Wie echt sind die Leaks?

Auch Verbündete offenbar von Washington ausgespäht

Seit Wochen kursieren im Internet offensichtlich geheime Briefings, die von US-Stellen wie dem Verteidigungsministerium und Geheimdiensten zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine sowie zu anderen geopolitischen Krisenherden wie dem Südchinesischen Meer verfasst wurden. Erste Leaks erschienen bereits Anfang März auf der Gamer-Plattform Discord, später folgten russische Telegram-Kanäle, dort wurden jedoch nur Screenshots von teils zerknitterten Papieren veröffentlicht. Die Recherche-Plattform Bellingcat will zudem Beweise dafür gesammelt haben, dass einige der Dokumente sogar noch früher online gestellt worden sein könnten.

Anders als bei Wikileaks-Veröffentlichungen ist das nun geleakte Material taufrisch. Zur Ukraine enthält es etwa Angaben über Waffenlieferungen und Munitionsverbrauch beider Kriegsparteien, außerdem zu Standorten und Frontverläufen. Die darin genannten Zahlen lassen jedoch auf eine nachträgliche Bearbeitung und so auch auf mögliche Urheber schließen – einige Angaben spielen etwa die russischen Toten deutlich herunter.

Die Leaks enthüllen die Schwächen der ukrainischen Land- und Luftverteidigung zu einem Zeitpunkt, in dem die Regierung in Kiew seit Tagen eine Frühlingsoffensive ankündigt – und hierfür den Veröffentlichungen zufolge zu wenig Kapazitäten haben soll. Ukrainische Offizielle spielen dies herunter und bezeichnen die Dokumente als gefälscht. CNN will jedoch über eine dem Büro des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nahestehende Quelle erfahren haben, dass Kiew bereits einige seiner Militärpläne geändert hat.

Bis jetzt ist unklar, woher das Material mit rund 100 Seiten stammt. Angeblich haben darauf Hunderte von Menschen in der gesamten Regierung Zugriff. Das US-Verteidigungsministerium hat nun eine »behördenübergreifende Anstrengung« unternommen, um die Auswirkungen zu bewerten, sagte die stellvertretende Pressesprecherin des Pentagon, Sabrina Singh, am Sonntag. Auch Vertreter der Plattform Discord arbeiteten Berichten zufolge daran mit. US-Beamte hätten laut Singh am Wochenende mit Verbündeten und Partnern über das Leak gesprochen.

Besonders die sogenannten Five-Eyes-Staaten dürften sich über die Veröffentlichungen ärgern. Dies sind neben den USA die Regierungen in Australien, Kanada, Neuseeland und Großbritannien, die in dem Zusammenschluss geheime und streng geheime Informationen teilen. »Wir erwarten, dass die USA uns in den kommenden Tagen eine Schadensbewertung mitteilen, aber wir können ihre Bewertung nicht abwarten. Im Moment machen wir unsere eigenen«, soll ein Beamter aus einem Land, das zu den »Fünf Augen« gehört, zu CNN gesagt haben.

Die Leaks geben einen seltenen Einblick, wie die US-Regierung auch Verbündete ausspioniert. Unter den Zielen der Aufklärung waren Berichten zufolge auch Südkorea und Israel. Für Kontroversen sorgt etwa ein Geheimdienstbericht, der von der CIA erstellt worden sein soll. Darin heißt es, dass der israelische Geheimdienst Mossad zu Protesten gegen die neue rechtsextreme Regierung ermutigt habe – »einschließlich mehrerer ausdrücklicher Aufrufe zum Handeln«. Das Büro des israelischen Premierministers bezeichnete dies als »verlogen und ohne jegliche Grundlage«.

Ein weiteres geleaktes Dokument trägt den Titel »Wege zur Bereitstellung tödlicher Hilfeleistung für die Ukraine« und bezieht sich ebenfalls auf Israel. Darin wird vermutet, dass die Regierung in Jerusalem Waffenlieferungen an die Ukraine »unter erhöhtem US-Druck« in Betracht ziehen könnte.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal