Rad fahren: Aufregende Geschichten

Redakteurinnen und Mitarbeiter des »nd« schildern ihre Fahrraderlebnisse, wann und wieso sie radeln – oder auch nicht.

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Radfahren ist klimafreundlich und kann sehr schön sein. So gesehen wäre es naheliegend, den Radverkehr großzügig zu fördern und sicherer zu machen. Doch in Berlin hat die Verkehrsverwaltung viele Radwege-Projekte vorerst gestoppt. Auch anderswo ist Radeln oft gefährlich: Die Zahl der bei Unfällen verletzten Radfahrer*innen ist in jüngster Zeit sogar gestiegen. Breitere Radwege und auch Tempo 30 in Städten brächten mehr Sicherheit. Wie der Radalltag unter den gegebenen Bedingungen aussieht, schildern zehn Redakteur*innen und Mitarbeiter*innen des »nd«. Sie erzählen, wann und wieso sie radeln – oder auch nicht.

Auf dem Gehweg

Ich fahre erst regelmäßig Rad, seit ich Kinder habe. Der Weg zur Kita war mit den Öffis zu umständlich und zu Fuß zu lang. Zuerst saßen sie hinten im Kindersitz, seit sie vier oder fünf sind, fahren sie allein. Und seither gibt es regelmäßig Ärger mit Fußgängern, die mich anpöbeln, weil ich mit meinem Kind auf dem Bürgersteig fahre. Früher habe ich an ihr Gefühl appelliert: »Soll ich meine Tochter denn hier allein fahren lassen?« Inzwischen habe ich mich auf das Autoritätsargument verlegt und rufe ihnen zu: »Mein Kind darf gar nicht auf der Straße fahren. Lesen Sie mal die Straßenverkehrsordnung!« Mittlerweile habe ich einen siebten Sinn für Pöbler entwickelt. Ich erkenne sie schon von hinten, wenn ich nur ihren Rücken sehe. Sogar Polizisten haben mich schon angehalten! Deshalb an dieser Stelle eine Aufklärung für alle Bürgersteigbenutzer und -benutzerinnen:

Kinder bis zum achten Lebensjahr müssen, Kinder bis zum zehnten Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen. So steht es in Paragraf 2 StVO. Und weiter: »Soweit ein Kind bis zum vollendeten achten Lebensjahr von einer geeigneten Aufsichtsperson begleitet wird, darf diese Aufsichtsperson für die Dauer der Begleitung den Gehweg ebenfalls mit dem Fahrrad benutzen.« Eine Familie mit zwei Erwachsenen oder auch einem weiteren älteren Kind muss hingegen getrennt fahren. 

Ines Wallrodt

Der Helm, mein Held

»Sie hatte zum Glück einen Helm auf«, höre ich den Mann vom Ordnungsamt sagen, als er den Rettungssanitätern alles erklärt. Etwas benommen ziehe ich meine Ringe von den Fingern, die gerade anschwellen. Fahrrad und ich haben was abbekommen, aber irgendwie geht’s noch – trotz der hohen Geschwindigkeit. Wegen des Helmes, meinem Held. Um sicherzustellen, dass ich ihn auch wirklich trage, ließ ich mir ein extra hübsches und teures Modell schenken. Den Unfall hat er nicht heile überstanden, meine gepolsterte Birne dafür schon.

Ich erinnere mich an meine eigene Verwunderung, keinen Schmerz zu spüren, nachdem mein Kopf auf den Beton geschlagen war. Seither bin ich auf Mission – und empfehle jeder Person bei jeder möglichen Gelegenheit, einen Helm zu tragen. Ich biete schon länger auch Stilberatung für Fahrradhelme an, besessen von der Aufgabe, die Menschen in meinem Leben gegen fiese Autotüren zu rüsten. Den Spaß am Radeln hab ich nicht verloren, schon gar nicht, seit ich einen neuen Helm habe – das gleiche Modell versteht sich. 

