Ernst-Busch-Chor: »Das ist wie Leistungssport«

Aus dem Kopf singen und im Stehen: Der Berliner Ernst-Busch-Chor wird 50 – ein Gespräch

20 Lieder sollt ihr sein - für zirka 60 Sängerinnen und Sänger und einen Dirigenten. Hier beim Deutschen Chorfest in Stuttgart, 2017
20 Lieder sollt ihr sein - für zirka 60 Sängerinnen und Sänger und einen Dirigenten. Hier beim Deutschen Chorfest in Stuttgart, 2017

Der Berliner Ernst-Busch-Chor wird 50. Wie sind Sie persönlich zur Singerei gekommen?

Interview

Der Berliner Ernst-Busch-Chor wird 50 Jahre alt. Er ist ein linker Seniorenchor, für Menschen ab 60 plus. Marina Garbusowa ist 62 Jahre alt, seit Februar 2022 als Sopranistin im Ernst-Busch-Chor und seit September dessen Vorstandsvorsitzende. Horst Matschenz ist 94 Jahre alt und gehört dem Chor seit 1992 an. Er singt im Bass.

Marina Garbusowa: Ich habe schon als Kind im Schulchor gesungen, im Chor der Ernst-Wildangel-Oberschule in Mitte. Wir waren zum Beispiel 1969 bei der Eröffnung des Fernsehturms in Berlin dabei. Mein Schlüsselerlebnis war 1973 bei den X. Weltfestspielen der Jugend. Da sang unser Chor in den Vereinigten Chören auf dem damaligen Marx-Engels-Platz mit 1500 Teilnehmern die 9. Sinfonie von Beethoven, die »Ode an die Freude«. Das war sehr bewegend.

Horst Matschenz: Ich habe schon immer gesungen. 1947 habe ich den Zentralen Chor der FDJ zum 30. Jahrestag der Oktoberrevolution gehört, das hat mir sehr gefallen. Darum bin ich dann zur Chorprobe gegangen. Damals war der Komponist Eberhard Schmidt Chorleiter, der hat später das Thälmann-Lied geschrieben und das Eisenbahner-Lied: »Es rollen die Räder im ratternden Takt …«

Das Thälmann-Lied wird aber heute nicht mehr gesungen?

Garbusowa: Nein, das ist zu glorios. Im Schulchor haben wir es noch gesungen. Zum Ernst-Busch-Chor bin ich durch meine Eltern gestoßen, die dort sehr gute Freunde hatten. Ich bin dann immer zu den Januarkonzerten des Chors zum Ernst-Busch-Geburtstag gegangen und fand, dieser linke Chor, das ist meins. Ich sagte mir: Da singe ich mit, wenn ich nicht mehr arbeiten muss.

Matschenz: Ich wollte auch in den Chor der Parteiveteranen, wie der Chor früher hieß, eintreten. Das hat mir imponiert.

Wie hoch ist der Anteil von Ernst-Busch-Liedern beim Ernst-Busch-Chor? Also von den Liedern, die er auch gesungen hat?

Matschenz: Mindestens 50 Prozent.

Garbusowa: Er hat ja nicht nur Arbeiter- und Kampflieder gesungen, sondern auch sehr leise Lieder. Die haben wir auch in unserem Repertoire.

Und wer wählt das aus?

Garbusowa: Wir haben eine Arbeitsgruppe »Programm«, die unserem künstlerischen Leiter Daniel Selke Vorschläge unterbreitet. Sie wählen das gemeinsam aus. Das letzte Wort hat jedoch immer der Chorleiter, zusammen mit dem Vorstand.

Was passiert, wenn der Chorleiter krank ist? Können Sie sich selbst dirigieren?

Garbusowa: Nein, dafür sind wir zu viele. Aber wir haben eine Chorleiterin ehrenhalber, die ihn vertritt, unsere Sängerin und Pianistin Gisela Mühlbauer. Uns hat auch schon ein Chorleiter aus einem befreundeten Chor ausgeholfen.

