»Bürgerkriegsähnliche Zustände«

Michael Gabriel, Landesdirektor der Welthungerhilfe im Sudan, berichtet über die Lage vor Ort

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie sind derzeit in Bangkok. Wann haben Sie den Sudan verlassen?

Genau einen Tag, bevor die Kämpfe begonnen haben. Vergangene Woche am Freitag habe ich Khartum verlassen und am Tag darauf, am Samstag, begannen die Kämpfe.

Interview

Michael Gabriel ist seit September 2018 als Landesdirektor für die Welthungerhilfe im Sudan im Einsatz. Seine berufliche Erfahrung im internationalen Entwicklungssektor erstreckt sich über Asien, Europa, den Nahen Osten/Nordafrika und Haiti. Unter anderem hat er Projekte in den Bereichen Humanitäre Hilfe und Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen geleitet.

Ihr Plan war, nach Khartum zurückzukehren?

Ich sollte am 29. April zurückkehren und hoffe, dass ich irgendwann zurückreisen kann. Der Flughafen ist derzeit geschlossen. Laut einem Bericht über die Zerstörungen am Flughafen sind die Schäden aber nicht allzu groß. Der sudanesischen Armee zufolge könnte der Flughafen innerhalb weniger Tage repariert werden. Aber dafür müssen sie erst einmal die Kontrolle über den Flughafen zurückerlangen von den Rapid Support Forces (RSF), den Schnellen Unterstützungskräften.

Haben Sie noch Mitarbeiter vor Ort?

Die Welthungerhilfe hat rund 200 Mitarbeitende im Sudan, die Mehrheit davon sind Sudanesen und im Land. Wir haben insgesamt 13 entsandte internationale Mitarbeitende, sogenannte Expats, und davon waren die meisten außerhalb des Landes, als alles begann. Derzeit sind die Eid-Feiertage zum Ende des Ramadan: Die Sudanesen haben frei, sind bei ihren Familien; auch Ausländer kehren dann gewöhnlich zu ihren Familien zurück. Die meisten internationalen Kolleg*innen waren also außer Landes, als die Kämpfe begannen – bis auf drei Entsandte. Wir haben alles daran gesetzt, um Ihnen zu helfen, an einen sicheren Ort zu gelangen und das Land zu verlassen. Am Sonntag gab es einen großen Konvoi mit rund 1000 Menschen und über 100 Fahrzeugen, der sich von Khartum nach Port Sudan am Roten Meer aufgemacht hat und inzwischen eingetroffen ist. Von dort planen die Vereinten Nationen Flüge zu organisieren, mittels des UN Humanitarian Air Service (Unhas), um die Menschen aus dem Land zu fliegen. Die meisten werden nach Nairobi gebracht.

Sind Ihre drei noch im Land befindlichen Expats in diesem Konvoi?

Nein, nur einer. Ein zweiter Kollege war nicht in Khartum, sondern in Kassala, im Osten des Sudans an der Grenze zu Eritrea. Beide sind mittlerweile wohlbehalten in Port Sudan angekommen und befinden sich auf einer Fähre Richtung Dschiddah bzw. sind schon außer Landes. Eine dritte Kollegin ist in Al-Faschir , der Hauptstadt des Bundesstaats Nord-Dafur. In der Stadt gab es sehr schwere Kämpfe und wir versuchen mit Hochdruck, sie bei der Evakuierung zu unterstützen. Die Vereinten Nationen arbeiten mit den NGOs an einem Plan, um einen Flug von dort zu organisieren.

Haben Sie täglich Kontakt mit Ihrem Personal im Sudan?

Ja, ich rufe vielleicht nicht jeden täglich an, aber ich spreche mit verschiedenen Teammitgliedern, jeden Tag. Wir haben auch sudanesische Kolleg*innen, die sich in sehr gefährlichen Gegenden mit schweren Kämpfen befanden. Wir helfen ihnen so weit wie möglich, aus der Gefahrenzone zu kommen. Die Sicherheit unserer Mitarbeitenden hat oberste Priorität und daher konzentrieren wir uns darauf, alle in Sicherheit zu bringen.

Was ist für Sie derzeit eine der größten Schwierigkeiten?

