Berliner Register: Weniger Verschwörung, mehr Transfeindlichkeit

Jahresauswertung der Berliner Register zeigt positive Entwicklung, aber auch mehr transfeindliche Angriffe

Die Grafik zeigt die Anzahl der in den letzten zwei Jahren gemeldeten rechten und diskriminierenden Vorfälle pro Bezirk und berlinweite Vorfälle, die keinem Bezirk zugeordnet werden können.
Die Grafik zeigt die Anzahl der in den letzten zwei Jahren gemeldeten rechten und diskriminierenden Vorfälle pro Bezirk und berlinweite Vorfälle, die keinem Bezirk zugeordnet werden können.

Es gibt sie noch, die positiven Entwicklungen in Berlin – zumindest teilweise. »Der Krieg in der Ukraine hat nicht dasselbe Mobilisierungspotenzial, wie es die Corona-Proteste hatten«, sagt Kati Becker, Koordinatorin der Berliner Register. Es geht ihr um die äußerst beunruhigende Entwicklung im Protestmilieu zur Hochzeit der Pandemie mit einem Gemisch aus Esoterik, Verschwörungsideologien und extremen Rechten. Das mobilisierte Zehntausende auf die Straßen Berlins. Das habe sich aber nicht auf die Proteste im Zusammenhang mit dem Krieg übertragen, erklärt Becker im Gespräch mit »nd«.

Meldungen bei den Berliner Registern

Die Berliner Register sind auf Meldungen aus der Zivilgesellschaft angewiesen. Wenn ihr rechte und/oder diskrimineirende Vorfälle erlebt oder beobachtet, könnt ihr diese entweder über lokale Meldetstellen der Register mitteilen oder über ein Onlineformular. loz

»Im Frühjahr 2022 konnte man den Eindruck gewinnen, das Thema der Querdenker*innen würde durch den Krieg ersetzt werden. Der Eindruck erhärtete sich nicht«, so steht es in der bezirksübergreifenden Jahresauswertung, den Becker am Donnerstag vorstellt. Die Berliner Register dokumentieren rechte und diskriminierende Vorfälle in jedem Berliner Bezirk und werten die Daten regelmäßig aus, um lokale und übergreifende Entwicklungen in der Stadt abbilden zu können. Bei der Entwicklung verschwörungsideologischer Demonstrationen halten die Register fest, dass 2022 deutlich weniger Menschen an solchen teilnahmen als noch in den Jahren 2020 und 2021 während der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen.

Trotz allem verzeichnen die Register im vergangenen Jahr 259 Vorfälle, bei denen der Krieg im Fokus stand. Vor allem waren dies NS-verharmlosende Veranstaltungen, Diskriminierungen gegenüber Rom*nja und schwarzen Geflüchteten sowie extrem rechte Propagandavorfälle. 127 dieser Fälle hatten einen pro-russischen Inhalt, 72 richteten sich gegen Geflüchtete. 

»Die Anzahl der gemeldeten Vorfälle struktureller Benachteiligung war dann am höchsten, als die meisten Geflüchteten ankamen, im März und April. Die meisten Veranstaltungen fanden zeitlich verzögert statt, im Oktober und November«, erklärt Becker zu den vorliegenden Daten. Sie bewertet es als positiv, dass die Rechten in Bezug auf den Krieg keine einheitliche Position entwickelt haben und dementsprechend auch keine Großveranstaltungen organisieren konnten, an denen sich alle beteiligt hätten.

Dieser Wegfall der großen und regelmäßigen Corona-Proteste der letzten Jahre schlägt sich auch in den Gesamtzahlen der vermeldeten Vorfälle nieder. Die Zahlen sind berlinweit von 4841 Vorfällen im Jahr 2021 auf 4156 Vorfälle im Jahr 2022 zurückgegangen. »Es kam zu weniger antisemitischen und NS-verharmlosenden Vorfällen«, sagt Becker. So hat auch die Zahl der Online-Vorfälle abgenommen, die sich nicht nur aus der Propaganda für Demonstrationen zusammensetzt, sondern auch aus den Kommentaren unter solchen Beiträgen. 

Weiterer Grund für den Rückgang: Der rechte Aufkleberversand »Politaufkleber« von Sven Liebich hat dichtgemacht, sodass auch weniger rechte Propaganda verbreitet wurde. »Das erklärt zum Beispiel auch den Rückgang an Vorfällen in Friedrichshain-Kreuzberg«, sagt die Register-Koordinatorin.

Der auffällige Rückgang in Neukölln hänge derweil auch damit zusammen, dass die im Süden des Bezirks organisierte extrem rechte Szene, die unter anderem für die als Neukölln-Komplex bekannte Anschlagsserie verantwortlich ist, im vergangenen Jahr mit Gerichtsterminen beschäftigt war. Die Akteur*innen seien daneben eher an der Propaganda in anderen Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf beteiligt gewesen, sagt Becker.

