Klimaangst: Emanzipation statt Leugnung

Der Klimawandel ist längst real – und mit ihm steigt die Klimaangst. Zur Bewältigung braucht es eine psychoanalytisch-sozialpsychologische Perspektive

  • Marvin Ester und Rhonda Koch
  • Lesedauer: 7 Min.
Kopflose Flucht: Zugleich Realität in der Klimakrise und Metapher für ihre Verdrängung
Kopflose Flucht: Zugleich Realität in der Klimakrise und Metapher für ihre Verdrängung

Spätestens seit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal vergangenen Jahres ist deutlich geworden: Die Folgen der Klimakrise, die bereits seit Jahrzehnten die Lebensbedingungen zahlloser Menschen im sogenannten globalen Süden beeinträchtigen, sind nun auch im Leben und in der Alltagserfahrung der Menschen im »Norden« angekommen. Von der American Psychological Association (APA) wird Klimaangst bereits anerkannt als »chronische Angst vor dem Untergang einer von Menschen bewohnbaren Umwelt«. Entsprechend nimmt das Interesse an der Disziplin der Klimapsychologie zu, die fragt, wie Menschen die Klimakatastrophe wahrnehmen und verarbeiten – ob sie resignieren oder sich zum politischen Organisieren veranlasst sehen, ob Ängste angenommen oder verdrängt werden und ob Leid und Bedrohungserfahrungen zu Solidarität oder Ressentiment führen.

Spätestens seit den 60er Jahren gilt die Umweltpsychologie als eigenständige Disziplin. Mit Anfang des 21. Jahrhunderts liegt ihr Fokus auf dem Zusammenhang von menschlichem Verhalten und der menschenbedingten Zerstörung der planetaren Lebensgrundlagen. Wie jedoch einige Klimapsycholog*innen (selbst-)kritisch hervorheben, liegt das Hauptaugenmerk gegenwärtig noch immer darauf, die Möglichkeiten und Hindernisse individueller Verhaltensänderungen zu analysieren, wodurch soziale Faktoren aus dem Blick zu geraten drohen und eine gesellschaftstheoretische Perspektive gewissermaßen von vornherein ausgeschlossen wird.

Gefordert wird daher ein neuer methodologischer Rahmen für eine kritische Klimapsychologie. Drei Anliegen stehen dabei im Zentrum: Eine kritische Klimapsychologie muss erstens dem Umstand Rechnung tragen, dass soziale Praxis- und Interaktionszusammenhänge maßgeblich das beeinflussen, was wir gemeinhin als »individuelle Erfahrung« verstehen. Zweitens muss eine kritische Klimapsychologie die relative Eigendynamik überindividueller Herrschaftsstrukturen anerkennen, um in den Blick zu bekommen, wie Handlungsfähigkeit strukturell beschränkt ist, selbst wenn dies keiner willentlichen Handlung oder Intention einzelner Akteur*innen entspringt. Drittens und zuletzt steht eine kritische Klimapsychologie auf der Seite derer, die an der Überwindung jener Umstände interessiert sind, durch die es überhaupt erst zur Klimaangst kommt.

Strukturelle Dimensionen

Die Frage nach der komplexen Verschränkung von subjektiver Welterfahrung und objektiver Sozialstruktur, die für eine kritische Klimapsychologie elementar ist, ist für die Denktradition einer materialistischen Kapitalismuskritik nicht neu. So war für den frühen Marx der Begriff der »Entfremdung«, in dem sich Welt- und Selbstwahrnehmung und die herrschaftsförmigen Effekte der kapitalistischen Sozialstruktur verbinden, die maßgebliche Kategorie seiner Kapitalismuskritik. Marx aufgreifend, beschreibt die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi Entfremdung als ein »Verhältnis gestörter bzw. verhinderter Welt- und Selbstaneignung«: Entfremdung ist nicht (nur) das, was uns daran hindert, die Welt so zu gestalten, wie wir wollen. Entfremdung verhindert auf tieferer Ebene, dass wir die Frage danach, wie wir leben wollen, überhaupt erst einmal angemessen aufwerfen und vernünftig darum streiten.