Julia Trippo

Sand auf dem Land

Laut »Brandenburg-Hymne« ist ja der märkische Sand »des Märkers Freude«. Für Radfahrer ist er eher eine Anfechtung. Das sollte man aber wie die ebenso häufigen Kopfsteinpflasterstrecken sportlich nehmen. Ihr Vorteil: Es gibt wenig bis keinen Verkehr und viel Idylle. Dagegen sorgen neu asphaltierte Pisten ohne Radweg für einen anständigen Adrenalinspiegel. Denn Autofahrer drücken hier gern besonders auf die Tube. Klar gibt es auch prima ausgebaute Fernradwege. Zu denen muss man aber erst mal hinkommen.

Tatsache ist: Radeln auf dem Land ist eher was für die Freizeit. Wenn man mit der Bahn zur Arbeit fährt, ist ein Rad hilfreich, denn Bahnhöfe liegen nicht vor der Haustür oder um die Ecke, sondern etwas weiter draußen zwischen zwei Orten. Weil die Stationen zwischen stündlichen oder noch selteneren Zugankünften und -abfahrten völlig verlassen sind, braucht man aber ein Rad vom Flohmarkt, dem man nicht nachweinen muss. Denn Diebstahl ist ebenso häufig wie die ausgelebte Zerstörungslust mutmaßlich junger gelangweilter Personen.

Viele Dorfbewohner haben gar keine Bahnstrecke in der Nähe. Sie fahren in der Regel mit dem Auto zur Arbeit. Für täglich mehrere Stunden auf dem Rad haben nun mal die wenigsten Zeit.

Jana Frielinghaus

Einen Bericht über den E-Bike-Boom und was Elektroräder zum Klimaschutz beitragen können finden Sie hier.

Tram statt Rad

Es ist nicht zu leugnen: Radfahren ist in vielerlei Hinsicht dem automobilen Wahnsinn vorzuziehen. Man ist in der Stadt fast genauso schnell unterwegs wie mit dem Pkw, tut der Umwelt nicht weh, sorgt für körperliche Ertüchtigung. Allerdings schafft die imaginierte Kampflinie zwischen Auto- und Fahrradfahrern falsche Vorstellungen vom Schlachtfeld Straßenverkehr.

Der kluge Städter zückt, wenn andere zum Autoschlüssel oder Fahrradhelm greifen, die Umweltkarte! Wer den öffentlichen Personennahverkehr nutzt, macht sich nicht mit reaktionären Kraftfahrern gemein. Zugleich erteilt er eine Absage an die radelnde Selbstherrlichkeit. Radfahren in der Großstadt ist denkbar gefährlich. Aber auch von Radfahrern selbst geht Gefahr aus, sind sie doch allzu oft, wie der durchschnittliche Automobilist, blind für die Regeln der Straßenverkehrsordnung wie des Anstands. Hinzu kommt ein unsympathischer, moralisch aufgeladener Überlegenheitsdünkel, der Radler auszeichnet. Aber die Verkehrswende wird nicht strampelnd vollzogen werden, sondern nur durch den Ausbau des ÖPNV ermöglicht werden. 

Erik Zielke (fahrrad- und führerscheinlos, aber glücklich)

Einen Beitrag über Panzerbikes und Egoräder und wie sich in Radtrends aggressive Verhältnisse spiegeln finden Sie hier.

Runter vom Rad

»Der Klügere gibt nach«, pflegte mein Opa in meiner Kindheit zu sagen, wenn mein Bruder mal wieder wegen meines nahenden Gewinns das ganze Brettspiel vom Tisch gefegt hatte und ich kurz davorstand, zum tätlichen Angriff überzugehen. Obwohl der Spruch damals öfter deeskalierend wirkte, rate ich davon ab, ihn zu verinnerlichen – denn die Linke wird ihren Kampf nicht durch Zugeständnisse gewinnen.

In gewissen Situationen aber bewahrheitet er sich immer wieder, am meisten wohl im Straßenverkehr. Blind auf seinem Recht zu beharren, weil man sich regelkonform verhält, ist hier ganz schön dumm – besonders, wenn man auf einem Drahtesel sitzt und der potenzielle Widersacher in einer tonnenschweren Blechbüchse.