Eine beunruhigende Entwicklung ist derweil in der Kategorie der LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle zu verzeichnen, also Vorfälle, die sich gegen Lesben, Schwule, Bi-, trans, inter und queere Menschen richten. »Wir haben 239 Vorfälle in 2022 aufgenommen. Diese Zahl ist so hoch wie noch nie«, sagt Lea Lohlöffel aus der Koordinierung der Register. Das Dunkelfeld in diesem Bereich sei außerdem sehr groß. Allerdings haben die Berliner Register auch ihre Netzwerkarbeit mit Initiativen aus der Community ausgebaut, sodass immer mehr solcher Vorfälle auch bei den Berliner Registern gemeldet werden, was eine Ursache des Anstiegs ist.

Besonders hervorstechend ist der Anstieg transfeindlicher Vorfälle aller Arten: 30 waren es 2021, 81 im Jahr 2022, darunter ein Anstieg von gemeldeten Angriffen von acht auf 18. »Ein Grund dafür ist die größere Sichtbarkeit von trans Menschen in der Öffentlichkeit«, sagt Lohlöffel. Außerdem treffe das Selbstbestimmungsgesetz auf die Reaktion Rechter und Konservativer, die das zweigeschlechtliche System verteidigen. Entsprechende Vorfälle rührten nicht nur aus der extremen Rechten, sondern auch aus dem konservativ-feministischen Lager her. »Es gab zum ersten Mal eine Gegendemonstration zum Christopher Street Day«, sagt Lohlöffel. Für sie ist klar, dass Propaganda im Netz und auf der Straße zu Gewalttaten gegen trans Menschen führt. »Die Täter auf der Straße fühlen sich ermutigt.«

Solche Entwicklungen von Demonstrationen bis zu Gewalttaten sind nicht neu und lassen sich durch die jahrelange akribische Arbeit der Berliner Register im Detail nachvollziehen. So habe es sich auch 2015 bei den rassistischen Mobilisierungen gegen Geflüchtete verhalten, sagt Kati Becker zu »nd«. »Erst waren es die Demonstrationen, die Gewalttaten und Anschläge kamen etwa ein halbes Jahr später.« Dieses dokumentierte Wissen könne dazu beitragen, bei künftigen rechten Mobilisierungen besser vorbereitet zu sein auf die darauf folgende Gewalt und früher einzugreifen.

Seit 2005 das erste Register in Pankow gegründet wurde, das am Anfang hauptsächlich die Aktivitäten der Neonaziszene dokumentierte, ist das Projekt stetig gewachsen. Seit 2017 gibt es die Register in allen zwölf Bezirken. Sie sei von Anfang an dabei gewesen, sagt die jetzige Koordinatorin. 2006 wurde sie mit dem Aufbau der zweiten Registerstelle in Treptow-Köpenick beauftragt. 2007 konnte die studierte Sozialwissenschaftlerin die erste Auswertung mit gesammelten Daten durchführen. »Die ersten Meldungen kamen aus meinem eigenen Umfeld, von meinen Freund*innen und meiner Familie«, sagt Becker. 

Damit die Meldung von Vorfällen durch die Zivilgesellschaft funktioniert, braucht es eine starke Verankerung in den lokalen Strukturen und das Vertrauen von Betroffenen. Ersteres sei zum Beispiel in Treptow-Köpenick daraus entstanden, dass es dort die NPD-Parteizentrale und gut vernetztes antifaschistisches Engagement dagegen gegeben habe. Auch heute noch seien antifaschistische Gruppen berlinweit die zuverlässigsten Meldequellen. »So kriegen wir zum Beispiel flächendeckend mitgeteilt, wenn irgendwo Hakenkreuze auftauchen«, sagt Becker.

Das Vertrauen der von diskriminierenden Vorfällen Betroffenen wachse derweil immer weiter, nicht nur durch die Netzwerkarbeit, sondern auch dadurch, dass Betroffene durch die Arbeit der Register merkten, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine seien und ganz viele dasselbe erlebten. »Die Glaubwürdigkeit unserer Daten kommt dadurch zustande, dass zum Beispiel nicht eine Person eine rassistische Erfahrung in ihrem Kiez macht, sondern dass viele solcher Vorfälle gemeldet werden«, sagt Becker. So könne auch politisch durch gezielte Aktionen reagiert werden. »Wenn die Betroffenen merken, dass sie nicht alleine sind mit ihren Erfahrungen und dass sie außerdem Unterstützung aus dem Kiez erfahren, dann stärkt ihnen das den Rücken«, sagt Becker.

Die meisten von den Registern dokumentierten Vorfälle ereignen sich nach wie vor im Bereich Rassismus. Das liege auch daran, dass in Berlin sehr viele Menschen lebten, die von rassistischen Übergriffen, Beleidigungen und struktureller Diskriminierung betroffen seien. So ereigneten sich zahlenmäßig mehr Vorfälle. »Das wird auch erst mal so bleiben«, sagt die Koordinatorin.

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