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Lehrer hält Corona-Maßnahmen für schlimmer als Hitler

Rüdiger B. hält Corona-Maßnahmen für schlimmer als Hitler – und darf sich über 50.000 Euro Abfindung freuen

Das Video mit dem beanstandeten Vorschaubild steht wieder im Internet. Ein Jahr lang habe die Plattform Youtube seinen Kanal gesperrt, aber wegen eines anderen Videos, erklärt Rüdiger B. am Montag in einer Verhandlungspause des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg. Das bewusste Video jedoch und auch die drei anderen, die von der Senatsbildungsverwaltung zur Begründung seiner Kündigung als Berufsschullehrer herangezogen worden seien, habe Youtube niemals sperren wollen, sagt der 62-Jährige.

In seinem Kanal bezeichnet Rüdiger B. an einer Stelle die Querdenker-Partei »Die Basis« als seine. Das bewusste Video zeigt das Tor eines Konzentrationslagers. Anstatt »Arbeit macht frei«, wie es die SS an die Tore von Sachsenhausen, Dachau und Auschwitz geschrieben hatte, steht per Fotomontage »Impfen macht frei«. Es ist noch ein rotes Fragezeichen hinzugefügt. 561 Mal wurde dieses Video aufgerufen, lächerlich selten also. Es wären sicherlich noch weniger Aufrufe, hätte Rüdiger B. in einem Berliner Oberstufenzentrum nicht Auszubildende des Senders RBB im Fach Medienproduktion unterrichtet. Über diese erhielt ein RBB-Reporter Kenntnis von den kruden Ansichten des Lehrers und machte sie im Fernsehen öffentlich. Es gab auch Beschwerden von Eltern.

B. erhielt erst eine Abmahnung und dann die Kündigung, die im September 2022 vom Arbeitsgericht Berlin für rechtens befunden wurde. B. ging in Berufung und so landete der Fall beim Landesarbeitsgericht, wo er am Montag in Saal 334 vor 25 Zuschauern verhandelt wurde. Ein Urteil wurde diesmal nicht gesprochen. Vorläufig einigten sich die Bildungsverwaltung und der Berufsschullehrer, der schon seit August 2021 nicht mehr unterrichten darf und seitdem Arbeitslosengeld bezieht, auf einen Vergleich. Demnach wäre das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2022 beendet. Für die Zeit von August 2021 bis dahin erhält B. seinen monatlichen Bruttolohn von 6022 Euro und 94 Cent nachgezahlt, der allerdings mit dem bezogenen Arbeitslosengeld zu verrechnen ist. Obendrauf gibt es 50 000 Euro Abfindung, ein wohlwollendes Arbeitszeugnis und die Erklärung der Senatsverwaltung, dass der Berufsschullehrer »aus heutiger Sicht« seine Dienstpflichten doch nicht verletzt habe.

Auf die Höhe der Abfindung und das Datum für die Kündigung einigten sich beide Seiten nach Verhandlungen wie auf dem Basar. Die Bildungsverwaltung wollte zunächst, wenn überhaupt, höchstens 39 000 Euro gewähren. Ob sie überhaupt einen Cent zahlt, steht indessen noch nicht fest. Da es seit Ende April mit Katharina Günther-Wünsch (CDU) eine neue Bildungssenatorin gibt, will sich die Rechtsanwältin der Bildungsverwaltung erst noch rückversichern, ob die neue Hausleitung mit dem ausgehandelten Vergleich einverstanden ist. Dazu lässt sie sich am Montag eine vierwöchige Frist zum Widerruf der Vereinbarung einräumen. Macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch, wird am 16. Juni um 8.55 Uhr doch noch ein Urteil verkündet.

Die Chancen, dass die Berufung des Lehrers gegen seine Kündigung dann zurückgewiesen wird, stünden 50 zu 50, mahnt Richter Martin Wenning-Morgenthaler, die gütliche Einigung nicht gering zu schätzen. Erledigt wäre die Sache damit für B. aber trotzdem noch nicht. Es läuft ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung. So ein Delikt kann von der Staatsanwaltschaft unabhängig davon verfolgt werden, ob die Bildungsverwaltung das noch wünscht.

Gekündigt wurde B. noch unter SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres, die er in einem Video wegen der Impfkampagne an Schulen verleumdet und beleidigt haben soll. Er selbst bestreitet das. Ein Skandal ist ohne jeden Zweifel, was B. verbreitet. So hatte er behauptet: »Die politischen Systeme von Stalin, Mao und Hitler haben zusammen nicht so viel Leid und Tote verursacht wie die Corona-Spritzen-Nötiger.« Sein Anwalt Tobias Gall hält das ebenfalls für totalen Blödsinn, versucht es aber mit der Hitze des Streits zu entschuldigen, und meint noch, mittlerweile würde sein Mandant dies sicher anders formulieren. Da irrt Gall aber. Inhaltlich steht B. zu der Äußerung. Er glaubt wirklich an höhere Opferzahlen der Corona-Maßnahmen, wenn nicht bei den Toten, so bei den psychischen Folgeschäden für Kinder. Aber mit keiner Silbe habe sein Mandant den Holocaust leugnen oder verharmlosen wollen, beharrt Anwalt Gall. B. habe ja nicht gesagt, der Mord an sechs Millionen Juden sei nicht so schlimm. Im Gegenteil: Das sei schrecklich gewesen und die Impfkampagne »fast« so schlimm.

In Wirklichkeit soll die Impfkampagne laut B. allerdings nicht »fast so« schlimm gewesen sein, sondern schlimmer als die Naziverbrechen. Das sei eine Bagatellisierung der Ermordung der Juden, weiß die Anwältin des Bildungssenats. Wörtlich sagt sie: »Es ist eine Gleichsetzung der Impfkampagne mit dem Nationalsozialismus – nichts anderes.«

B. verharmloste übrigens zwei Tage später in einem Video auch ein Ereignis vom 29. August 2020. Damals stürmten rechte Reichsbürger die Treppen zum Bundestag hoch und mussten von Polizisten abgewehrt werden – für B. nur ein »Sturm im Wasserglas«. Er will gern Bildungssenator werden. Das nennt er »Humor«. Aber bei seinen Ansichten erstickt jedes Lachen im Hals.

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