Doppelbeben im Bankensektor

Probleme in den USA und der Schweiz stürzen Notenbanken in ein Dilemma

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vertrauen ist die wichtigste Währung im Bankgeschäft. Ist es einmal in Frage gestellt, kann sich eine kaum aufhaltbare Abwärtsspirale entwickeln. In den Vereinigten Staaten forderte am Wochenende ein Zusammenschluss von mehr als 100 mittelgroßen Banken die Regierung auf, alle Kundenguthaben der Institute komplett zu garantieren, um Vertrauen wiederherzustellen. Über einen entsprechenden Brief berichtet der Nachrichtendienst Bloomberg. Die Bankenkoalition, deren Mitglieder eine Bilanzsumme von mindestens 20 Milliarden Dollar haben, sieht sich mit einer Kundenflucht konfrontiert.

Die staatliche Einlagensicherung FDIC garantierte bislang lediglich Guthaben bis zu 250 000 Dollar pro Bankkunde. Nun aber sicherte sie sämtliche Einlagen der bereits kollabierten Institute Silicon Valley Bank (SVB) und Signature Bank zu. Aktionäre und Gläubiger hingegen müssen Verluste hinnehmen. Interventionen von elf Großbanken und Beschwichtigungen von Präsident Joe Biden und Finanzministerin Janet Yellen hatten die Verunsicherung von Bankkunden und Anlegern in kleinere Finanzinstitute in den USA nicht mildern können.

Dies stürzt die Notenbank Federal Reserve (Fed) vor ihrem am Dienstag beginnenden, zweitägigen Treffen in ein Dilemma. Sie steht wegen der nach wie vor hohen Inflation von sechs Prozent weiter unter Zugzwang. Bisher wurde von Beobachtern erwartet, dass die Notenbank erneut den Leitzins kräftig erhöht. Andererseits sind die hohen Zinsen schuld am Bankenbeben in den USA. Nach der Zinswende im Jahr 2018 verloren vermeintlich sichere Anleihen in den Beständen der Banken, vor allem Staatspapiere, dramatisch an Wert. Diese bieten deutlich niedrigere Zinsen als neue Anleihen, in denen sich die steigenden Zinssätze widerspiegeln. Das ist kein Problem, wenn die Papiere bis zur Endfälligkeit gehalten werden. Dann erhalten die Banken von den Schuldnern – überwiegend Versicherer, Pensionsfonds und die öffentliche Hand – 100 Prozent zurück. Da aber die Kunden das Vertrauen in ihre Bank verloren und ihre Konten auflösten, mussten viele Geldinstitute ihre vermeintlich sicheren Anleihen zu Dumpingpreisen verkaufen, um ihre Kunden auszahlen zu können. So erwarb Goldman Sachs laut Medienberichten Anleihen zum Buchwert von 21 Milliarden Dollar von der Silicon Valley Bank, was dieser einen Verlust von 1,8 Milliarden Dollar bescherte. Und als dieser bekannt wurde, kam es zum »bank run« der Kunden.

Die Fed steht daher aktuell zugleich als Bankenaufsicht im Feuer. Warum habe sie den offenkundigen Zinsrisiken in den Bankbilanzen nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt, fragen Politiker. Fed-Vorsitzender Jerome Powell kündigte in den vergangenen Tagen neue Kredite für die kriselnden Banken mit einem Volumen von rund 300 Milliarden Dollar an, um den erhöhten Liquiditätsbedarf der Geldinstitute zu decken.

Mittlerweile weisen Schweizer Politiker und die dortige Aufsichtsbehörde Finma auch auf die Bankenprobleme in den USA hin, um die Schieflage der heimischen Credit Suisse zu erklären. »Damit wollen sie ablenken von ihrem eigenen Versagen«, sagt Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. »Sie haben zugesehen, wie die Credit Suisse von Skandal zu Skandal schlitterte und immer mehr Kunden verlor.« Tatsächlich hatte das überdimensionierte und riskante Investmentbanking gewaltige Löcher in die Bilanz der Schweizer Großbank gerissen. Die Credit Suisse verlor 2022 allein durch den Zusammenbruch des US-Hedgefonds Archegos fünf Milliarden Dollar.

Die Notfusion in der Schweiz vom Wochenende zeigt jedenfalls, wie instabil die internationalen Finanzmärkte wieder sind. Die UBS übernimmt die zweitgrößte eidgenössische Bank für drei Milliarden Franken. Der Kaufpreis bedeutet einen deutlichen Abschlag gegenüber dem Börsenwert. Die Schweizerische Nationalbank in Bern unterstützt den Deal mit »Liquiditätshilfen« im Umfang von 100 Milliarden Franken (gut 100 Milliarden Euro), wie Regierung, Finanzaufseher und die beiden Banken in einer gemeinsamen Pressekonferenz bekanntgaben. »Ein Ausfall der Credit Suisse wäre ein unkalkulierbares Risiko für die Schweiz und das Finanzsystem gewesen«, erklärte Bundespräsident Alain Berset. Die Notübernahme ist die bedeutendste Bankenfusion in Europa seit der Finanzkrise vor 15 Jahren.

Die westlichen Zentralbanken nehmen das Doppelbeben dies- und jenseits des Atlantiks sehr ernst. Die Währungshüter der USA und der Schweiz, aber auch die Japans, Großbritanniens, Kanadas sowie die Europäische Zentralbank (EZB) vereinbarten am Sonntagabend, über die Dollar-Geschäfte mit siebentägiger Laufzeit statt wöchentlich nun täglich zu entscheiden. Durch die Anpassung der Handelsintervalle wird die Versorgung der Finanzwirtschaft mit US-Dollar ausgeweitet. Die Operation soll bis mindestens Ende April dauern.

Aus deutschen Banken ist zu vernehmen, dass die Probleme beherrschbar seien. Dies wird auf die schärfere Regulierung in der EU zurückgeführt, die bei Banken und Sparkassen lange in der Kritik stand. Dagegen waren in den USA unter Präsident Donald Trump die Regeln für mittelgroße Banken gelockert worden. Im Ergebnis ist deren Anleihebestand, der das Beben ausgelöst hat, doppelt so hoch wie der in EU-Banken. Die Kommunikation der EZB werde »ganz entscheidend« sein, betont die größte deutsche Landesbank LBBW. Schalten sich die Wächter aus Frankfurt am Main zu früh und zu lautstark ein, um die Widerstandsfähigkeit der Banken zu betonen, könnte das den gegenteiligen Effekt haben und die wichtigste Währung zerstören: das Vertrauen.

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