Italien läuft wegen historischer Dürre auf Grund

Bereits das vergangene Jahr brachte in Italien Megadürre und Rekordniedrigwasser. Nun kündigt sich der nächste Hitzesommer an

  • Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 7 Min.

»Ich rede nicht mehr über kontroverse Themen, das bringt doch nur Unglück.« Der alte Mann steht am Ufer des italienischen Flusses Po und kratzt sich besorgt am Ohr. Vor einigen Jahren, so erzählt er, habe er vor einer Erdbebengefahr in Sermide gewarnt. Das ist eine Kleinstadt mit rund 6000 Menschen, etwa 50 Kilometer flussabwärts. »Kennen Sie die?«, fragt er. Damals habe er etwas gespürt. Vielleicht ein Zittern? Irgendwas. Er wusste nicht ganz genau, was es war, aber da sei etwas im Anmarsch gewesen. Ganz sicher. Also habe er Alarm geschlagen. Doch damals lachten ihn nur alle aus. Wenig später bebte die Erde tatsächlich. 

Die Erdbeben in Norditalien 2012 waren eine Serie von Erschütterungen, die folgenreichsten waren jene der Stärke 6,1 am 20. Mai 2012 und der Stärke 5,8 wenige Tage später am 29. Mai. »Sie haben bestimmt davon gehört«, sagt der Mann. Dutzende Frauen, Kinder und Männer wurden unter Trümmern, Steinen und Hausrat verschüttet. Beim ersten Beben starben sieben Menschen, das zweite forderte 17 Todesopfer. Die Bilder flimmerten weltweit über die Fernsehgeräte. 

Der Mann schaut durch seine Sonnenbrille, zieht die schwarzen Augenbrauen hoch. Es sei für ihn mittlerweile auch einfach besser, nur noch über das Gute zu reden. Davon gibt es in Norditalien aber nicht mehr so viel, insbesondere wenn es um weitere Auswirkungen der Klimakrise auf die Region geht: Das italienische Alpenvorland trocknet seit Jahren aus. Eine historische Wasserkrise. Hinter dem Rücken des Mannes, der sein ganzes Leben in der sonst so fruchtbaren Po-Ebene verbracht hat, schleppt sich der flüssige Rest des längsten Flusses Italiens kraftlos in Richtung Adria. 

Auf der einen Flussseite liegt der Ort Borgoforte. Auf der anderen Motteggiana, beide sind kleine Gemeinden in der norditalienischen Tiefebene, Provinz Mantua, Lombardei. Sie werden von riesigen Brücken verbunden, die über den Po führen. Doch ein Detail fehlt: das Wasser. Der Fluss ist zu einem flachen Rinnsal verkommen. »Es gibt halt kein Wasser mehr. Kein Regen, kein Schnee«, erzählt der alte Mann weiter. »So steht es in der Apokalypse, lesen Sie die Bibel nicht?«, fragt er nach einem langen Lamento über die Liebe seines Lebens, einen Scheidungskrieg und Psychotherapie.

Die historische Dürre hat den Po, immerhin einer der wichtigsten Flüsse Europas, traurig gemacht wie einen einsamen Rentner ohne Liebe. Die flüssige Lebensader des italienischen Nordens schiebt sich nur noch in Zeitlupe unter einer rostigen Eisenbahnbrücke hindurch. Meterweit ragen die Brückenpfeiler aus dem matt dahinfließenden Blau, ihre Schatten spiegeln sich knöchern wie die knorrigen Arme und Beine der bekannten Figuren des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti. Heute erinnern an Brückenpfeilern angetrocknete Algenringe mit Muscheln an die vergangene Macht des Wassers. Sie erzählen von der Fruchtbarkeit und dem Wohlstand, mit dem der Strom seit Menschengedenken Felder, Mensch und Tier versorgt hat. 

Weiter hinten klafft eine riesige Sandbank in der Landschaft. Die Klimakrise, die in Italien wie eigentlich überall nur von den Jungen und den üblichen Verdächtigen bei ihrem Namen genannt wird, hat in den Alpen für viel zu wenig Winterschnee gesorgt. Jetzt fehlt im Frühling in den Tälern das abschmelzende Alpenwasser. Dazu kommt, dass zu wenig Regenwolken die neujährliche Regenzeit bisher fast vollständig haben ausfallen lassen. Dabei brachte schon der vergangene Sommer Megadürre und Rekordniedrigwasser. Jetzt also müssen die Gewässer im inneren Alpenbogen – im Norden die Alpen, im Süden das Hügelland von Monferrato – ohne Erholung und Auffüllung in den nächsten Hitzesommer gehen. Es wird wohl wieder ein Sommer unter der heißen Sonne Italiens, für den Meteorologen schon jetzt extreme Dürre und Hitze voraussagen.

Am steilen Flussufer liegt ein metallenes Fährboot auf dem ausgetrockneten Flussbett, sinnlos festgekettet an einem schwimmenden Ponton. Auch die Anlegestelle liegt bereits auf Grund. Auf einer zwergenhaften Insel, die sich in der Flussmitte an einem der Brückenpfeiler neu gebildet hat, schützt sich ein Angler mit einem Sonnensegel vor der Frühlingshitze. 

