Rückkehr zur Entspannungspolitik gefordert

Rund 4000 Menschen demonstrieren auf dem Römerberg in Frankfurt am Main

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor dem US-Generalkonsulat in Frankfurt am Main stehen am Montag rund 80 Menschen und verlangen Abrüstung und sofortige Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg. Der Hauptredner dieser Kundgebung im Rahmen des diesjährigen Ostermarsches in Frankfurt, Matthias Jochheim, meint, dass das Konsulat mit seinen 900 Mitarbeitern die richtige Adresse für den Protest sei. Er verlangt von der US-Regierung die Reaktivierung etlicher Abkommen der Entspannungspolitik: den INF-Vertrag, der die Abrüstung von Kurz- und Mittelstreckenraketen vorsah, das Open-Skies-Abkommen sowie das ABM-Abkommen, das eine Begrenzung von Raketenabwehrsystemen zum Ziel hatte. Jochheim, Mitglied der Friedensgruppe der Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), appelliert, weitere Eskalation zu verhindern. Im Vorfeld wurde im Schreiben zum Frankfurter Ostermarsch die Auflösung der Einsatzleitung des US-Army-Hauptquartiers in Wiesbaden gefordert, das für den Einsatz der Mittelstreckenraketen zuständig ist.

Jürgen Rentz von der Gewerkschaft erziehung und wissenschaft (GEW) folgt als Redner und erzählt von der wachsenden Zustimmung für Initiativen wie den Friedensaufruf des Historikers Peter Brandt. Noch sind es Gewerkschafter aus der zweiten Reihe wie der ehemalige DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, die die Initiative unterstützen. Bald soll es auch die aktive Spitze der Gewerkschaft sein. Zuhörer sind auch junge Teilnehmer, etwa Fiona Riemann, Anfang 20, aus der Linken Wetterau. Steven, im selben Alter, tritt mit DKP-Fahne auf. »Ich bin junger Russe und kann jetzt auf lange Sicht meine Verwandten in Russland nicht besuchen. Meine Mutter ist Russin und redet seit Jahren gar nicht mehr über Politik. Ich lebe mit ihr alleine.« Die Demonstration führt dann auch am russischen Konsulat vorbei, auf dem Weg zur Hauptkundgebung am Römerberg. Linke-Mitglieder singen Lieder von Bertolt Brecht: »Der Prolet bezahlt die Niederlage; der Prolet bezahlt den Sieg«.

Der Mainzer Friedensaktivist Harald Gewehr sagt zu »nd«, dass die Teilnehmerzahl an den Ostermärschen während des Irakkrieges viel größer war, schließlich sei jetzt der Angreifer keine westliche Macht. Die Teilnehmerzahl am diesjährigen Ostermarsch in Mainz war nach Ansicht des Aktivisten Franz Nadler von der Gruppe Connection vielleicht erhöht, aber keineswegs von rechts unterwandert, wie von manchen im Vorfeld befürchtet. »Querdenker« haben Flugblätter für eine eigene Veranstaltung verteilt, jedoch ohne nennenswerten Zuspruch.

Die Ostermärsche fingen in Großbritannien in den 1950er Jahren als Anti-Atomwaffen-Protest an. Auch Matthias Jochheim vom IPPNW beschreibt, wie ihn die Szenen aus der Ukraine an die Ruinen in Köln während seiner Kindheit erinnern. Seine Organisation ist sich sehr bewusst, dass Atomkriege aus konventionellen Kriegen entstehen können. Es ist diese Angst vor dem Atomkrieg, die den verbindenden Konsens bei diesen Ostermärschen bildet. Bei dem Ostermarsch in Büchel kritisiert etwa Brigitte Hansen-Barbi von der Arbeitsgemeinschaft Frieden Trier Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für ihre Zustimmung zur nuklearen Teilhabe Deutschlands: »Das ist eine Zustimmung zur Stationierung der neuen F-35 Kampfjets in Büchel, mit denen die noch zerstörerischen neuen Atombomben ans Ziel gebracht werden sollen.«

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Die Meinungen der Aktivisten in der westdeutschen Friedensbewegung sind differenziert. Nadler und Gewehr erzählen von ihrer Arbeit mit ukrainischen und russischen Kriegsdienstverweigerern. »Bezüglich des Krieges in der Ukraine herrscht vielfach die Ansicht vor, sich auf eine Seite stellen zu müssen. Das muss ich aber ganz und gar nicht. Ich kann in der Tat nicht verstehen, warum die Ukraine so agiert, als könnte sie irgendwas gewinnen, statt alles zu tun, damit es zu einem Frieden kommt«, sagt Gewehr. »Ich sehe Russland schon lange nicht mehr als irgendwie sozialistisch. Vor Jahren hat uns ein befreundeter russischer Pazifist, Vadim Damier, in Mainz besucht. Er hat hin und wieder in deutschen Zeitschriften Artikel unter seinem Namen veröffentlicht. Jetzt weiß ich nicht, ob er überhaupt noch lebt.« Gewehr las auf der Mainzer Kundgebung ein Statement des ukrainischen Kriegsdienstverweigerers Kyryll Moltschanow, der an einem Sieg seines Landes zweifelt und mittlerweile wohl in Asien untergetaucht ist: »Je später der Krieg endet, desto schwieriger wird es für die ukrainische Gesellschaft, zu einer politischen Kultur und zu sozialen Umgangsweisen zurückzukehren, die auf Respekt vor den Meinungen von Andersdenkenden beruhen«, Moltschanow.

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