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Eine Beschreibung der spezifischen Unfreiheit, zu denen solche »Reflexionsblockaden« führen, findet sich bei dem marxistischen Psychologen Klaus Holzkamp. Aus Holzkamps Sicht sind die entfremdeten Verhältnisse des Kapitalismus charakterisiert durch das, was er »restriktive Handlungsfähigkeit« nennt. Vereinfacht gesagt, ist restriktives Handeln eine Art Konfliktbewältigung zum Preis einer (zukünftigen) Selbstschädigung. Diese »Schädigung« besteht im Kapitalismus darin, dass die Geschädigten selbst an der Reproduktion der strukturellen Herrschaft, unter der sie leiden, mitwirken. Vor diesem Hintergrund ist laut Holzkamp die Selbst- und Welterfahrung von Menschen durch eine »existentielle Verunsicherung« geprägt. Denn immer stellt sich die Frage, ob sich durch einen Ausbruch aus dem restriktiven Handlungsmodus mehr Handlungsfähigkeit erreichen ließe oder im Gegenteil die eigene Handlungsfähigkeit durch soziale und materielle Sanktionen empfindlich eingebüßt würde.

Womit Holzkamp dabei über Marx hinausgeht, ist die Annahme, dass das strukturell erzwungene »Mitmachen« mit subjektiv-psychologischen (Neben-)Effekten einhergeht. Die kognitive Dissonanz, an der eigenen Beherrschung mitzuwirken, führt zu Widerspruchs- und Konfliktbewältigungen durch Wirklichkeitsverkennung. Natürlich sind Abwehrmechanismen aus gesellschaftlicher Sicht nicht per se problematisch. In vielen Fällen haben sie die wichtige Funktion, ein »gesundes« Ich zu stabilisieren, indem allzu schmerzhafte oder bedrohliche Konflikte und negative Empfindungen reguliert beziehungsweise gelindert werden. Was jedoch zu problematisieren ist, sind solche Formen von Abwehr, die man in den Worten von Holzkamp als selbstschädigend beschreiben kann: Sie verhindern, dass sich die betroffene Person oder soziale Gruppe einem Leid verursachenden gesellschaftlichen Arrangement überhaupt adäquat widmen kann, um zu dessen Überwindung beizusteuern.

Auch dieser Gedanke, dass die Selbsterhaltungskräfte struktureller Herrschaft mit desaströsen Folgen für die Betroffenen einhergehen, hat in der Ideengeschichte der kritischen Theorien eine lange Tradition. So beschrieb etwa schon Nietzsche in seiner Kritik am »Ressentiment« dieses als stabilisierenden Faktor gerade für jene Verhältnisse, die das Ressentiment als defizitäre Krisenbewältigung überhaupt erst hervorgebracht haben. Was aber hat all das mit »Klimaangst« zu tun?

Das Fallbeispiel Lausitz

Für die ostdeutsche Region Lausitz existieren empirische Erhebungen zum Transformationskonflikt zwischen kapitalistischem Lohnarbeitszwang und Klimaschutz. Diese suggerieren, dass hier fehlende betriebliche Mitsprache zu einem Empfinden von Ohnmacht, drohender Enttäuschung und dem generellen Gefühl führt, »nicht mehr anerkannt, nicht mehr wertgeschätzt« zu werden. In der Folge tendieren viele der Kolleg*innen zu einer »Wagenburg«-Defensive, verstehen sich als angegriffene und zur Verteidigung gezwungene Einheit. Dabei grenzen sie sich ab von »der Politik«, die mit dem »grünen Zeitgeist und dessen aktivistischen Akteur*innen« gemeinsame Sache mache. Nicht zuletzt relativierten dabei einige die Dringlichkeit oder sogar Wirklichkeit der Folgeschäden des Klimawandels überhaupt.

Aus psychoanalytisch-sozialpsychologischer Perspektive ließe sich hier vorsichtig deuten, wie Ohnmachtserfahrungen eine Auslegung von Realität befördert, von der sich die Beschäftigten unbewusst erhoffen, dass sie ihr Leid lindern kann. Erfahrungen von Missachtung werden über die Relativierung beziehungsweise Leugnung der Dramatik der Klimakrise, über die Eingrenzung der eigenen Gruppe und Abwertung der »Anderen« umgeschrieben.

