Ostermärsche: Frieden um jeden Preis?

Für einen Teil der Friedensbewegung war Frieden immer wichtiger als Antifaschismus. Er droht mehrheitsfähig zu werden.

  • Kerstin Köditz
  • Lesedauer: 5 Min.
Schon nicht mehr nur rechtsoffen: Pro-russische Friedensdemonstration in München am 5. April.
Schon nicht mehr nur rechtsoffen: Pro-russische Friedensdemonstration in München am 5. April.

Die Friedensbewegung war immer pluralistisch und nie nur links. Rechtsoffene Positionen sind jedoch nicht mehr marginalisiert.

Das Friedensbündnis NRW beantwortete die Proteste gegen seine Friedensdemonstration am 25. März in Düsseldorf mit dem Neonazi-Lied »Dumm, dümmer, Antifa«. Das sollte erstaunen, schließlich gehören zum Bündnis auch Gruppen, die sich als dezidiert links verstehen wie die Antikriegs-AG von Aufstehen Bonn. Als links versteht sich auch der Kundgebungsredner Diether Dehm, der nicht nur redet, sondern auch den Song »Ami go home« zu Gehör bringt. Michael Aggelidis hat die Linkspartei, für die er im Landtag saß, dagegen verlassen und ist jetzt für die esoterisch-verschwörungsgläubige Partei »Die Basis« aktiv. Er reißt sein Publikum zu Beifall hin, als er von der Bühne verkündet: »In der Ukraine sind nur noch Nazi-Parteien erlaubt, die Presse ist gleichgeschaltet, oppositionelle Meinungen sind nicht mehr zugelassen.«

Auf der nächsten Kundgebung am 22. April soll Hermann Ploppa reden. Er ist Bundestagskandidat der Basis und Buchautor mit – gelinde gesagt – eigenwilligen Thesen: »Hitlers amerikanische Lehrer. Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus«. Er wird ergänzt durch den Aachener Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und langjähriges Mitglied des Parteivorstandes.

Kooperationen wie diese in Düsseldorf sind in ihrer Zusammensetzung und in ihren Aussagen keineswegs einmalig. Sie sorgten bereits im Vorfeld der Ostermärsche für heftige Auseinandersetzungen. In Fulda zogen sich DGB, IG Metall und der Verein »Fulda stellt sich quer« aus dem Ostermarsch zurück, da die Organisator*innen Diether Dehm als Redner eingeladen haben. Beim Ostermarsch in Berlin kracht es ebenso wie in Bremen, Hamburg, Magdeburg…

Die paradoxe Situation ist absehbar, dass ausgerechnet zur Zeit eines mörderischen Krieges in Europa die Beteiligung an den österlichen Friedensaktionen noch geringer sein wird als in den Vorjahren. Die Vorwürfe der linken Kritiker*innen sind überall dieselben: Zusammenarbeit mit rechten und rechtsoffenen Gruppen, mangelnde Abgrenzung gegenüber der extremen Rechten, Nähe zu den Positionen von Putin, Ablehnung von Maßnahmen gegen Russland. Ebenso unisono erfolgt die Zurückweisung der Vorwürfe: »Der Bombe, die fällt, ist es egal, ob du rechts oder links bist«, alle, die »ehrlichen Herzens für den Frieden sind«, seien willkommen, denn die Gattungsfragen seien wichtiger als sonstige Differenzen.

Als Vorbild wird von dieser Seite immer wieder der »Krefelder Appell« gegen die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in der BRD aus dem Jahr 1980 angeführt, denn auch dessen Initiator*innen hätten sich auf einen Minimalkonsens geeinigt, um größtmögliche Wirksamkeit zu erzielen. Tatsächlich wurde damals immer wieder betont, dass man »bis weit in den Konservatismus hinein« wirken wolle. Damals unterschrieben über vier Millionen Menschen, Hundertausende kamen zur Demonstration in den Bonner Hofgarten. Heute gibt es ein Remake, den »Neuen Krefelder Appell« von 2021. Unterschrieben haben ihn bisher etwas mehr als 6 000 Personen, ganz oben auf der Liste der Erstunterzeichner steht der Name Michael Aggelidis. Das politische Spektrum ähnelt dem des Friedensbündnis NRW.

Ist es die zielgerichtete Arbeit an einer sogenannten Querfront, die sich hier abzeichnet, die von etlichen Wortführern der extremen Rechten wie Jürgen Elsässer geradezu herbeigesehnt wird? Ist es den betreffenden Linken schlicht egal, mit wem sie marschieren? Ist ihnen der »Kampf für den Frieden« schlicht wichtiger als der Antifaschismus? Frieden um jeden Preis? Oder gibt es gar tatsächlich eine inhaltliche Verbindungslinie für solche Erscheinungen zwischen der Friedensbewegung des historischen »Krefelder Appells« und seiner heutigen Wiederkehr als Farce? Es wäre sicherlich ebenso falsch, zu behaupten, dass die Geschichte der Friedensbewegung ein roter Querfront-Faden durchzieht, wie es falsch wäre, ihr eine Art antifaschistischer Unschuld zuzuweisen. Die Maxime des Schwurs von Buchenwald »Nie wieder Krieg! Nie mehr Faschismus!« galt eben nicht immer uneingeschränkt. Leider.

Begriffsschöpfungen wie Nationalpazifismus scheinen ein Widerspruch in sich zu sein. Doch schon 1909 hieß es im Monatsblatt »Der Friede«: »Die immer unerträglicher werdenden Lasten der furchtbaren Rüstungen und die immer entsetzlicher werdenden Kriege einerseits zwingen die Nationalisten ebenso zur allmählichen Anerkennung pazifistischer Forderungen (im nationalen Interesse!), wie die von Tag zu Tag sich deutlicher manifestierende Wucht des völkischen Gedankens anderseits die Friedensfreunde zwingt (im pazifistischen Interesse!), die nationalen Forderungen nicht länger als quantité negligable zu behandeln.« Es handelte sich um eine Minderheitenmeinung. Sie blieb es auch in der Geschichte der Friedensbewegung.

Aber sie fand ihre Fortsetzung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Beispiel dafür ist der Nationalneutralismus der Nachkriegszeit, der seine Anhänger*innen sowohl in linken Gruppen als auch in Formationen der extremen Rechten hatte. Was wiederum dazu führte, dass sich in der Deutschen Friedens Union (DFU), der wohl wichtigsten Trägerorganisation des »Krefelder Appells«, auch Personen als Funktionäre und Kandidaten fanden, die einen Vorlauf in der extremen Rechten hatten, wie Gerhard Bednarski, Anfang der sechziger Jahre Landesvorsitzender der DFU in Niedersachsen, der vorher Redakteur des Parteiorgans der DRP, der Vorgängerin der NPD, war. Harold Rasch, ehemaliger Mitherausgeber der renommierten »Blätter für deutsche und internationale Politik« war zur gleichen Zeit Erstunterzeichner des rassistischen »Heidelberger Manifests«.

Diese Strömung, die Frieden wichtiger fand als Antifaschismus, war in der Vergangenheit in der Friedensbewegung nie mehrheitsfähig. Sie droht es heute zu werden. Zu Zeiten des »Krefelder Appells« war diese Strömung eingebettet in einen linken Mehrheitsdiskurs, konnte deshalb nur schwach wirksam werden. Dieser Zustand ist heute nicht mehr gegeben. Die Öffnung für jene Rechten, die »ehrlichen Herzens für den Frieden sind«, kann deshalb nur zur weiteren Stärkung dieser extremen Rechten führen.

Kerstin Köditz ist Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im sächsischen Parlament.

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