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Volksbühne Berlin: Gottlose Komödie

Allein es fehlt der Glaube: Volksbühnen-Hirte René Pollesch lädt mit »Mein Gott, Herr Pfarrer!« seine Herde zum theatralen Gottesdienst

Sophie Rois (l.) ist zurück an der Volksbühne.
Sophie Rois (l.) ist zurück an der Volksbühne.

Mein Gott, Herr Pfarrer!» heißt René Polleschs jüngste Inszenierung an der Berliner Volksbühne, die am Samstag Premiere feierte. Dafür lässt er vier altbekannte Spieler, unterstützt vom Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin, in Filmgeschichte und Grundlagenwissen der Theologie bühnenwirksam rumstochern. Zu Transzendenzerfahrungen gereicht die theatrale Darbietung allerdings nicht.

Im Mittelpunkt der Arbeit steht, selbstredend, die große Sophie Rois. Für die Volksbühne ist sie eine nahezu messianische Gestalt. Für fast die gesamte Dauer des Volksbühnen-Patronats von Frank Castorf war sie dabei. 2017 stand sie zuletzt spielend auf der Bühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Dem Theaterdebakel eines Chris Dercon entzog sie sich durch Kündigung, dann heuerte sie kurzerhand am Deutschen Theater an, wo sie vorrangig mit Pollesch arbeitete.

Seit dieser Spielzeit gehört sie wieder zum Volksbühnen-Ensemble. Das Publikum musste ihr Spiel indes noch missen. In dem für den Spielzeitbeginn angekündigten und auch über Wochen geprobten Theaterdebüt des Filmregisseurs Max Linz sollte Rois eine Rolle übernehmen. Aber die Volksbühne konnte sich offenbar nicht entschließen, die Arbeit auch zur Premiere reifen zu lassen.

Jetzt aber befindet sich Sophie Rois – die im Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» bekennt, ihre ganze Seelendynamik sei eine katholische – wieder leibhaftig auf ihrer Stammbühne. Sie flüstert und schreit, spielt mit großer Geste und feinem Gefühl. Die Rois ist eine verlässliche Kraft, von der das Theater nur zehren kann. Und tatsächlich ist es vor allem eine Freude, ihr zuzusehen.

Mit Hartmut Meyer, Castorfs Bühnenbildner aus Anklamer Zeiten, gibt es eine weitere Wiederkehr. Die Bühne hat er für diesen Abend in metaphysische Schräglage gebracht. Kompakter Esstisch und Drehstühle finden ihren Platz vor der erbaulich abstrakten, gemalten Kulissenwand. Es fühlt sich so an, als würde man hier unaufhörlich Geister beschwören. Nur daran glauben kann man nicht so recht.

Für «Mein Gott, Herr Pfarrer!» knüpft sich Pollesch den Film «Licht im Winter» des schwedischen Leinwandexistenzialisten Ingmar Bergman vor. Der dient aber natürlich nur als weit entferntes Verweisnetz. (Vorauszusetzen, dieser Stoff wäre dem Publikum mehrheitlich bekannt, ist sicher kühn.) Benny Claessens gibt in der Volksbühne den Pastor Ericsson, Rois vertraut sich ihm als Schäfchen Karin aus seiner Herde an. Zwischen Traum und Traum im Traum entspinnt sich ein Gespräch über letzte oder auch nur vorletzte Fragen. In den schönsten Momenten machen die Bühnenabsurditäten durchaus Spaß, weitaus häufiger bekommt man an diesem Abend den Eindruck eines eher zähen Theatervergnügens.

Claessens, der seiner letzten Premiere am Haus, Fabians Hinrichs Lord-Byron-Auseinandersetzung «Sardanapal», fernblieb und stattdessen der Social-Media-Selbstinszenierung frönte, spielt sich in gewohnter Manier wild-flatternd über die Bühne. Auch Inga Busch und Christine Groß, Routiniers im Pollesch-Theater, sind mit dabei. Der Mädchenchor, von Kostümbildnerin Sabin Fleck zwischen mönchischer Uniformiertheit und Turnschuh-Chic gekleidet, sorgt, erstaunlich unironisch, für sehr viel Atmosphäre.

Aber warum vermag all das nicht so recht zu zünden? Vielleicht auch, weil das laientheologische Geplänkel oberflächlich bleibt. Wie viel Atheismus steckt im Christentum? – lautet die zentrale Frage von der Bühne. Durch eine weitere – Mit wie viel Christentum schlagen sich Atheisten herum? – wird sie komplementiert. So gänzlich neu ist dieser Diskurs nicht. Die klügeren Pollesch-Inszenierungen haben andere theoretische Tiefen angepeilt. Und wo diese unerreicht blieben, konnten Witz und Tempo jedwede Unzulänglichkeiten wettmachen.

Von Tempo kann bei «Mein Gott, Herr Pfarrer!» aber nicht wirklich die Rede sein. Die Inszenierung schleppt sich, den von außen betrachtet guten Voraussetzungen zum Trotz, dahin. Die Lacher, die es an diesem Abend durchaus gibt, verhallen schnell. Es lacht sich schwer während einer Darbietung, die nicht so recht weiß, was sie eigentlich will. Für eine humoristische Dekonstruktion der christlichen Lehre jedenfalls kommt man ein paar Jahrzehnte zu spät. Auch scheint Bergman nicht der richtige Gewährsmann für eine Auseinandersetzung mit Religion und Glaubensverlust auf der Höhe der Zeit zu sein.

So fühlt man sich aber nach eineinhalb Stunden Theater wie nach einem frühmorgendlichen Gottesdienst. So richtig falsch war daran natürlich nichts. Schließlich ging es hier um Höheres. Aber – man getraut es sich kaum zu sagen – ein bisschen langweilig war es schon.

Nächste Vorstellungen: 17., 25. Juni und 7. Juli
www.volksbuehne.berlin

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