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Kinofilm »Valeria is Getting Married«:Die Gewalt der Verhältnisse

Michal Vinik erzählt in »Valeria Is Getting Married« vom prekären Leben in der Ukraine und einer arrangierten Ehe

Ist das Konzept der Liebesheirat nur romantische Spinnerei?
Ist das Konzept der Liebesheirat nur romantische Spinnerei?

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine haben bekanntermaßen Hunderttausende, wenn nicht Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Heimat verlassen und sind geflüchtet. Auswanderung war freilich auch lange zuvor schon ein Dauerthema in der Region. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Eigenstaatlichkeit der Ukraine haben unzählige Menschen auf der Flucht vor den prekären Lebensumständen und der ökonomischen und sozialen Dauerkrise ihr Land verlassen. Bei all den gegenwärtigen Heldenerzählungen und Sympathiebekundungen für das von Russland überfallene Land wird gerne vergessen, dass die Ukraine vor der Umarmung durch den Westen und dem Kriegsausbruch als quasi-gescheiterter korrupter Oligarchenstaat galt, dem entfloh, wer konnte.

Auch wenn das Thema Migration Stoff für unzählige Geschichten in sich birgt, ist es vermutlich nur eine Laune der Verleihdisposition, dass gerade zwei Filme kurz hintereinander im Kino laufen, welche die ukrainische (Vorkriegs-) Diaspora thematisieren; Anfang April startete das tschechische Drama »Victim« (Opfer) über eine alleinerziehenden Mutter aus der Ukraine, die sich in Tschechien ein neues Leben aufbauen will und dabei in einen Strudel aus Schuld und Lüge gerät.

Eine andere Perspektive nimmt der israelische Film »Valeria Is Getting Married« (Valeria heiratet) ein, der von online arrangierten Ehen zwischen Ukrainerinnen und solventen Israelis erzählt. Migration ist in unserer Welt immer auch ein Geschäft, in dem wenige von der Not der Auswanderungswilligen profitieren. Nun ist es fraglich, ob die Vermittlung von heiratswilligen Damen auf der Suche nach einem besseren Leben an alleinstehende – in diesem Fall israelische – Männer schon als Menschenhandel bezeichnet werden kann. Aber allein das ökonomische Machtgefälle zwischen den potenziellen Brautleuten macht das Abhängigkeitsverhältnis klar und ist Ausdruck der Gewalt der Verhältnisse. Vordergründig scheint es Valerias freier Wille, einen ihr bisher nur aus einigen Online-Chats bekannten Israeli zu heiraten, um ihrem armseligen Leben in der Ukraine zu entfliehen. Von einer Begegnung auf Augenhöhe kann allerdings mitnichten die Rede sein.

Valeria folgt dem Beispiel ihrer älteren Schwester Christina, die sich schon früher zufriedenstellend nach Israel vermählt hat und die sie nun am Tel Aviver Flughafen abholt. Ihre eigene Ehe mit Michael, der die Vermittlung ukrainischer Bräute als Nebenerwerb betreibt, beruht auf dem Pragmatismus einer Frau, die ihre Chancen nüchtern abzuschätzen weiß. »Liebst du ihn?«, wird sie von Valeria gefragt. »Ich habe ein gutes Leben hier. Ein echtes Leben. Es ist nicht wie im Film, aber es ist das bestmögliche Leben.« Das mag für westlich Sozialisierte, für die eine Ehe das Versprechen auf Liebe und gemeinsames Glück beinhaltet, trostlos klingen. Aber man denke an andere Weltgegenden, wie zum Beispiel Indien, wo das Konzept der Liebesheirat nur mehr als romantische Spinnerei gilt und eine Hochzeit in aller Regel ein Geschäft auf Gegenseitigkeit ist.

Für die beiden Ukrainerinnen ist es jedenfalls schon ein Wert an sich, dass, wie kolportiert wird, israelische Männer nur sehr wenig Alkohol trinken. Angesichts des verbreiteten Alkoholismus im postsowjetischen Raum, der viele Männer kaum das Rentenalter erreichen lässt, weckt allein diese Tatsache Erwartungen, die mehr wert sind als ein vages Liebesversprechen.

Zu solch einer arrangierten Ehe und dem damit erhofften guten Leben möchte Christina nun auch ihrer Schwester verhelfen, aber ach, der am Computer noch halbwegs sympathisch wirkende Eytan hält Valerias Realitäts-Check so gar nicht stand. Kein Funke will überspringen, und auch das neue Smartphone, das ihr der Zukünftige als Geschenk überreicht, lässt ihr Herz nicht warm werden. So ganz ohne gegenseitige Zuneigung funktioniert auch eine Zweckehe dann eben doch nicht.

Valeria, die noch zu jung für den abgeklärten Pragmatismus ihrer Schwester ist, kommen Zweifel und die Stimmung kippt ins Unbehagliche. »Valeria Is Getting Married« ist ein Kammerspiel, das fast komplett in der Wohnung Michaels spielt. Dort müssen alle vier nun damit umgehen, dass Valeria nicht so funktioniert, wie sie soll. Der unbeholfene Eytan weiß nicht, was er falsch gemacht haben soll und trauert um die 5000 Dollar, die er Michael bezahlt hat. Zunehmend macht Michael Christina für das abweisende Verhalten ihrer Schwester verantwortlich. Als sich Valeria schließlich kurzerhand im Bad einschließt und weigert, wieder herauszukommen, eskaliert die Situation und es geht für alle Beteiligten nur mehr darum, das Gesicht zu wahren.

Ruhig, unaufgeregt und dennoch kraftvoll erzählt die israelische Regisseurin Michal Vinik ihre Geschichte über weibliche Selbstbestimmung, wie sie sich in Valerias Sträuben gegen die ihr auferlegte Rolle als Subjekt patriarchaler Machtverhältnisse manifestiert. Hierzulande weitgehend unbekannt, ist Vinik eine wichtige feministische Stimme im israelischen Film. Neben ihren Film- und Fernsehprojekten lehrt sie Film an der Universität Tel Aviv.

Die vermeintlich käufliche Liebe zwischen Valeria und ihrem israelischen Bräutigam mag einen Extremfall auf der Beziehungsskala abbilden; für Vinik besitzt »Valeria Is Getting Married« jedoch auch eine Allgemeingültigkeit, die über die kapitalistische Verwertungslogik einer arrangierten Ehe hinausreicht. Im Kern, so meinte sie in einem Statement zum Film, gäbe es in vielen Beziehungen eine Komponente, die eine Hierarchie oder ein Ungleichgewicht zwischen den Partnern erzeugt. Diese These kann ja jede und jeder mal bei sich zu Hause überprüfen.

»Valeria Is Getting Married«. Israel, Ukraine 2022. Regie: Michal Vinik. Mit: Lena Fraifeld, Dasha Tvoronovich, Yaakov Zada Daniel. 76 Minuten. Start: 25.5.

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