Christian Petzold: »Im Kino sind wir an- und abwesend zugleich«

Regisseur Christian Petzold über seinen neuen Film »Roter Himmel«

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 6 Min.
Schriftsteller Leon (Thomas Schubert) und Eisverkäuferin Nadja (Paula Beer) in »Roter Himmel«
Schriftsteller Leon (Thomas Schubert) und Eisverkäuferin Nadja (Paula Beer) in »Roter Himmel«

In »Roter Himmel« treffen die Jugendfreunde Leon und Felix in einem Ferienhaus zwischen Wald und Meer auf Nadja und Devid. Ursprünglich hatte der Film den Arbeitstitel »Die Glücklichen«. Kann man überhaupt von den Glücklichen sprechen? Leon, der als Schriftsteller arbeitet, scheint den Sommer nicht zu genießen, sondern verzweifelt an seinem zweiten Roman

Interview

Christian Petzold wurde 1960 in Hilden geboren. Er studierte Germanistik und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin, anschließend von 1988 bis 1994 Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Für seinen Film »Barbara« erhielt er 2012 auf der Berlinale den Silbernen Bären für die Beste Regie und für »Roter Himmel« den Großen Preis der Jury. Petzold ist verheiratet und lebt in Berlin.

Ich wollte »Die Glücklichen« in so einer Zweideutigkeit benutzen. Einerseits sind diese Menschen glücklich, weil sie da Urlaub machen und Spaß haben, andererseits steckt in »Die Glücklichen« auch ein abfälliger Gedanke. Als das mit Covid begann, gab es eine Art Grundstimmung gegenüber den jungen Menschen: »Jetzt sind eure Ferien vorbei, ihr Glücklichen! Wir haben für euch alles aufgebaut und ihr seid nur am Konsumieren! Jetzt lernt ihr mal den Ernst des Lebens kennen. Ihr werdet euch noch wundern, was passiert!« Das war so ein bisschen der Gedanke.

Also bauen sich die vier eine Scheinwelt auf?

Ja, ein bisschen.

Leon muss loslassen, um sich zu kreativen Höhenflügen aufzuschwingen. Ist das eine Anspielung auf die deutsche Leistungsgesellschaft?

Das braucht man in Deutschland in dem Film nicht anspielen. Wir leben da drin. Die Klimakatastrophe, brennende Wälder, Identitätsbildung, dass man die Jugend nicht verschwenden darf, all das ist Stoff, es ist aber nicht Thema. Ich weiß nicht, woher das kommt, dass wir so themaaffin sind. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass bei uns die Journalisten die Filme machen. Es ist einfacher, über einen Film zu sprechen, der ein Thema hat. Auch die Berlinale kämpft dagegen an, ein Festival des politischen Films, des Themenfilms zu sein! Ich finde, das Wunderbare an Erzählungen ist ja, dass sie nicht thematisieren, sondern alles ist in ihnen drin. Wir müssen uns zu diesen Erzählungen als Zuschauer ins Verhältnis setzen.

Stimmt es, dass Sie die Handlung erträumt haben?

Ja. So ist, glaube ich, das Traumhafte in die Drehbücher hineingeraten. In vielen Filmen, die ich liebe, legen sich Leute nachmittags hin. Der Vorhang weht und man träumt sich so ’ne halbe Stunde weg. Man ist in einem Halbtraumzustand. Irgendwann dachte ich mir: Das ist Kino. Im Kino sind wir anwesend und abwesend zugleich.

Welche Szenen kamen durch den Mittagsschlaf dazu?

Ich habe mir im Einschlafen erträumt, wie es weitergehen könnte. Die Gefahr besteht aber, dass man so von seinem eigenen Traum begeistert ist, dass man dann später, wenn man die Drehorte sucht, unbedingt die Traumorte finden will. Als wir das Forsthaus gefunden haben, wusste ich sofort: Das isses!

Klingt perfekt!