Noch klüger erschien es mir vor einigen Jahren, das Radeln in den Berliner Innenstadtbezirken gänzlich aufzugeben. Zwar ist eine stickige U-Bahn zuweilen auch eine nervliche Herausforderung, aber die etwa zehn bis zwanzig Radfahrer, die jährlich in der Hauptstadt sterben, sind mir einfach zu viele. Und »rechts vor links« nützt einem leider manchmal wenig, wenn der Lkw-Fahrer einfach nicht alles sieht.

Es gibt allerdings Hoffnung für Angsthasen wie mich: Wenn der geplante Radweg entlang der Spree in spätestens ein paar Jahrzehnten fertig ist, werden nur noch die Pedale unter meinen Füßen nachgeben.  

Larissa Kunert

Klare Feindbilder

Ich fahre eine mittelmäßige Kiezgurke und das nicht besonders schnell. Ich bremse auch mal für auf den Radweg taumelnde Tourist*innen und vorausschauend für den Schulterblick vergessende, rechts abbiegende Autofahrer*innen. Die klaren Vorzüge des Radfahrens bestehen für mich darin, in der Regel schneller ans Ziel zu kommen als mit Öffentlichen und dabei ungeniert und unerhört schief vor mich hin singen zu können.

Und, zugegeben: Auf dem Rad kann ich meinen Hass auf Autofahrer*innen nähren und kultivieren. Wo gibt es sonst im Leben so klare Feindbilder? Jeder Feinstaubpartikel, der sich in meiner Lunge festsetzt, jedes auf dem Radstreifen parkende Polizeiauto, dessen Insassen gerade im Einsatz beim Hähnchengrill sind, jeder mich abdrängende und misogyn beschimpfende Fahrer eines blankpolierten Statussymbols, jeder SUV, an dem in engen Straßen selbst mit dem Rad nicht vorbeizukommen ist, gibt mir recht und Senatorin Manja Schreiner unrecht: Es gibt kein »gutes Miteinander« im Straßenverkehr, jedenfalls nicht, solange Autos nicht weitgehend aus der Stadt verbannt werden. 

Jutta Blume

Ich bin ein Mamil

»Rennradfahren funktioniert über Konsum, Nerdtum und Selbstdarstellung«, schrieb Francesco Giammarco kürzlich in der »Zeit«. Ja, auch ich bin ein »Mamil«, ein »Middle-aged man in Lycra«. Das von britischen Werbern erschaffene Akronym beschreibt Männer (wie mich), die als Antwort auf ihre Midlife-Crisis auf der Suche nach Herausforderungen sind. Vor allem nach jenen, die auch zum Angeben taugen: das teuerste Rad, der höchste Pass, die längste Strecke.

Es ist also wahr. Aber damit ist die Geschichte des Fahrrads längst nicht auserzählt. Das Fahrrad in all seinen Farben und Formen, auch das Rennrad als seine reduzierteste Art, hat mehr zu bieten. Mehr als diese wohlstandsgesättigten Männer in Radhosen wie mich.

Würde es fehlen, wäre die Welt sicherlich keine bessere: Es fehlte nicht nur als soziales Verkehrsmittel, das weltweit Partizipation ermöglicht. Es fehlte nicht nur Generationen von Pubertierenden, die darauf das Leben außerhalb ihrer erdrückenden Kleinfamilie erkunden. Es fehlte auch mir zum Angeben. Vor allem aber fehlte mir das ehrliche Gespräch mit mir selbst – das, zu dem ich sonst nicht käme.

