Strafen trotz Sozialticket bei der BVG

Viele müssen 60 Euro Strafe zahlen, obwohl sie ein Sozialticket haben

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

»60 Euro Strafe für Nichts« – das steht auf den Schildern der Aktivist*innen, die sich am vergangenen Donnerstag vor dem BVG-Kundenzentrum in Friedrichshain versammelt haben. Sie wollen Aufmerksamkeit schaffen für ein Problem, das nun schon einige Berliner*innen betroffen hat: Obwohl sie bei Kontrollen im öffentlichen Nahverkehr ihr Sozialticket vorzeigten, müssen sie die Strafe für Fahren ohne gültigen Fahrschein bezahlen.

Grund dafür ist das bürokratische Chaos als Folge der Umstellung von Sozialticket und Berechtigungsnachweis. Denn das Sozialticket ist nur gültig mit VBB-Kundenkarte und eingetragener Kundennummer. Für die Kundenkarte brauchen Nutzer*innen aber den neuen Berechtigungsausweis, der oft erst nach Monaten von der Jobcenter-Zentrale in Nürnberg verschickt werde, so teilten die Aktivist*innen auf einem Flugblatt mit, welches über die ungerechten Strafen informiert.

Wenn man stattdessen das Aktenzeichen des letzten Bewilligungsbescheides eintrage und diesen in Kopie mitnehme, sei man auf die Kulanz der Kontrolleur*innen angewiesen. Habe man nur den Bewilligungsbescheid mit, aber das Aktenzeichen nicht eingetragen, dann drohen 60 Euro Strafe trotz Ticket, heißt es dort weiter. »Reine Verarsche – das neue Sozialticket ist ein bürokratisches Scheiß-Monster!«, das ist das Fazit des Flyers.

Max ist einer der Betroffenen des beschriebenen Szenarios. Seinen vollständigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Er hatte sich an die »Stadtteilgruppe im Schillerkiez« gewandt. Sie trifft sich im Neuköllner Stadtteilladen Lunte und setzt sich für die Selbstorganisation von einkommensarmen Menschen ein. »Nachdem wir über den Fall in sozialen Netzwerken informiert hatten, meldeten sich weitere Personen, die wegen einer fehlenden Kundennummer auf ihrem Sozialticket 60 Euro zahlen sollten« erklärt Pia von der Stadtteilgruppe. Zusammen mit den anderen Aktivist*innen verteilt sie vor dem BVG-Kundenzentrum auch Flyer mit Tipps für einkommensarme Menschen im öffentlichen Nahverkehr.

»Wenn jemand mit einem Sozialticket vergessen hat, die Kundenummer einzutragen, soll das ausdrücklich kein Anlass für eine Strafgebühr von 60 Euro sein«, erklärte Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) schon am vergangenen Dienstag während der Senatspressekonferenz und verwies auf Berichte von Nutzer*innen, die 60 Euro zahlen sollten, weil auf ihren Tickets die Kundennummer fehlte. Kipping verkündete auf der Konferenz nicht nur die Verlängerung des Neun-Euro-Sozialtickets bis Ende des Jahres, sondern auch die Verlängerung der Übergangsregel bis Ende April, nach der eine Kopie des Leistungsnachweises beim Sozialticket reicht. Zudem habe die BVG in Gesprächen zugesagt, dass Ticket-Kontrolleur*innen kulant vorgehen sollen, so die Sozialsenatorin.

Bei der BVG scheint das allerdings noch nicht angekommen zu sein. »Schon nach 15 Minuten haben wir Menschen getroffen, die auch trotz Sozialticket Strafe zahlen mussten. Auch weil sie nicht wussten, welche Nummer sie eintragen sollten«, erklärte einer der Sozialaktivist*innen zu »nd«.

Als ernüchternd beschreibt Max die Reaktion der BVG-Mitarbeiter*innen auf den Videoausschnitt mit Kippings Klarstellung aus der Senatspressekonferenz, den Max ihnen zeigen wollte. Ein Abteilungsleiter habe ihm erklärt, es gäbe keine Dienstanweisung, nach der Kontrolleur*innen Kulanz bei einer fehlenden Kundennummer zeigen sollen. Das Video mit der Stellungnahme der Sozialsenatorin reiche nicht als Beweis. Solange es keine schriftliche Anweisung gibt, sei nichts geklärt. Maximal wollte er Max eine Fristverlängerung geben, sodass er zunächst keine Post von einem Inkassobüro bekommt, wenn er die 60 Euro nicht fristgerecht zahlt.

»Eine der betroffenen Personen ist 74 Jahre und musste aus Spandau zum BVG-Kundenzentrum nach Berlin-Friedrichshain fahren. Das bedeutet Stress«, erklärt Pia von der Stadtteilgruppe gegenüber »nd«. Sie ist frustriert, dass nur die Fristen für die Zahlung der 60 Euro verlängert wurden, aber sich die BVG nicht darauf einlassen wollte, die Nachgebühr aus Kulanzgründen zu erlassen.

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