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Die Schwarze Arielle

Nein, das ist kein billiges Wokewashing von Disney: »Arielle, die Meerjungfrau« als Realfilm

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Kein anderer Disney-Film wurde vorab so heftig diskutiert und sah sich mit so vielen rassistischen Anfeindungen konfrontiert wie »Arielle, die Meerjungfrau«. Als Animationsfilm war die Geschichte 1989 ein großer Erfolg, mit zwei Fortsetzungen für den Video/DVD-Markt. Vor drei Jahren kündigte Disney an, dass die nichtweiße Sängerin und Schauspielerin Halle Bailey die Titelrolle für die Realverfilmung übernehmen werde. Das führte vor allem in den USA zu empörten Reaktionen, vor allem in den sozialen Medien, wo unter anderem in der Kampagne #notmyariel gegen die neue Darstellerin Front agitiert wurde.

Der Umstand, dass die rothaarige Meerjungfrau von einer Person of Color gespielt werden sollte, führte zu unzähligen rassistischen Beleidigungen im Netz. Es entstand eine Debatte zum Thema. Verfechtern einer vermeintlichen Originalität des Stoffes – die literarische Vorlage ist ein Märchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen aus dem 19. Jahrhundert, der Mythos reicht aber viel weiter in die Geschichte zurück – wurden historische Verweise auf Meerjungfrauen in der Mythologie Asiens und Afrikas entgegengehalten. Zugleich äußerten viele junge Menschen im Netz ihre große Freude darüber, dass es diese neue Schwarze Arielle geben soll.

Halle Bailey spielt ihre Rolle in dem zweieinhalbstündigen, imposant und bildgewaltig inszenierten Kinofilm erwartungsgemäß gut. Die Realverfilmung bleibt ganz nah an der Vorlage, wobei einige Details verändert wurden. So hat Prinz Erik (Jonah Hauer-King), der zu Beginn von der Meerjungfrau nach einem Schiffsunglück gerettet wird, wobei sich die beiden unsterblich ineinander verlieben, eine Mutter, die es im Animationsfilm nicht gibt. Und diese Mutter, Königin Selina (Noma Dumezweni) ist ebenfalls nicht weiß.

Nach einem Zauberspruch der Seehexe Ursula (Melissa McCarthy) wird Arielle ein menschliches Wesen und kommt an Land, in eine karibische Kolonialwelt, die ganz im Stil eines Märchenfeudalismus gehalten ist: mit guten Adeligen und glücklichen, in den Tag hineintanzenden Untertanen. Das alles ist erwartungsgemäß geradezu aseptisch und werbefernsehkompatibel inszeniert, als eine ganz brave heteronormative romantische Liebesgeschichte, die aber einen gewissen Musical-Charme entwickelt wie auch schon der Animationsfilm von 1989.

Arielles Vater ist der Unterwassergott Triton (Javier Bardem). Ihre Begleiter sind eine Krabbe, eine Möwe und ein Fisch, sämtlich computeranimierte Figuren. Tricktechnisch ist das Ganze recht anspruchsvoll mit gigantisch tosenden Wellenbrechern und komplexen, ebenso düsteren wie grellbunten Unterwasserwelten. Das legendäre Ballett der Meerestiere mit dem Calypso-Song »Under the Sea« schlägt, was die Bildhaptik anbelangt, das gezeichnete Animations-Original bei weitem. Überhaupt ist diese Unterwasserwelt ein vor Biodiversität strotzendes magisches Habitat, das sich auch als Sehnsuchtsort einer um Artenvielfalt kämpfenden nachkommenden Generation lesen lässt.

Die Auflösung des Films mit einem vor Romantik triefenden Happy End inklusive der Heirat von Prinz und Prinzessin ist wie im Animationsfilm. In Andersens Vorlage findet die Meerjungfrau kein Liebesglück und wird am Ende zu Meerschaum.

In dieser aufwändigen Realverfilmung aber nur billiges Wokewashing zu sehen, greift zu kurz. Der Disney-Konzern bemüht sich, mit der rassistischen Vergangenheit seiner eigenen Produktionen wie der Rudyard-Kipling-Verfilmung »Das Dschungelbuch« sorgsam umzugehen, und blendet in seinem Streaming-Angebot vorab Warnungen ein, dass die Inhalte rassistisch sind und Menschen verletzen können. Diese Warnungen lassen sich mit Kindern ab einem bestimmten Alter beim gemeinsamen Filmschauen gut thematisieren.

In den neueren Disney-Produktionen, vor allem von Pixar, werden Filminhalte und Erzählungen präsentiert, die nicht nur für weiße Kinder und heteronormative Jugendliche gedacht sind. Zuletzt gab es auch große Anfeindungen von konservativer und rechter Seite gegen den an den Kinokassen gefloppten Öko-Film »Strange World« (2022), in dem zum ersten Mal ein explizit queerer Jugendlicher im Zustand romantischer Verliebtheit inszeniert wird. Kirchen in den USA riefen daraufhin zum Boykott des Films auf. Aber auch Themen wie Flucht, Migration und daraus resultierende kollektive Traumata (»Encanto«) oder koloniale Gewalt (»Frozen II«) und jugendliche weibliche Selbstermächtigung (»Inside Out« und »Rot«) finden sich in den Disney-Produktionen der vergangenen Jahre. Dass es nun eine schwarze Arielle gibt, ist insofern keineswegs überraschend.

Dabei durchlebt die Filmsparte des Konzerns gerade eine gewisse Krise. Im vergangenen Jahr war neben »Strange World« auch der Animationsfilm »Lightyear« (2022) finanziell alles andere als erfolgreich. Es bleibt also abzuwarten, ob »Arielle, die Meerjungfrau« ein Publikumserfolg wird.

»Arielle, die Meerjungfrau«, USA 2023. Regie: Rob Marshall. Mit Halle Bailey, Melissa McCarthy, Javier Bardem. 100 Minuten, startet am Donnerstag

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