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  • Ausstellung »Said Baalbaki: Gestern wie heute«

Bis auf die Knochen

Der deutsch-libanesische Künstler Said Baalbaki stellt in Berlin aus: Es geht um Reise, Migration und Exil, islamische Mythologie und den vergessenen Künstler Jussuf Abbo

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 4 Min.
Verweist auf den libanesischen Bürgerkrieg: Said Baalbakis Skulptur »Der Arm«, 2011 in Bronze gegossen.
Verweist auf den libanesischen Bürgerkrieg: Said Baalbakis Skulptur »Der Arm«, 2011 in Bronze gegossen.

Wirft man derzeit einen Blick durch eines der großen Schaufenster der Berliner Galerie Nord, entsteht der Eindruck, dass hier ein naturwissenschaftliches Museum Einzug gehalten hat. Drinnen ist ein verblüffend detailreiches und stilechtes Ausstellungsambiente des 19. oder 20. Jahrhunderts zu sehen. Perfekt zusammengestellt mit Tapete, historisch anmutenden Vitrinen sowie den darin drapierten Skeletten ominöser Tiere. Es ist eine der großen installativen Rauminszenierungen in der Einzelausstellung von Said Baalbaki. Der Künstler, der 1974 im Libanon geboren wurde und seit 2002 in Berlin lebt, widmet sich hier unter anderem dem in der islamischen Mythologie beschriebenen weißen Pferd mit Flügeln – Al-Burāq – des Propheten Mohammeds. Die Skelette, die laut einem maschinenschriftlichen Dokument bei Ausgrabungen 1912 am Tempelberg in Jerusalem gefunden wurden – so behauptet es jedenfalls Balbaaki für die Ausstellung –, sollen die Existenz des Pferds sowie weiterer mythologischer Wesen belegen. Alles täuschend echt aufbereitet, mit viel Liebe zum Mobiliar und den Knochen.

Said Baalbakis ursprüngliches Medium ist die Malerei. 2001, bei einer Sommerakademie in Jordanien, lernte er Marwan (1934–2016) kennen, den deutschen Maler mit syrischen Wurzeln, der an der UdK in Berlin lehrte. Baalbaki war so von ihm angetan, dass er ihm nach Berlin folgte, dort sesshaft wurde und seine künstlerischen Ausdrucksformen sukzessive um Skulpturen, Installationen und Environments erweiterte.

In der aktuellen Ausstellung sind neben Skulpturen und zwei großen Rauminszenierungen auch einige seiner Gemälde zu sehen, die verschiedene Arrangements von Koffern zeigen. Sie verweisen sowohl auf das Reisen, das der Erweiterung des persönlichen Horizonts dienen soll, als auch auf den Themenkomplex von Flucht, Migration und Exil. Baalbaki, der in einer bildungsbürgerlichen sowie säkularen Familie in Beirut aufwuchs, war schon früh mit Kunst konfrontiert, aber auch mit dem Bürgerkrieg und der Zerrissenheit der libanesischen Gesellschaft, die bis heute anhält. Während des Bürgerkriegs wurde auch das berühmte Denkmal vom italienischen Bildhauer Marino Mazzacurati (1907–1969) am Märtyrerplatz in Beirut schwer beschädigt, eine der Figuren büßte dabei einen Arm ein. Nun kann man einen nachmodellierten und in Bronze gegossenen Arm in Originalgröße in der Ausstellung betrachten: Als Artefakt wie ein archäologischer Fund ist er vor den Bildern des vom Krieg gezeichneten Denkmals auf einer Transportkiste platziert.

Im Rahmen seines konzeptuellen und vielschichtigen Projektes »Black Rock« befasste sich Said Baalbaki in eigenen Worten mit der »Beziehung zwischen Glaube, Kunst und Kohle«. Unter Verwendung von Kohlebriketts als ziegelähnliche Bausteine konstruierte er im Ausstellungsraum Kathedralen und auch eine Mihrab, eine islamische Gebetsnische in einer Moschee. Dabei begreift Baalbaki auch Banken, die ja bekanntlich auch etwas mit »Kohle« zu tun haben, als Kathedralen. Dazu passend ist ein Spruch aus dem 3. Jahrhundert nach Christi in Neonschrift zu sehen, von dem auch Papst Franziskus schon Gebrauch machte: »Das Geld ist der Kot des Satans.«

Mit zwei Wandarbeiten von in Bronze gegossenen Gürteln, die zu arabischen Schriftzeichen geformt sind, zitiert Baalbaki islamische Texte. Die Schriftzeichen einer Arbeit lauten übersetzt »Lies«. Dieser Imperativ stammt aus der ersten Offenbarung, in der Mohammed der Legende nach im Alter von 40 Jahren durch einen Engel den Befehl erhielt, die Texte des Koran zur Kenntnis zu nehmen. Indem Baalbaki die Offenbarung auf den Befehl reduziert, scheint er die Lesenden aufzufordern, sich selbst Wissen und Bildung anzueignen, anstatt sich durch blinden Glauben den Autoritäten auszuliefern.

Im letzten Raum der Galerie Nord erweist sich Baalbaki als Kunsthistoriker, der dem vergessenen Künstler Jussuf Abbo (1888–1953) eine respektable Bühne bereitet. Der aus dem Osmanischen Reich stammende Maler, Zeichner und Bildhauer lebte über zwanzig Jahre (1911–1935) in Berlin. Dort gelang ihm eine beeindruckende Künstlerkarriere. Er konnte in den prominenten Galerien von Paul Cassirer und Rudolf Probst ausstellen und gehörte zum Freundeskreis von Else Lasker-Schüler und Kurt Schwitters. Nur unter erheblichen Schwierigkeiten und dem Verlust eines großen Teils seines Werkes gelang ihm 1935 als Jude die Flucht nach London ins Exil, wo er seine Karriere nicht mehr fortsetzen konnte und in Vergessenheit geriet. Baalbaki inszeniert auch Abbos skulpturale Werke auf eigens gebauten Transportkisten und betont so das temporäre Wesen der Präsentation – Abbo ist sonst in den Museen kaum präsent. Doch Baalbaki hat durch langjährige Recherche und Teilnahme an Internetauktionen viele Skulpturen, Grafiken und Dokumente des vergessenen Künstlers erwerben können.

»Said Baalbaki: Gestern wie heute«, bis zum 8. April, Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten e.V., Berlin

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