Ob und wie es zu solchen Reaktionen kommt, hängt selbstverständlich von zusätzlichen Faktoren ab. So scheinen sich regressive Potenziale gerade dann zu entfalten, wenn sie ein politisches Umfeld finden, das ihre Ressentiments bestärkt – sei es durch eine geteilte Erzählung oder den Zusammenschluss zu einer Gruppe unter einer (geteilten) Identität. Regressive »Misstrauensgemeinschaften« (Zygmunt Baumann) können für die Gruppenmitglieder die abschottende Funktion haben, dass die eigene Erzählung nicht mehr ernsthaft herausgefordert wird. Es kann zur berühmten »Schiefheilung« (Freud) des Ressentiments kommen, die psychisch entlastet, jedoch zu dem Preis, dass innerhalb des Zusammenschlusses keine kritische Distanz mehr zu den Selbst- und Realitätsinterpretation entwickelt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Möglichkeit ernst zu nehmen, dass Transformationskonflikte wie der in der Lausitz unter den Vorzeichen der austeritätsökologischen Krisenbewältigung absehbar zunehmen und sich intensivieren werden.

Äußerst alarmierend ist darüber hinaus, dass laut dem Peoples’ Climate Vote mittlerweile mehr als 64 Prozent der befragten Menschen den derzeitigen Zustand des Weltklimas als »Notfall« einstufen, substanzielle Lösungsstrategien jedoch weitgehend außer Sicht sind. Solange politische Rahmenbedingungen effektiver Klimapolitik im Großformat nicht geschaffen sind, sind die meisten Menschen der Klimakrise schlichtweg ausgeliefert. Was also sind die Einsichten, die eine kritische Klimapsychologie zur Analyse und Strategiebildung beitragen kann?

Was tun?

Auf politisch-programmatischer Ebene bedarf es einer angstnehmenden und dennoch realitätsorientierten Klimapolitik, die sich vom optimistischen Modell eines grünen Kapitalismus abgrenzt und es zugleich schafft, sich als bessere Alternative zur reaktionären Konsensbildung neoautoritärer »Echokammern« und »Filterblasen« durchzusetzen. Um dem Erlebnis der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins entgegenzutreten, muss ganz im Sinne einer transformativen ökologischen Erziehung die Frage im Zentrum stehen, wie Menschen nicht als Rezipient*innen, sondern als handlungs- und gestaltungsfähige »Akteure eines Transformationsprozesses« einbezogen werden können. Es muss berücksichtigt werden, dass die Entscheidung, aus den Bahnen restriktiven Handelns auszubrechen, ein Wagnis ist. Damit emanzipatorische Klimapolitik überzeugt, müssen ihre Projekt- und Organisationsweisen in der Form demokratisch-partizipativ und in ihren Zielen hoffnungsvoll-realistisch sein. Nur so lässt sich eine politische Verlässlichkeit schaffen, die eine entscheidende Voraussetzung des individuellen Einsatzes im Kampf um ein höheres Niveau an Handlungsfähigkeit im Angesicht der Klimakrise ist.

Bei alledem muss Klimakommunikation abwehrsensibel sein. Wie nicht nur aus der psychoanalytischen Praxis bekannt ist, werden Verdrängungen durch konfrontative Kritik oftmals noch verstärkt und radikalisiert. Klimakommunikation darf in dieser Hinsicht nicht bei den Fakten von der drohenden Klimakatastrophe stehenbleiben, sondern muss stets darum bemüht sein, durch solidarische Organisation Möglichkeiten zu bieten, wie Ohnmachts- und Bedrohungsgefühlen entgegengearbeitet werden kann. Entscheidend ist, dass sich eine emanzipative Klimapolitik dabei von einer individual- und konsumorientierten Klimakommunikation und ihrer Tendenz zur Vereinzelung, Bevormundung, der Fortschreibung »restriktiven Handelns« und damit letztlich der Übersetzung von Klimaangst in Ressentiments, unterscheidet. Auf diesem Wege kann eine psychoanalytisch-sozialpsychologische Perspektive selbst ein wichtiger Teil einer umfassenden emanzipatorischen Überwindung der Bedingungen der Klimakrise werden.

Gekürzter Abdruck aus der Zeitschrift »Prokla« 211: Tarifvertrag. 53. Jg., Heft 2, Juni 2023, Bertz + Fischer, 208 S., 15 €.

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