»Gut, das Wasser ist jetzt halt weg«, beendet der alte Mann das flüchtige Gespräch und kickt mit seinen weißen Turnschuhen ein paar Steine über den staubigen Parkplatz: »Aber was kann man machen?« Lieber gar nicht drüber reden. »Buon viaggio!«, sagt er und steigt in seinen Ford.

Am Gardasee, knapp eine Autostunde nördlich, hat die Jahrhundertdürre alte Inseln zu Halbinseln gemacht. »Durchgang zur Insel von San Biagio verboten!« steht auf einem frisch aufgehängten Schild der Gemeindeverwaltung von Manerba del Garda, einem kleinen Badeort im Süden von Italiens größtem Binnengewässer. Das Schild soll Neugierige davon abhalten, am neu entstandenen Steinufer entlang zur beliebten Touristenattraktion zu klettern. 

Die steilen Ufer der Villengrundstücke im südlichen Teil des Gardasees, die einst durch das Wasser von der Außenwelt abgetrennt waren, sind wegen des gesunkenen Pegels zum Durchgangsweg für Touristen und Einheimische geworden. Es riecht leicht verfault, wie überall am Gardasee, wo Schilf und Schlick in der Sonne vor sich hin gären. Mehrere Betonplattformen, in Ufernähe für Boote und Badende in den Seegrund gegossen, können nur noch als skurrile Schattenspender herhalten – so weit hat sich das Seewasser mittlerweile zurückgezogen.

Der Gardasee ist unter den großen Seen Italiens am stärksten in der Krise, heißt es von Italiens Kleinbauernvereinigung Coldiretti. Mit einem Wasserstand von im Schnitt nur 46 Zentimetern sei ein neuer Negativrekord gemessen worden. Das sind 60 Zentimeter unter dem Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte. Das wichtigste Wasserreservoir der Region bringt es somit nur noch auf eine Füllung von 36 Prozent. 

Aber auch in den anderen Seen ist die Situation dramatisch. Der Comer See ist nur zu 23 Prozent gefüllt, der Iseo zu 26 Prozent, der Lago Maggiore zu 45 Prozent. Und so wundert es nicht, dass die idyllische Ausflugsinsel Isola di San Biagio, die in guten Zeiten nur mit dem Schiff anzusteuern war, an besonderen Tagen auch schon mal durch hüfthohes Wasser watend erreichbar ist. Heute herrscht an der schmalen Stelle Gedrängel. Dort kann man auf runden Kieselsteinen knirschend hinüberlaufen, ohne nasse Füße zu bekommen. »Ich komme von der anderen Seite«, zeigt ein Junge auf den gegenüberliegenden Ort San Felice del Benaco. Er langweilt sich, da er auf die Erwachsenen seiner Familie wartet, die sich den Sonnenuntergang anschauen wollen. Die Luft ist erst blaugrau, dann golden, die weißen Wolken sind zum Greifen nah. 

An der fast menschenleeren Strandpromenade von Torri del Benaco blubbern Luftblasen an die Wasseroberfläche. Ein Taucher verankert die glänzenden Bojen für den kleinen Gardasee-Hafen neu. Routiniert laufen hier am Ostufer die Vorbereitungen für die nächste Urlaubssaison auf Hochtouren. Auch wenn die Regierung in Rom jüngst zum Wassersparen aufgerufen hat: Am Gardasee macht man weiter, als sei nichts gewesen. Allein im vergangenen Jahr kamen 27 Millionen Gäste, die meisten rollen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Der Verkehrsinfarkt ist längst legendär. 

Die kommende Saison will neue Rekorde brechen. Ein Anwohner schneidet im Garten seine Obstbäume. »Hier kommen nur Porsche, Mercedes und BMWs«, kommentiert er über den Zaun hinweg den Lärm der Baukräne und Betonsägen auf seinem Nachbargrundstück. Nach nur einem Jahr Bauzeit eröffnet dort im Sommer das »Cape of Senses«, ein »luxuriöses Adults-Only-Boutiquehotel« auf 15 000 Quadratmetern mit 55 Suiten und Blick auf den Gardasee. Selbstverständlich achte man auf »ökologisches Bewusstsein«, baue mit »heimischen Materialien« und koche mit regionalen Produkten. Das feuchte Versprechen der Südtiroler Investoren, des Architektenpaars Hugo und Alessia Demetz, ist eine »Verbindung von Hotellerie und Natur«.

Die gesamte Landwirtschaft in Norditalien ächzt nun unter der Dürre. Bei Oliven, Wein, Pasta und Käse wird mit neuen Missernten und Produktionseinbrüchen um fast ein Drittel gerechnet. Schon gibt es Verteilungskämpfe um das knappe Wasser zwischen Bauern und Tourismuswirtschaft. Am Abend ist im Fernsehen ein Austernbauer zu sehen, der über die fortschreitende Versalzung im austrocknenden Po-Delta berichtet. Sie sei »eine Katastrophe« für den Anbau der seltenen und hochpreisigen Rosa Auster, die nur dort, im Unesco-Weltkulturerbe aufgezogen wird. 

An der Baustelle des künftigen Luxushotels »Cape of Senses« prangt indessen ein enormes Porträt des Geschäftsführers der »Eurobeton 2000«. Die Firma aus Österreich zieht den Betonriegel hoch. In der gleißenden Aprilsonne steht Weiß auf Rot: »Wir bauen für die Ewigkeit.« Nach uns die Sintflut. 

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