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Roma* in Berlin: Abschiebungen mit der Brechstange

Laut Berliner Flüchtlingsrat werden die Abschiebepraktiken unter der SPD-Innenverwaltung inhumaner

Razzienhafte Kontrollen an Bahnhöfen und in der Umgebung von Wohnheimen, mehrere Abschiebeeinsätze in einer Nacht, aufgebrochene Türen und »Effizienzsteigerung«: Eine Recherche des Berliner Flüchtlingsrates zu den Abschiebepraktiken nach Moldau deutet auf eine inhumane Politik der SPD-geführten Innenverwaltung und ihrer Behörden hin. Die Datensammlung, die »nd« seit Montag exklusiv vorliegt, basiert auf Berichten von Betroffenen aus Unterkünften und zeichnet eine beunruhigende Lage für hauptsächlich moldauische Roma*: »Moldau-Abschiebungen waren schon immer grausam, aber der Druck erhöht sich«, sagt Martina Mauer vom Flüchtlingsrat zu den Entwicklungen.

Konkret geht es um drei Sammelabschiebungen im April. In den ersten beiden Fliegern saßen 90 Menschen, von denen 80 nach Moldau und 10 nach Serbien abgeschoben wurden, wie die Innenverwaltung »nd« mitteilte. Insgesamt sollen rund 150 Menschen betroffen sein. Die erste Sammelabschiebung fand am 3. April statt. Den Recherchen des Flüchtlingsrates zufolge befand sich darunter unter anderem eine Moldauerin mit Schizophrenie.

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Am 13. April erfolgte eine weitere Sammelabschiebung. In diesem Fall konnte der Flüchtlingsrat nur vage Informationen in Erfahrung bringen. Demnach wurde wahrscheinlich eine Roma*-Familie moldauischer Herkunft trotz Abwesenheit des Vaters abgeschoben. Nachdem die Polizei die Tür des Privatzimmers in dem Wohnheim gewaltsam geöffnet haben soll, habe ein Polizist die anstehende Familientrennung kommentiert, indem er in Bezug auf den Vater gesagt haben soll: »Ruf ihn an, sag ihm, er soll dich am Flughafen treffen.«

Was die dritte Sammelabschiebung am 19. April betrifft, liegen dem Flüchtlingsrat bisher keine genauen Zahlen vor. Auch eine nd-Anfrage an die Innenverwaltung blieb unbeantwortet. Die Recherchen ergeben aber, dass sieben Menschen mit Vorerkrankungen abgeschoben und Familien getrennt wurden. So soll etwa eine Romni mit schwerer Herzerkrankung in das Landesamt für Einwanderung (LEA) geladen und von dort nicht zurückgekommen sein. Laut Schwiegertochter habe die Betroffene vor dem Abflug eine Infusion bekommen, jedoch keine Medikamente mitnehmen dürfen.

Der Flüchtlingsrat macht auf bestimmte Praktiken aufmerksam, die im April mehrmals von Betroffenen oder Angehörigen berichtet wurden. »Verdachtsunabhängige« Kontrollen, also Racial Profiling in der Umgebung der Wohnheime im Vorfeld der Abschiebungen, gehören wohl mittlerweile zum Repertoire. Außerdem soll eine Unterkunft innerhalb einer Nacht mehrmals aufgesucht worden sein, »scheinbar weil davon ausgegangen wurde, dass Menschen nach ersterem ins Wohnheim zurückkehren«, so der Flüchtlingsrat. Bei derartigen Einsätzen soll die Polizei Türen mit Brechstangen geöffnet und die Nutzung von Handys unterbunden haben.

»Da waren vermutlich rechtswidrige Maßnahmen darunter«, sagt Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Die alte Koalition hatte eigentlich den Kompromiss gefunden, Polizeieinsätze zur Auffindung von ausreisepflichtigen Menschen in Unterkünften nur mit Durchsuchungsbeschlüssen durchzuführen. »Ich habe den Eindruck, dass jetzt schon angefangen wird mit einer anderen Gangart, bevor der Regierungswechsel überhaupt stattgefunden hat.« Die SPD hätte nie für eine humane Migrationspolitik gestanden, »jetzt können sie eine entfesselte Abschiebepolitik fahren«. Für diese Sorge spricht auch die Information des Flüchtlingsrates, dass mindestens eine mitarbeitende Person des LEA für Abschiebungen nach Moldau und Georgien zuständig sei, um die Effizienz auf zwei Abschiebeflüge pro Woche zu steigern.

»Es wurden ausschließlich Personen, die reise- und transporttauglich sind, abgeschoben«, heißt es hingegen aus der Innenverwaltung bezüglich der Abschiebung vom 13. April. In einem Fall sei eine Familie getrennt worden, beide Elternteile seien vorbestraft gewesen. Die übrigen Vorwürfe aus dem Recherchepapier des Flüchtlingsrates konnte die Innenverwaltung nicht vor Redaktionsschluss am Montag kommentieren.

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