Mit welchen Chören sind Sie denn befreundet?

Garbusowa: Unter anderem in Berlin mit dem Hans-Beimler-Chor und dem Arbeiter- und Veteranenchor Neukölln und international mit dem Oktoberchor in Kopenhagen und dem Brecht-Eisler-Chor in Brüssel. Und natürlich mit dem Ernst-Busch-Chor in Kiel. Wir können seit den 2000er Jahren auf viele gemeinsame Auftritte zurückblicken.

Sind Sie nicht auch schon im Fernsehen aufgetreten?

Matschenz: Im Jahr 2001 haben wir im Stahlwerk Brandenburg, kurz vor dessen Abriss, an einer Aufzeichnung des ZDF mitgewirkt. Dabei haben wir das Lied »Der heimliche Aufmarsch« gesungen.

Garbusowa: Und auch beim »Tatort«, bei »Bella Block« und einem Singeprojekt des RBB.

Was haben Sie außer den Ernst-Busch-Liedern noch im Repertoire?

Matschenz: Klassik von Beethoven bis Schütz. Und Volkslieder aller Nationen.

Garbusowa: Der Chor singt insgesamt in elf Sprachen, sogar Japanisch, Finnisch und Isländisch. Als ich zum Chor kam vor einem guten Jahr, da sangen wir gerade ein Volkslied aus Japan. Das ist mir unglaublich schwergefallen (lacht). Also das war der totale Wahnsinn, ja, aber man kann es lernen.

Aber Pop-Musik singen Sie nicht – keine Beatles oder Abba?

Garbusowa: Nee, das gehört nicht zum regulären Repertoire. Aber wir haben auch Lieder von Konstantin Wecker, Udo Jürgens und Mikis Theodorakis einstudiert. Wir singen Friedenslieder, sowohl aus dem 18. Jahrhundert, als auch »Die kleine Friedenstaube« und »We shall overcome«. Diese Lieder sind heute aktueller denn je. Das Singen ist unsere Art, unsere Stimme für den Frieden zu erheben, ob im Konzertsaal oder spontan auf einer Demonstration. Allerdings können wir das eine oder andere Lied heutzutage nicht mehr singen. »Meinst du, die Russen wollen Krieg« war ein Standard, aber das singt sich jetzt sehr schlecht.

Und Sie, Horst, sind der älteste Sänger?

Matschenz: Ja, aber wir haben noch einen 94-Jährigen. Ich bin im Dezember 1928 geboren und er im Frühjahr 1929. Und wir singen ein Lied, das heißt »Singen ist Leben«, und das kann ich nur bestätigen. Nur durch den Chor bin ich noch so auf Zack.

Garbusowa: Unsere älteste Sängerin wird 90 Jahre alt. Sie sind unsere absoluten Vorbilder. Da merkt man wirklich, dass Singen jung hält.

Gesungen wird ohne Textblatt?

Garbusowa: Wir singen frei, ohne Noten und ohne Text. Es gibt nur wenige Chöre, die frei singen.

Matschenz: Wir singen aus dem Kopf – und im Stehen. Ich stütze mich auf meinen Stock, dann geht das. Und auf der Bühne hab ich eine Stehhilfe, das klappt prima.

Singen ist auch eine Art Sport?

Garbusowa: Das ist wie Leistungssport. Auch für die Stimmbänder.

Matschenz: Das führt auch dazu, dass wir gut durchatmen.

Und machen Sie auch Atemtraining?

Matschenz: Ja, das gehört zur Stimmbildung.

Wie lange dauert so ein Konzert?

Garbusowa: So ein Festkonzert dauert zwei Stunden mit einer Pause. Sonst singen wir maximal eine Stunde eigentlich.

Wie viele Lieder muss man für ein Festkonzert können?

Garbusowa: 20 sind es bestimmt. Aber die sind nicht alle nigelnagelneu. Für unser Geburtstagskonzert haben wir drei neue Lieder eingeübt. Damit haben wir im Herbst begonnen.