Wir haben mit einem Problem zu kämpfen, das ganz banal klingen mag, für die Menschen aber entscheidend ist, und zwar: Wie kommen sie an ihren Lohn? Wir waren gerade im Prozess der Lohnauszahlung, als alles begann. Die Banktransaktionen konnten nicht vollzogen werden und jetzt funktionieren die Banken nicht mehr richtig. Gerade wenn die Menschen ihr Gehalt am meisten brauchen, um lebensnotwendige Dinge zu kaufen, können sie sich jetzt kein Essen und Wasser kaufen. Das ist ein großes Problem, das wir auch zu lösen versuchen.

Was sind weitere Probleme, mit denen die Menschen konfrontiert sind?

Das andere Problem ist schlicht die gefährliche Lage auf den Straßen. In manchen Landesteilen ist es noch relativ sicher rauszugehen, zum Beispiel in den Bundesstaaten im Osten: Rotes Meer, Kassala, Al-Qadarif. Selbst da gab es ein paar Kämpfe, die Menschen haben Schüsse gehört, aber aktuell ist es dort relativ ruhig. Die Leute können ihre Wohnungen für kurze Zeit verlassen, die Märkte sind für ein paar Stunden offen, die Banken funktionieren zumindest teilweise. Aber in anderen Landesteilen wie Khartum oder Al-Faschir ist die Lage anders. In Al-Faschir wurde der große Gemüsemarkt von Bomben zerstört. Es ist generell zu gefährlich rauszugehen, um Essen oder Wasser zu kaufen. Genauso ist es auch in der Hauptstadt Khartum. Wir prüfen derzeit, wie wir unsere Arbeit wieder aufnehmen können.

Wie geht es weiter für die Welthungerhilfe im Sudan?

Als das alles begann am Samstag vergangener Woche, sind wir sofort in den Home-Office-Modus gewechselt. Es waren ohnehin im ganzen Land die Eid-Feiertage, die Menschen haben nicht gearbeitet. Wir sind jetzt dabei, eine Einschätzung der Sicherheitslage in den östlichen Bundesstaaten vorzunehmen, um unsere Arbeit schnellstmöglich wieder aufnehmen zu können. Es gibt dort zum Beispiel Flüchtlingscamps, wo wir die Geflüchteten mit Wasser versorgen und die Infrastruktur zur Wasserversorgung aufrechterhalten. Wir arbeiten dafür auch mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zusammen, haben aber auch eigene Projekte, die mit Mitteln der deutschen Regierung finanziert werden: vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und vom Auswärtigen Amt (AA).

Unabhängig vom derzeitigen Konflikt, was macht die Welthungerhilfe im Sudan?

Wir leisten Humanitäre Hilfe und setzen Maßnahmen zur langfristigen Entwicklung und Hungerbekämpfung um. Wir arbeiten mit dem Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen zusammen und versorgen vulnerable Bevölkerungsgruppen mit Nahrungsmitteln, vor allem Binnenvertriebene, aber auch Geflüchtete und die allgemeine Bevölkerung. Das Niveau der Ernährungsunsicherheit war auch bereits vor Beginn der Kämpfe extrem hoch im Sudan, rund zwölf Millionen Menschen können sich nicht ausreichend ernähren. Wir arbeiten auch mit kleinbäuerlichen Familien zusammen, um Techniken bei Viehhaltung und Anbau in der Landwirtschaft zu verbessern und die Erträge zu erhöhen, sodass die Menschen mehr gesunde Nahrung zum Essen oder zum Verkaufen haben.

Denken Sie, dass sich die ohnehin schon schwierige humanitäre Lage im Sudan noch verschlimmern wird durch die derzeitigen Kämpfe?

Der Konflikt ist mit Sicherheit eine Bedrohung für alle Menschen im Sudan und auch unsere Arbeit. Die Situation in Khartum ist sehr gefährlich und unübersichtlich, die Lage ähnelt in einigen Regionen bürgerkriegsähnlichen Zuständen, mit einer etwa gleich starken sudanesischen Armee und einer Miliz, die sich gegenseitig im Zentrum des Landes bekämpfen. Und es gibt nicht wirklich einen Ausweg aus dieser Situation, es sieht nach einem sehr langem und andauernden Kampf aus. Sobald aber in einigen Regionen die Waffen schweigen, prüfen wir, wie wir unsere Arbeit schnellstmöglich wieder aufnehmen können, um die Menschen mit dem nötigsten zu versorgen. Wir bereiten uns auf mehrere Szenarien vor und rechnen mit dem Schlimmsten, wollen die Hoffnung aber auch nicht aufgeben.

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