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Jobcenter soll die ganze Miete zahlen

Wegen des Wohnungsmangels müssen höhere Kosten übernommen werden als vorgesehen

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 2 Min.

Wer auch in die Ende vergangenes Jahr überarbeitete Ausführungsverordnung Wohnen (AV Wohnen) und die dazugehörige Tabelle blickt, fühlt sich um Jahrzehnte zurückversetzt. Für eine alleinstehende Person, für die 50 Quadratmeter Wohnraum als angemessen gelten, wird dann ein Mietrichtwert ermittelt, der weit unter dem liegt, was man in der Regel auf dem Wohnungsmarkt findet. Die AV Wohnen legt fest, welche Kosten für die Unterkunft für Sozialhilfeempfänger und Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom Amt übernommen werden. Wer über den Grenzwerten liegt, ist gezwungen, die Differenz aus dem Regelbedarf zu bestreiten.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat nun der Klage einer alleinlebenden Hartz-IV-Empfängerin (Az. L 32 AS 1888/17) stattgegeben, die für die Jahre 2015 und 2016 gegen das Jobcenter auf eine Übernahme der vollen Kosten für Miete und Heizung in Höhe von damals rund 640 Euro für eine 90 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung geklagt hat. Eine günstigere Wohnung zu finden, sei nicht möglich gewesen aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes.

Das Jobcenter hielt allerdings lediglich 480 Euro für angemessen und berief sich dabei auf die AV Wohnen, die die Grenzen aus dem Mietspiegel für einfache Wohnlagen ausweist. Um dies zu tun, müssten Wohnungen zum als angemessen angesehenen Mietpreis aber tatsächlich auch zur Verfügung stehen, so das Gericht.

Dies verneinte das Landessozialgericht mit Verweis auf den Wohnraumbedarfsbericht der Senatssozialverwaltung, der mehrere Zehntausend Haushalte auflistet, deren Mietkosten über den Grenzwerten des Jobcenters liegen und auf die Angebotslücke in Berlin verweist. Die Höchstgrenzen seien zudem für Berlin ungeeignet, weil, diese zugrunde gelegt, selbst viele Sozialwohnungen unangemessen teuer wären.

Das bedeutet, dass Mieten von Sozialwohnungen nicht als unangemessen angesehen werden können. Der Angemessenheitsprüfung können nicht die durchschnittlichen Kosten im Mietspiegel zugrunde gelegt werden. »Der 32. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass bei der Beurteilung der Frage, in welcher Höhe Mietkosten von den Jobcentern zu übernehmen sind, ein Vergleich mit den Mieten für Sozialwohnungen zu erfolgen hat«, schreibt das Gericht in einer Mitteilung.

Im konkreten Fall sah das Gericht bei solch einem Vergleich mit Sozialwohnungen den Wohnraum der Klägerin als noch angemessen an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, eine Revision beim Bundessozialgericht wurde wegen »grundsätzlicher Bedeutung« zugelassen.

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