Wir sind ein bisschen reingelegt worden, weil der Förster, der uns das Haus gezeigt hat, behauptete, dass es keine Mücken gibt. Das war natürlich eine Lüge! Wenn man dann noch nachts dreht mit künstlichen Beleuchtungskörpern, dann kommen Milliarden von Mücken an. Dann habe ich eine Entscheidung getroffen, die auch was mit den traumhaften Mittagsruhen zu tun hat. Ich wollte nicht in realen Nächten drehen. Ich finde, dass dieser Sommer, in dem dieser Film spielt, ein traumhafter Sommer ist.

Also drehten Sie mit blauem Filter?

Ja, das Verfahren nennt sich amerikanische Nacht. Ich habe am amerikanischen Kino, besonders im Western, immer die amerikanische Nacht geliebt, weil man das Gefühl hat, dass man in einer Vollmondnacht ist. Da gehört der blaue Filter dazu, und man dreht bei einer bestimmten Sonnenkonstellation. Nicht mittags, sondern wenn die Schatten ein bisschen länger sind. Und man darf den Himmel nicht so oft ins Bild bringen.

Sie haben auf den 77. Internationalen Filmfestspielen in Venedig den »Women in Cinema Award« bekommen, weil Sie so viele Frauenporträts gedreht haben. Das Spannende ist in »Roter Himmel«, dass man eben nicht darüber nachdenkt, dass Nadja die einzige Frau unter drei Männern ist.

Wenn Nadja eine Frau wäre, die alle begehren würden, so eine Frau ist aus den 30er, 40er, 50er Jahren oder des neuen deutschen Films, wo leider solche Frauenfiguren immer noch umhertapsen und alle sagen würden: »Boah, sieht ja geil aus!«, würde alles misslingen und dann wäre alles Mist. Die Menschen in »Roter Himmel« sind eine Gruppe. Alles ist komplex und simpel im selben Moment. Sie schläft mit dem Bademeister, der schläft aber wiederum später mit einem Mann. Der einzige, der nicht richtig zur Gruppe gehört, ist unser Schriftsteller. Leon hat noch ein altes Frauenbild. Er läuft noch einer Frau mit einem roten Kleid hinterher. Er kann sein eigenes Begehren nur durch Abfälligkeiten äußern. »Die Russin« oder »ihr Stecher«.

Mit Paula Beer und Matthias Brandt, der Leons Verleger spielt, haben Sie mehrfach gearbeitet, mit Enno Trebs drehten Sie »Undine«. Dann kamen Thomas Schubert und Langston Uibel dazu. Wie wichtig war diese Zusammensetzung für Sie?

Die verstorbene Freundin und Castingagentin Simone Bär hatte einen großen Einfluss auf die Zusammensetzung. Für sie zählte der Ensemblegedanke: Ein Ensemble ist die Identität. Langston und Thomas kannte ich nur aus Filmen. Ich hatte viele Filme mit den beiden angeschaut oder Ausschnitte davon. Enno und Langston haben in »Freistatt« schon zusammengespielt. Dann hat mir Simone gezeigt, dass Paula und Thomas in »Das finstere Tal« schon mal verheiratet waren. Also waren sie ja schon zusammen! Und jetzt, zehn Jahre später, begegnen sie sich wieder. Das Hochzeitsbild von den beiden habe ich mir während des Drehs immer wieder angeschaut.

Letztlich baut sich der Film wie Leons Roman auf. Nur langsam gleitet man hinein und doch ist von Anfang an alles da: der Wald, die Löschhubschrauber, die Wildschweine

Das ist das Tolle! Als ich damals Deleuze in den 70er Jahren gelesen habe, schrieb er über den Begriff des Werdens. Das Kino ist dann wunderbar, wenn es wird. Wir sehen am Anfang des Films die Wälder. Wir sehen, dass etwas kaputt geht und etwas explodiert und wie zwei Freunde auseinandergehen. Wenn der Film zu Ende ist und wir uns retrospektiv an den Anfang erinnern, merken wir, dass etwas geworden ist. Nur, dass wir es am Anfang noch nicht wahrnehmen konnten.

»Roter Himmel«: Deutschland 2023. Regie und Buch: Christian Petzold. Mit: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs und Matthias Brand. 103 Min. Start: 20. April.

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