Covids Metamorphosen

Talke talks: Erinnerungen an die Pandemie in den USA

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 3 Min.

Howdy aus Texas, liebe Lesende, wissen Sie noch: Corona? Nicht das mittelprächtige Bier, das hier in den USA so beliebt ist, sondern die kürzlich noch so allgegenwärtige Plage. Vor einigen Wochen hob Präsident Biden den Emergency-Status von Covid-19 auf (sprich: jetzt gibt’s weniger Kohle für medizinische Behandlung und Forschung). Auch in Deutschland sind die Covid-Schutzmaßnahmen ausgelaufen. Vor ein paar Tagen benachrichtigte mich die deutsche Corona-App, die ich einst für meine Heimreisen installieren musste, hier in Texas darüber, dass das deutsche »Health Tracking« ab sofort ausgeschaltet würde und erinnerte mich zugleich daran, sie endlich zu löschen.

Ohnehin ist alles Coronamäßige längst Geschichte. Die Masken sind weg, niemand desinfiziert mehr seine Amazon-Kartons, Lebensmittel oder gar seine Hände. Und der Enthusiasmus über das offizielle Finale (Die verdammte Seuche gilt nicht mehr als Pandemie!) blieb komplett aus. Es fing mal so dramatisch an, mit »Imagine« singenden und Pferdeberuhigungsmittel schluckenden Celebrities, Präsidenten, die wollten, dass man sich Desinfektionsmittel in die Venen spritzte; aber auch mit Millionen Opfern und globaler Einsamkeit ... Warum haben wir das Ende dieser Misere nicht gebührend gefeiert?!

Talke talks
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

In den USA und vor allem in konservativen Bundesstaaten wie Texas galten natürlich andere Regeln als in der EU. Nämlich gar keine. Nach einem Mini-Lockdown von zwei Wochen zum Ausbruch der Pandemie im März 2020 herrschte hier nur eine relative Maskenpflicht (relativ im Sinne von »keiner zwingt dich, aber es wäre irgendwie besser, wenn du dich maskiertest«), die Ende 2021 praktisch verschwand. Auf Restaurants, Cafés, Museen oder Reisen verzichtete in dieser ganzen Zeit niemand in unser Umgebung; Impfnachweise wurden nirgends kontrolliert.

Und da 50 Prozent der präsidialen Regierungszeit aus Wahlkampf bestehen, hat sich die US-Gesellschaft seit geraumer Zeit wieder ihrer liebsten Form von Reality-TV zugewandt, nämlich politischen Streitereien in den Medien. Für Menschen mit Long Covid und solchen, die durch die Krankheit Angehörige verloren haben (oder noch verlieren werden), ist die Pandemie natürlich nicht vorbei. Und für andere, die das Virus von Anfang an herunterspielten oder negierten, sind die öffentlichen Beschlüsse bedeutungslos — die nehmen weiterhin ihr kolloidales Silber ein. Oder Kokain, das, wie es in einigen viralen Tweets hieß, Corona bekämpfen soll.

Während die meisten Amerikaner also längst so leben, als gäbe es keine Pandemie mehr, hat in Deutschland und anderen EU-Ländern die Sorge um den Krieg in der Ukraine verständlicherweise die ums Coronavirus abgeschwächt. Auch befinden wir uns im Verdrängungsmodus — nach den Entbehrungen der letzten Jahre möchte man keinen weiteren Gedanken mehr an die Teufelskrankheit verschwenden, nicht mal einen abschließend-feierlichen. Vielleicht sind wir es einfach leid, alles in unserem Leben mit Corona zu erklären, wie wir es vor Kurzem noch zu tun pflegten (»seit Covid puzzle / putze / paffe ich mehr und tanze / turne / turtle weniger«).

Covid hat uns ohnehin komplett verändert — wir sind ungesünder (das Gesaufe und Gebacke, der psychische Druck der Isolation, bei einigen auch Kokainkonsum), ärmer (hallo, Wirtschaftskrise), auch paranoider geworden — während einige den öffentlich-rechtlichen Medien, Ärzten und Politikern misstrauen, misstrauen andere den Misstrauern. Es ist auch nicht eingetroffen, wovon Naivlinge und Trottel am Anfang von 2020 träumten, die Erde regenerierte sich nicht, eher wurde sie noch stärker verdreckt von den zahllosen Einweghandschuhen und -masken. Wir wurden weder friedlicher, wie die Kriege und Konflikte um uns herum belegen, noch wurde unsere Gesellschaft geeint durch die Krise, wie Stars anfangs von ihren Villen aus beteuerten (»We’re in it together!«), sondern weiter gespalten. Doch es gab auch Gutes — ich entschied mich, nach einer langen Pause wieder mit dem Schreiben anzufangen. Gern geschehen, liebe Leser*innen!

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