Matschenz: Als ich 1992 in den Chor kam, da war ich beeindruckt: Mein Gott, was für ein Riesenrepertoire. Damals hatten wir vielleicht 150 Lieder drauf, aber jetzt haben wir um die 300. Deshalb haben wir auch die Chorarbeitswochen wiederbelebt. Da fahren wir gemeinsam weg und proben ganz intensiv.

Garbusowa: Drei, vier Stunden täglich. Und am Ende der Woche sind die Stimmen k.o. und wir sind es auch. Aber da werden die künstlerischen Potentiale gehoben.

Matschenz: Das schmiedet auch die Gemeinschaft.

Kann man auch als Noch-Nicht-Senior in den Seniorenchor eintreten?

Garbusowa: Ja, das geht. Man sollte 60 plus sein. Auf unserem Flyer steht: »Frisch in Rente, viel Freizeit dazugewonnen. Interesse und Freude am Singen mit Haltung«. Aber wenn man jünger ist, geht das natürlich auch. Man muss vormittags Zeit haben. Und sich auch die Zeit nehmen, an Wochenenden zu Auftritten zu kommen. Wir freuen uns wirklich über alle Interessenten. Also wer gerne mitsingen möchte, kann kommen und mal zuhören, jeden Mittwoch zwischen 11 und 13 Uhr im FMP1. Und dann gucken wir: Wo passt die Stimme rein?

Ursprünglich war es der Veteranenchor der SED, oder?

Garbusowa: Ja, er nannte sich Chor der Berliner Parteiveteranen.

Wer hatte 1973 die Idee, ihn zu gründen?

Garbusowa: Das war Reinhold Andert vom Oktoberklub. Im Vorfeld der X. Weltfestspiele hatte er zu einer Probe Berliner Parteiveteranen eingeladen. Sie haben mitgesungen, und am Schluss fragte Reinhold Andert: »Na, sagt mal, habt ihr nicht Lust, selber einen Chor zu gründen?« Damit hat er offene Türen eingerannt. Und zu den Weltfestspielen hatte der Chor schon einen ersten eigenen Auftritt.

Nachdem Ernst Busch 1980 verstorben war, schlug seine Frau Irene vor, der Chor könnte seinen Namen tragen.

Garbusowa: Ja, 1983 war das. Gründungsvater des Chors ist aber Reinhold Andert. Er wird auch bei unserem Festkonzert am 22. April auftreten. Und wir haben ihn aufgenommen als unser Ehrenmitglied.

Apropos Veteranen. Hat die SPD eigentlich auch einen Chor?

Matschenz: Davon habe ich noch nie gehört.

Und die DKP?

Matschenz: Nicht, dass ich wüsste. Aber wir sind ja seit 1990 auch kein Parteichor mehr.

Haben Sie beide ein persönliches Lieblingslied aus der Arbeiterbewegung?

Matschenz: Das »Solidaritätslied«.

Garbusowa: Ist mir jetzt auch spontan eingefallen.

Und hören Sie auch privat Ernst Busch?

Garbusowa: Na klar, aber nicht nur. Wenn ich von einem Konzert oder von einer Veranstaltung nach Hause komme und das etwas nachwirken lassen will, dann lege ich mir eine Ernst-Busch-CD ein, oder eine von Hannes Wader, Pete Seeger, Joan Baez oder vom Oktoberklub.

Meinen Freunden und mir hat früher von Ernst Busch die Zeile »Vorwärts, vorwärts, Bolschewik« besonders gefallen. Singen Sie die auch?

Garbusowa: Nein, aber in unseren Konzerten am 22. April im Babylon Berlin und am 6. Mai im FMP1 singen wir mit Ernst Busch »gemeinsam« einige seiner Lieder.

»Wir lieben das Leben« – Festkonzerte des Ernst-Busch-Chors am Samstag, 22..4., um 15 Uhr im Babylon in Berlin-Mitte (ausverkauft, eventuell Restkarten an der Kasse) und am Samstag, 6.5., um 12 Uhr im FMP1, Franz Mehring Platz 1, Berlin

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