Rentenreform in Frankreich: Finanzinvestoren mögen keine Proteste

Warum eine Ratingagentur Frankreichs Kreditwürdigkeit herabstuft

Die Finanzkraft einer Regierung bemisst sich nicht allein an den Steuereinnahmen oder der Wirtschaftsleistung, über die sie gebietet. Entscheidend für moderne Finanzpolitiker*innen ist die Kreditwürdigkeit ihres Landes – also inwieweit und zu welchen Kosten es sich verschulden kann. Zur Bewertung der staatlichen Verschuldungsfähigkeit gibt es eigene Instanzen: die Ratingagenturen. Und sie erteilen derzeit Frankreich schlechtere Noten. Denn der Regierung in Paris gelingt es nicht, an der Bevölkerung zu sparen und sie gleichzeitig zu befrieden.

Zwar wird gerade in Deutschland immer wieder das Ideal eines schuldenfreien Staatshaushaltes propagiert. Tatsächlich aber sind moderne Staaten auf Schulden angewiesen: zum Auffangen von Wirtschaftskrisen, im Kampf gegen Pandemien, zur Aufrüstung oder im Wettlauf um die Beherrschung von Märkten wie Digitalisierung oder Klimaschutztechnologie. Im Wettbewerb der Standorte ist die Verfügung über Kredit von zentraler Bedeutung. Das führt derzeit die US-Regierung vor, deren Rüstungs- und Industriepolitik die Staatsschulden in den nächsten Jahren um Hunderte von Milliarden Dollar ansteigen lassen wird. Am anderen Ende der Skala stehen aktuell Länder wie Sri Lanka, die zeigen: Pleite gehen Staaten nicht, weil sie zu viele Schulden haben, sondern weil sie keine neuen Kredite von den Investoren mehr bekommen.

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Gläubiger und Kreditquelle der Regierungen sind die »Finanzmärkte«, also Banken, Vermögensverwalter und Investmentfonds, die das Geld der Welt investieren, um es zu vermehren. In ihrem Auftrag prüfen die Ratingagenturen S&P, Moody‘s und Fitch die Eignung der Länder als Schuldner und Geldanlage. Am Urteil dieser Agenturen hängt die Kreditwürdigkeit von Regierungen, ob sie noch Kredite bekommen und wie viel Zinsen sie dafür zahlen müssen. Bei dieser Prüfung werden zahlreiche Faktoren in Anschlag gebracht: die Aussichten für Wirtschaftswachstum und Schulden, für Investitionen, Sozial- und Zinsausgaben.

Eine wichtige Rolle bei dieser Prüfung spielt auch die Bevölkerung, also ihr Ausbildungsniveau, ihr Gesundheitszustand und der Grad an Armut – letztere gilt als Gefahr für den sozialen Frieden, der aus Sicht der Investor*innen ein wesentlicher Standortfaktor ist. Diesen Standortfaktor bewertet eine Ratingagentur im Falle Frankreichs inzwischen als mangelhaft. Vor einer Woche stufte Fitch die Kreditwürdigkeit der französischen Republik um eine Stufe herab – in der Notenskala von Fitch von »AA« auf »AA-«.

Den Schritt begründete die Ratingagentur zum einen mit dem hohen Schuldenstand: Die globale Finanzkrise und anschließend die Coronakrise haben Frankreichs Staatsverschuldung seit 2008 von 69 auf 112 Prozent der Wirtschaftsleistung getrieben. Zum Vergleich: Deutschlands Schuldenquote lag zuletzt bei 66 Prozent. Lobend erwähnt Fitch die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron, gegen die in Frankreich massiv protestiert wird. »Mittel- bis langfristig wird die Reform bis 2030 Ersparnisse von 17,7 Milliarden Euro oder 0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung generieren«, schreibt die Ratingagentur. Diese Einsparungen kämen allerdings nur langsam und spät.

Negativ auf das Urteil von Fitch wirken zudem die »sozialen Unruhen«, die die Opposition stärken dürften. »Politischer Stillstand und – zuweilen gewaltsame – soziale Bewegungen stellen ein Risiko für Macrons Reformagenda dar und könnten zu expansiverer Fiskalpolitik führen«, so die Agentur. Zudem, merkt die DZ Bank an, dürften die Proteste »die Durchsetzung zukünftiger Reformen wie der geplanten Arbeitsmarktreform erschweren«.

Frankreich gilt daher jetzt als etwas weniger kreditwürdig und steht mit seinem neuen Rating nun auf einer Stufe mit Irland, Tschechien oder Großbritannien, das mit den Folgen des Brexit kämpft. »Mit besonderer Spannung«, so die DZ Bank, »dürfte nun dem 2. Juni entgegengefiebert werden.« Denn dann befindet die Ratingagentur S&P über die Kreditwürdigkeit von Frankreich.

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