Ärzte-Tarifeinigung: Ein vertretbarer Kompromiss

Ärzte an kommunalen Krankenhäusern erhalten ab 1. Juli mehr Geld

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Tarifverhandlungen für rund 60 000 Ärzte an den kommunalen Kliniken sind beendet. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) einigten sich am Dienstag in der fünften Verhandlungsrunde auf einen neuen Gehaltstarifvertrag, der rückwirkend zum 1. Januar 2023 in Kraft tritt und eine Laufzeit von 18 Monaten hat. Der Vertrag gilt bundesweit, mit Ausnahme von Berlin, da der landeseigene Klinikkonzern Vivantes nicht zur VKA gehört. Dort und auch an der Charité beginnen die Tarifverhandlungen im Januar 2024.

Der neue Tarifvertrag beinhaltet eine tabellenwirksame Gehaltserhöhung um 8,8 Prozent in zwei Stufen. 4,8 Prozent gibt es ab 1. Juli 2023, weitere 4 Prozent ab 1. April 2024. Auch die Entgelte für Bereitschaftsdienste erhöhen sich entsprechend. Dazu kommt ein steuer- und abgabenfreier »Inflationsausgleich« in Höhe von 2500 Euro, der in zwei Raten ausgezahlt wird. Dieser Betrag geht aber nicht in die Gehaltstabelle ein. Ursprünglich hatte der MB einen vollen Inflationsausgleich für die Zeit seit Oktober 2021 zuzüglich einer Erhöhung um 2,5 Prozent gefordert. Das hätte einem deutlich zweistelligen Lohnplus entsprochen.

MB-Sprecher Hans-Jörg Freese bewertete diesen Abschluss auf nd-Nachfrage als vertretbaren Kompromiss. Zwar hätten »viele Kollegen statt der Einmalzahlungen lieber eine stärkere Erhöhung der Tabellenentgelte als Ergebnis gesehen«. Doch die im Vergleich zu anderen Tarifabschlüssen relativ kurze Laufzeit ermögliche bereits ab Juli 2024 die Aufnahme neuer Tarifverhandlungen mit der VKA, bei denen es dann auch nicht nur um die Gehaltstabelle, sondern auch um die Arbeitsbedingungen gehen werde. Vor allem sei es aber gelungen, die Forderung der VKA nach einer Nullrunde für das Jahr 2023 abzuwehren, wie sie im öffentlichen Dienst vereinbart wurde, wo der neue Tarifvertrag mit 24 Monaten auch eine deutlich längere Laufzeit hat.

Dies ist wohl auch dem Druck zu verdanken, den die Ärztegewerkschaft aufgebaut hatte, nachdem es in den ersten Verhandlungsrunden keine Annäherung gegeben hatte. So gab es ab März mehrere regionale und bundesweite Warnstreiks, zuletzt am 9. Mai. Bei einem erneuten Scheitern der Verhandlungen wäre auch eine Urabstimmung für unbefristete Streiks nicht ausgeschlossen gewesen.

Deutlich verhaltener bewertete die VKA die Tarifeinigung. Verhandlungsführer Wolfgang Heyl begrüßte zwar, dass die Bezahlung an kommunalen Krankenhäusern durch den Abschluss »deutlich attraktiver« werde und Planungssicherheit schaffe. Allerdings seien die Kosten der Vereinbarung – laut VKA rund 672 Millionen Euro – »in Zeiten einer äußerst angespannten Finanzlage bei den kommunalen Krankenhäusern« schwer zu stemmen. Daher müsse der Gesetzgeber im kommenden Jahr die »dauerhafte volle Refinanzierung der hohen Personalkostenzuwächse« absichern. Dies sei für die Kliniken »essenziell«.

Festzuhalten bleibt, dass sich der Abschluss des Marburger Bundes durchaus sehen lassen kann – vor allem wegen der relativ kurzen Laufzeit und der ersten Entgelterhöhung bereits im Juli 2023. Das ist vor allem dem hohen Organisationsgrad dieser Spartengewerkschaft zu verdanken, die ihre Durchsetzungsmacht bereits bei vergangenen Tarifrunden unter Beweis gestellt hatte. Dass die Ärzte nun einen vergleichsweise guten Tarifvertrag bekommen, dürfte jedoch besonders dem nichtärztlichen Klinikpersonal teilweise recht bitter aufstoßen, das vom Verdi-Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst erfasst wird.

Eine Signalfunktion für derzeit laufende oder bevorstehende Tarifauseinandersetzungen in anderen Bereichen sieht MB-Sprecher Freese allerdings nicht. Dafür sei das betroffene Tarifsegment zu klein und zu speziell. Das ist sicherlich richtig, denn vor allem die Mindestlohnfrage und Sockelbeträge für die unteren Tarifgruppen spielen bei Verhandlungen für eine durchweg überdurchschnittlich bezahlte Berufsgruppe wie den Klinikärzten keine Rolle.

Dennoch wird der Abschluss auch bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) aufmerksam zur Kenntnis genommen worden sein. Am Dienstag begann in Fulda die vorerst letzte Verhandlungsrunde mit der Deutschen Bahn AG, die bis einschließlich Donnerstag geplant ist. Für den Fall des Scheiterns hat die EVG Arbeitsniederlegungen angekündigt und auch eine Urabstimmung nicht ausgeschlossen.

Das Angebot des Konzerns und die Forderungen der EVG klaffen nach wie vor weit auseinander. Die Bahn beharrt bislang auf einer Nullrunde für 2023 und einer langen Laufzeit von 27 Monaten. Das Ergebnis für die Klinikärzte könnte für die EVG ein zusätzliches Argument sein, dieses Ansinnen kategorisch zurückzuweisen.

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