Georg Ramsperger

Schönwetter-Gefährt

Hauptsache kein ÖPNV: Durch Strampeln angetriebene Zweiräder sind nicht verkehrt. Man ist flexibel. Wichtig ist das vorausschauende und nach Polizei Ausschau haltende Fahren, gerade auf dem Bürgersteig. Eine vollwertige Alternative zum komfortablen Individualverkehr sind Drahtesel nicht. So richtig taugen sie nur für Schönwetter, und solches herrscht in unseren Breiten nun mal viel zu selten. Um »in time« von A nach B zu gelangen, ist für mich das Moped bei längeren Wegen durch die Metropole die bessere Wahl. Mit dem im Reich der Mitte erbauten Fahrzeug – ein dort noch mal erfundener Japaner – ziehe ich an fast jedem Stau vorbei. Auf langen Geraden lasse ich gern Hipster mit ihren superteuren Hightech-Bikes stehen. Unter dem satten Klang des Verbrenners komme ich ans Ziel, ohne dass mir das Hemd am Leib klebt.

Mein eigenes Rad hat nicht die Welt gekostet und ist nichts Besonderes: Früher oder später wird es mir in Berlin sowieso ausgespannt. Erst neulich war es einfach verschwunden. Als ich es vor dem Laden wiedersah, wo ich es vergessen hatte, war ich doch froh. Es ist schließlich Sommer, die richtige Zeit zum Cruisen und Entdecken. Das geht am besten mit dem Rad.  

Peter Steiniger

Rauchen und Radeln

Ich habe in meinem Leben bislang nur zwei mehrtägige Radtouren gemacht. Die erste mit 15 in Südfrankreich, am Atlantik. Das erste Mal mit Freunden, ohne Eltern. Ich weiß noch, wie ich damals eine Packung Gitanes kaufte und mein bester Freund, damals ein großes Basketballtalent, sagte: »Wenn du die geraucht hast, kannst du deine Kondition vergessen.« Ich dachte: Ohje. Geraucht haben wir sie trotzdem. Später fuhren wir über die Pyrenäenausläufer nach San Sebastian und kauften uns dort Ducados, weil sie so billig waren. Und so stark: Wir schafften jeder nur eine oder zwei am Abend.

Als ich dann 30 war, fuhr ich mit einem kommunistischen Kettenraucher durch Tschechien, an der Elbe entlang. Wenn wir eine Viertelstunde Pause machten, rauchte ich eine Marlboro und er vier. Er begriff sich als Radsportler. Doch gab es für seinen Geschmack zu viel Gegenwind, stieg er ab, verfluchte das Land mit seinem verdammten Wind und schmiss sein Fahrrad wütend in den Graben. Früher nannte man das revolutionäre Ungeduld. Bei Kommunisten heute kaum noch merkbar. Aber groß voran kommen sie auch nicht.  

Christof Meueler

Die Abkürzung

Wer sich über das soziale Gegeneinander in Deutschland informieren möchte, dem sei ein Bummel durch Hamburger Stadtteile wie Eppendorf, Eimsbüttel oder Winterhude empfohlen. Zu Fuß, wohlgemerkt. Klimakleber und Energiekrise hin oder her, mehr ist hier mehr: mehr und größere E-Autos, massenhaft E-Roller und Fahrräder, gerne als E-Bike.

Wie in anderen Städten ist die Fahrraddichte in »besseren« Wohngebieten besonders hoch. Gefahren wird wie selbstverständlich auf dem Fußweg. Alte und Eltern mit Kind haben zügig Platz zu machen. Dabei flitzen nicht allein pubertierende Teenies um uneinsichtige Häuserecken – ok, man war ja auch mal jung –, sondern auch ältere Semester.

Wer in mondäne Einkaufsstraßen flüchtet, darf mutig dem auf hauchdünnen Fahrradstreifen im Mercedes-AMG-Tempo entgegen rasenden S-Pedelecs (mit und ohne ausgedehnter »Cargobox«) trotzen. Da sich das altersunabhängige juvenile Leben vornehmlich darum dreht, möglichst schnell von A nach B zu eilen, sind sogar Parks keine Oasen der Ruhe für Bummelanten mehr. Schließlich werden Grünanlagen auf Smartphone-Maps als schnellste Abkürzung gepriesen.

Hermannus Pfeiffer

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