Abkommen 1938 zum Beispiel, ein impulsiver Augenblick von John F. Kennedy während der Kubakrise 1962, Günther Schabowskis Abwehr der Fragen zur Maueröffnung 1989 oder – weit weniger legendär, aber umso bedeutsamer: ein Erfolg des »historischen Kompromisses«, den die Democrazia Cristiana (DC) 1978 mit dem Partito Comunista Italiana (PCI) schließen wollte.

Konservative und Kommunisten in einer Regierungskoalition, das Ende bürgerkriegsähnlicher Zustände auf den Straßen vor Augen, ein Weg aus Italiens Dauerkrise: Der »compromesso storico« (historischer Kompromiss) hätte ein Signal von besonderer Tragweite sein können. Konjunktiv. Denn unmittelbar bevor DC-Präsident Aldo Moro PCI-Chef Enrico Berlinguer die Hand reichen konnte, wurde er von den linksterroristischen Brigate Rosse entführt und ermordet. Welch ein Drama, das Arte in sechs Teilen verfilmt hat. Die 55 Tage der Geiselnahme werden so zu einem Politthriller der Extraklasse.

Aldo Moro, fürsorglicher Familienvater und gläubiger Christ, kämpft in »Und draußen die Nacht« nämlich gegen Widerstände aller Richtungen. Rechte, Linke, Kirche, Presse, Staat, Gesellschaft – von überall wird sein Befriedungsversuch eines tief gespaltenen Landes torpediert. Umso ruhiger spielt Fabrizio Gifuni – der Moro schon 2012 in »Piazza Fontana« dargestellt hatte und fünf Jahre zuvor Papst Paul VI. – diesen Charakter der ungewöhnlichen Art.

Um ihn herum steht ein Heer grauer Männer mit sehr dunklen Anzügen und sehr großen Brillen, das sehr bedrohlich wirkt, wenn es seine Traditionen, Pfründe, Ideologie und Frauenverachtung verteidigt. Einerseits. Denn physisch gefährlicher werden dem liberalkonservativen Grenzgänger junge, langhaarige, oft akademische, öfter proletarische Kommunisten, die nicht nur gegen Moros Kompromiss sind, sondern auch schießen. Diesen Kontrast bebildert Regisseur Marco Bellocchio, Jahrgang 1939, mit einer vorurteilsfreien Dringlichkeit, die bis zur 300. Minute aufwühlt.

Mal stellt er verblüffend authentische Straßenschlachten vor Moros Amtssitz nach, bevor er seine Partei greiser Alpharüden vom Pakt mit der Kommunistischen Partei, die weitaus gemäßigter agierte als die linksradikalen Straßenkrieger, überzeugen muss. Mal kriecht sein Auto in Zeitlupe an Graffiti vorbei, die seinen Tod fordern. Und mal inszeniert er Moros Entführung ästhetisch als Terror-Porn à la Uli Edels »Baader-Meinhof-Komplex«, nur um sich später geschlagene 15 Minuten Zeit für Moros Zwiegespräch mit einem Priester zu nehmen, den seine Entführer ins Verlies lassen.

Die Szene hat aber auch ihren Grund. Erleben wir hier doch, wie etwas Besitz von Moro ergreift, das er dem Geistlichen eher beichtet als berichtet: Hass. Der ist die Quintessenz einer Erzählung über den weltpolitisch heißen Ausgang der Siebzigerjahre. Oberflächlich mag die Szene also verhandeln, wer aus Moros Geiselnahme Profit schlagen will, zum Beispiel der ausufernde Überwachungsstaat des Innenministers Francesco Cossiga (Fausto Russo Alesi).

Darunter zeigt sich der Weg zur dunklen Seite der Macht. Nachdem Moro mit acht Schüssen im Körper tot aufgefunden wurde, ging nämlich schnell auch das zarte Pflänzchen Eurokommunismus ein, der seinerzeit versuchte, abseits vom sowjetischen Einfluss einen dritten Weg des Ausgleichs zwischen Ost und West, Stalinismus und Kapitalismus zu gehen. Selbst hierzulande kann man den reaktionären Backlash der geistig-moralischen Wende Helmut Kohls kaum unabhängig vom Tod Aldo Moros betrachten.

All dies nie didaktisch zu verabreichen, sondern dramaturgisch originell und filmisch anspruchsvoll, buchstäblich bewegt von Francesco Di Giacomos herausragender Kameraführung – das ist die eigentliche Sensation einer sehenswerten Fernsehserie, die einen klüger zurücklässt, aber auch deprimierter. Kohl und Kanther, Trump und Orbán, Schill und Höcke: Der Keim ihres rechtspopulistischen Aufstiegs wurde auch am 16. März 1978 gewässert, als Aldo Moros Historischer Kompromiss zerplatzte.

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