Noch mehr EU-Geld an Tunesien

Brüssel will weitere 150 Millionen zur Migrationsabwehr an die autokratische Regierung in Tunis bezahlen

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Die EU will Tunesien mehr Geld als bisher bekannt für die Zusammenarbeit beim Grenzschutz zahlen. Nach »nd«-Informationen hat die Kommission angekündigt, aus ihrem »Außenpolitisches Instrument« (NDICI) genannten Etat zusätzliche 150 Millionen Euro für »Grenzmanagement und Schmuggelbekämpfung« bereitzustellen. Vergangene Woche hatte Brüssel bereits 105 Millionen Euro für die Migrationsabwehr versprochen, hierzu war die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen selbst nach Tunesien geflogen.

Am Sonntag reiste auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach Tunis um über »Schlepperboote im Mittelmeer, Abschiebungen und legale Wege der Erwerbsmigration« zu sprechen, wie es hieß. Begleitet wurde sie von ihrem französischen Amtskollegen Gérald Darmanin. Vor ihrem für Sonntagnachmittag geplanten Abflug nach Tunesien sagte Faeser, sie wolle, dass »die Menschenrechte von Geflüchteten geschützt« werden und das »furchtbare Sterben auf dem Mittelmeer aufhört«.

Mit sogenannten Talentpartnerschaften wolle man jungen Menschen Chancen in der Europäischen Union bieten. Während ihrer Reise will Faeser auch ein Projektbüro der Bundespolizei besuchen. Am Montag stehen in der Hauptstadt Tunis Gespräche mit Präsident Kais Saied und Innenminister Kamel Fekih an.

Hauptfluchtroute übers Mittelmeer

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte dem unter wirtschaftlichen Problemen leidenden Land nach einem Gespräch mit Präsident Saied am Sonntag vergangener Woche Finanzhilfen in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro in Aussicht. Das entspricht der dreifachen Summe, mit der Brüssel Tunis zuletzt im Durchschnitt jährlich unterstützte. An den Treffen nahmen auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der niederländische Regierungschef Mark Rutte teil.

Der Weg von Tunesien über das Mittelmeer ist heute Hauptroute für Schutzsuchende auf dem Weg nach Europa. Zeitweise kamen im April 3000 Menschen pro Tag aus Tunesien in Italien an. Mit der Zunahme der Überfahrten stiegen auch die Todeszahlen im zentralen Mittelmeer: 1030 Menschen starben dort von Anfang des Jahres bis Mitte Juni – rund ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum.

Dazu beigetragen haben auch Massenverhaftungen und Pogrome in Tunesien gegen Menschen aus Staaten des südlichen Afrikas, zu denen Präsident Saied regelrecht angestachelt hatte. »Horden irregulärer Migranten aus Subsahara-Afrika« seien nach Tunesien gekommen, »mit all der Gewalt, der Kriminalität und den inakzeptablen Praktiken, die damit einhergehen«, hatte Saied im März gesagt. Dies sei eine »unnatürliche« Situation und Teil eines kriminellen Plans, der darauf abziele, »die demografische Zusammensetzung zu verändern« und Tunesien in »ein weiteres afrikanisches Land zu verwandeln, das nicht mehr zu den arabischen und islamischen Nationen gehört«.

Diese völkische Haltung wiederum erschwert die Ausgangslage für Meloni und die EU insgesamt, die Tunesien wieder als das Bollwerk gegen die Flüchtlinge aufbauen wollen, das es vor allem in den Zeiten des 2011 gestürzten Diktators Zine Al-Abidine Ben Ali war.

Tunesien ist auf Hilfe bei der Erfüllung der Voraussetzungen für neue IWF-Kredite angewiesen. Präsident Saied kann weder Importe finanzieren noch Staatsschulden bedienen. Die europäischen Regierungen fürchten, dass nach einem Zusammenbruch der tunesischen Staatsfinanzen auch wieder zunehmend Tunesier*innen versuchen könnten, über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Deren Anteil lag zuletzt bei nur etwa sieben Prozent der Ankommenden, in den vergangenen Jahren stellten sie zeitweise die größte Gruppe.

Welchen Preis hat Tunesien?

Doch inwieweit und zu welchem Preis Tunesien beim EU-Grenzschutz mitziehen wird, ist offen. Brüssel will das Land seit langem am liebsten als Standort für Asylverfahrenslager aufbauen, in die vor allem auf dem Mittelmeer Gerettete gebracht werden können, um dort auf eine Prüfung ihres Asylantrags zu warten. Tunesien lehnt dies bisher strikt ab.

Die Innenministerkonferenz hatte kürzlich eine Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten um die Länder Tunesien, Marokko, Algerien, Indien sowie Moldau und Algerien gefordert. Asylanträge von Schutzsuchenden aus diesen Ländern könnten beschleunigt bearbeitet werden, weil sie im Regelfall als unbegründet angesehen werden. nd/dpa

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