Abolish Frontex: Kritik an Europols »Trendbericht« zu Terrorismus

EU-Polizeiagentur kriminalisiert Anti-Frontex-Kampagne und No-Border-Bewegung

Demonstration der Initiative Seebrücke gegen Frontex und die EU-Flüchtlingspolitik im September 2021 in Potsdam. Europol rückt derartige Versammlungen in die Nähe von Terrorismus.
Demonstration der Initiative Seebrücke gegen Frontex und die EU-Flüchtlingspolitik im September 2021 in Potsdam. Europol rückt derartige Versammlungen in die Nähe von Terrorismus.

Das internationale Netzwerk Abolish Frontex hat seine Nennung im jüngsten Anti-Terrorismus-Bericht von Europol scharf kritisiert. Es handele sich um eine Kriminalisierung von Dissens, mit der eine gewaltsame Unterdrückung der dort engagierten Aktivisten vorbereitet werden solle, so das Netzwerk in einer Stellungnahme gegenüber dem »nd«. Die in Den Haag ansässige EU-Polizeiagentur hatte Abolish Frontex im Mai in ihrem aktuellen »Bericht über die Lage und Entwicklung des Terrorismus in der Europäischen Union« (TE-SAT) erwähnt. Dort sammelt Europol terroristische Vorfälle in den 27 Mitgliedstaaten und damit im Zusammenhang stehende Verhaftungen.

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Dass Abolish Frontex im TE-SAT-Bericht auftaucht, wirft Fragen auf. Denn wie Europol selbst schreibt, befasse sich dieser zwar »in erster Linie mit dem Terrorismus«, erwähne aber auch »gewalttätige extremistische Vorfälle, Handlungen und Aktivitäten«. Es bleibt offen, wieso dies auf Abolish Frontex zutreffen soll. Das Netzwerk besteht derzeit aus 132 Gruppen und Organisationen, darunter aus der Seenotrettung oder Rechtsberatung, sowie der Selbstorganisation von Geflüchteten. »Abolish Frontex arbeitet darauf hin, das EU-Grenzregime zu beenden, den grenzindustriellen Komplex abzuschaffen und eine Gesellschaft aufzubauen, in der sich die Menschen frei bewegen und leben können«, heißt es auf der Webseite zu den Zielen.

Auch No-Border-Bewegung im Bericht genannt

In dem »Trendbericht« von Europol wird Abolish Frontex nicht direkt als terroristisch bezeichnet, sondern erscheint unter der Überschrift »Linke und anarchistische terroristische Anschläge, Verhaftungen, Verurteilungen und Strafen« und dem dortigen Unterpunkt »Aktivitäten und Themen«. Auch eine »No-Border-Bewegung« wird im TE-SAT-Bericht genannt, da sich diese »innerhalb des linksextremen und anarchistischen Spektrums für die Abschaffung der Grenzen und die weltweite Freizügigkeit« einsetze. Die als »Extremisten« bezeichneten Aktivisten propagierten Europol zufolge »Narrative zur Unterstützung ihrer eigenen Vorstellungen über Migration«. In diesem Zusammenhang werde vor allem die Grenzagentur Frontex »als Feindbild gesehen«.

Schließlich zählt Europol auch ein Grenzcamp vom August 2022 in Rotterdam zu den Netzwerken, die linken Terrorismus begünstigten. An dort abgehaltenen Diskussionen und Workshops mit dem Schwerpunkt der Abschaffung von Frontex hätten laut Europol »Extremisten aus ganz Europa« teilgenommen. Diese Veranstaltungen haben tatsächlich stattgefunden, bestätigt eine Teilnehmerin dem »nd«. Das Camp sei aber komplett friedlich und überdies mit rund 150 Teilnehmenden eher klein gewesen.

»Hier geht es ganz klar um darum, linke Positionen, Vorstellungen und Aktionsformen als extremistisch zu brandmarken«, kritisiert die linke Europaabgeordnete Cornelia Ernst auf Anfrage des »nd«. Das Europol-Papier lese sich stellenweise wie alte Verfassungsschutzberichte aus Deutschland. »Damit wird von Europol der Grundstein für eine weitere Kriminalisierung der No-Border-Aktivisten gelegt«, so die Abgeordnete, die ihren Wahlkreis in Dresden hat.

Vier Tote nach dschihadistisch und rechtsextrem motivierten Anschlägen

In dem TE-SAT-Bericht widmet sich Europol auch anderen terroristischen Bedrohungen, darunter in den Kategorien rechts, dschihadistisch, ethno-nationalistisch oder separatistisch. In allen Bereichen zählt die Polizeiagentur für 2022 insgesamt 28 abgeschlossene oder gescheiterte Anschläge, viele davon wurden mit Brandsätzen verübt. Unter diesen geplanten oder vollendeten Taten seien 16 dem »linken und anarchistischen Terrorismus« zuzuordnen, zwei dem dschihadistischen Terrorismus und einer dem Rechtsterrorismus.

Allerdings verlaufen den linken Aktivisten zugerechnete Taten vergleichsweise harmlos, wie auch Europol zugibt. So seien im vergangenen Jahr vier Todesopfer zu beklagen gewesen, von denen zwei auf dschihadistisch motivierte Taten in Belgien und Frankreich sowie zwei auf einen rechtsextremen Terroranschlag in der Slowakei zurückzuführen seien.

Insgesamt ging die Zahl der Anschläge mit der Corona-Pandemie drastisch zurück; 2020 berichtete Europol noch von 56 Vorfällen. Die Polizeiagentur schreibt jedoch, der Rückgang könne »auf die unterschiedliche Einstufung linksterroristischer Anschläge durch die Meldeländer in den letzten Jahren« zurückzuführen sein. Bei den 2022 gemeldeten Vorfällen seien Polizeibeamte ein »Hauptziel gewalttätiger Angriffe durch linksextremistische und anarchistische Akteure« gewesen. Dabei habe es sich um vorsätzliche und gezielte Angriffe gegen Polizeibeamte sowohl während als auch außerhalb des Dienstes gehandelt, darunter auch auf Privatfahrzeuge und Wohnungen.

Anschlagsplan auf linkes Fest in Österreich unbekannt

Soweit bekannt, ist Europol nicht selbst für die Recherche zu terroristischen Vorfällen, Verhaftungen und Aktivitäten von Netzwerken verantwortlich, sondern beruft sich dabei auf Meldungen aus den Mitgliedstaaten. Wer die Erwähnung der Anti-Frontex-Kampagne und der No-Border-Bewegung veranlasste, bleibt offen. Im Falle des Grenzcamps liegt nahe, dass es sich um die Polizei oder den Inlandsgeheimdienst der Niederlande handelte.

Mitunter melden einzelne Regierungen auch Ereignisse, die im eigenen Land noch gar nicht bekannt sind. Im Jahresbericht von 2022 hatte die Polizeiagentur etwa über einen geplanten rechtsextremen Anschlag auf ein linkes Fest berichtet. Erst später kam heraus, dass es sich dabei um das das Wiener »Volksstimme«-Fest handelte.

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