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Geflüchtet in Berlin: Genosse kann nicht jeder werden

Ohne Aufenthaltstitel gibt es auch keine Förderung für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.
Im »Quartier Wir« in Berlin-Weißensee hat der Verein Xenon bereits Genossenschaftsanteile für Gefüchtete übernommen.
Im »Quartier Wir« in Berlin-Weißensee hat der Verein Xenon bereits Genossenschaftsanteile für Gefüchtete übernommen.

Ob ein Förderprogramm überarbeitet werden muss oder nicht, zeigt sich auch an der Anzahl der Antragsteller. Im vergangenen Jahr gingen lediglich sechs Anträge auf die genossenschaftliche Anteilsförderung bei der Investitionsbank Berlin ein. Nur zwei davon bewilligte die IBB, die Höhe des Gesamtvolumens betrug gerade einmal rund 59 000 Euro. Die restlichen Anträge mit einem Gesamtvolumen von 91 000 Euro wurden hingegen abgelehnt. Das teilt die IBB auf nd-Anfrage mit.

Zwei bewilligte Anträge – das ist ein Negativrekord. 2020 waren es immerhin noch sieben. Für Bea Fünfrocken vom Verein Xenion, der sich für ein menschenwürdiges Wohnen geflüchteter Menschen einsetzt, liegt das Problem auf der Hand. »Die IBB prüft wie bei einem Darlehen. Natürlich schließt das Menschen aus«, sagt sie. Ob Wohnungssuchende mit befristetem Aufenthaltstitel, Transferleistungsbezieher oder Rentner: Gerade die, die die Anteilsförderung am dringendsten brauchen, haben keine Chance.

Wenn Genossenschaften bauen, müssen diejenigen, die in diesen Bauten wohnen wollen, Anteile zeichnen. Denn Banken geben Kredite meist nur über ungefähr 70 Prozent der Gesamtkosten für einen Bau. Und gerade bei jungen Genossenschaften ohne Eigenkapital sind die Anteile, die verlangt werden müssen, sehr hoch. Sie liegen heutzutage kaum mehr unter 1000 Euro pro Quadratmeter. Für Transferleistungsempfänger übernehmen die Ämter lediglich Genossenschaftsanteile in Höhe der dreifachen Bruttowarmmiete. Das reicht bei weitem nicht.

2018 hatte der Senat ein Förderprogramm für den Anteilserwerb aufgelegt. Es richtet sich an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins (WBS), also an Menschen mit geringem Einkommen beziehungsweise nach den Plänen des Senats sogar an jene, die bis zu 2200 Euro netto verdienen. Dieses Förderprogramm gewährt ein zinsloses Darlehen bis zu 50 000 Euro.

Nach den in der vergangenen Woche im Hauptausschuss beschlossenen Änderungen wird die Darlehenslaufzeit künftig bei 30 Jahren liegen. Außerdem soll bereits zu Beginn ein Tilgungsverzicht in Höhe von 15 Prozent gewährt werden. Damit verringert sich unmittelbar die Tilgungssumme, mehr Menschen dürften es daher durch die Bonitätsprüfung der IBB schaffen, so die Rechnung der Senatsbauverwaltung. Gefragt nach den geringen Zahlen an Antragstellern heißt es aus dem Haus von Bausenator Christian Gaebler (SPD): »Die Inanspruchnahme des Programms stellt den Senat nicht zufrieden.« Gerade deshalb habe man die Änderung vorgenommen.

Aus Fünfrockes Sicht ist das wesentliche Problem damit aber immer noch nicht behoben. Solange die Bonitätsprüfung wie bei einem Bankdarlehen erfolgt, sind viele von der Förderung des Anteilserwerbs ausgeschlossen, einerseits, weil sie das Darlehen nicht zurückzahlen könnten und deshalb als kreditunwürdig eingestuft werden. Andererseits haben Geflüchtete, die im Asylverfahren sind, lediglich eine Duldung oder eine Aufenthaltserlaubnis unter zwölf Monaten besitzen, keinen Anspruch auf einen WBS.

Das führt zu dem widersinnigen Ergebnis, dass Genossenschaften, die Sozialwohnungen bauen wollen oder durch Konzeptverfahren dazu gezwungen sind, am Ende keine Transferleistungsbezieher oder Geflüchtete mit begrenzten Aufenthaltstiteln dort einziehen lassen können. Es sei denn, eine dritte Person springt für die Genossenschaftsanteile ein.

Genau das macht der Verein Xenion zusammen mit der Stiftung Trias. Aus einem Sondervermögen von privaten und gestifteten Geldern übernehmen sie die wohnungsbezogenen Pflichtanteile für Geflüchtete. Seit 2019 gelang es dadurch, dass in 14 Genossenschaftswohnungen Geflüchtete einziehen konnten. »Das Modell funktioniert im Privaten, bloß halt nicht mit dem Senat«, sagt Fünfrocken.

Nun waren Genossenschaften in ihrer langen Geschichte immer ein Mittel der Selbsthilfe. Doch der Staat hat Rahmenbedingungen geschaffen, die dieses solidarische Wohnen erst ermöglicht hat. »Genossenschaftliches Wohnen wird derzeit vernachlässigt«, meint Fünfrocken. Viel Geld fließe in den Betrieb von Notunterkünften und in den Bau der sogenannten modularen Unterkünfte für Geflüchtete, sagt sie. Zum Ankommen der Menschen oder zur Integration tragen diese Unterbringungsformen nicht bei. Klar, 2800 Geflüchtete sind derzeit allein auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tegel untergebracht: Genossenschaften können das auf die Schnelle nicht leisten. Warum man aber das Potenzial von Genossenschaften ungenutzt lässt, kann Fünfrocken nicht verstehen.

Einerseits fordert sie, dass der WBS auch für Geflüchtete geöffnet wird. Doch wirklich Hoffnung, dass das passiert, habe sie nicht. Die Senatsbauverwaltung habe ihr schon unter der früheren linken Hausleitung signalisiert, dass das nicht beabsichtigt sei, weil schon damals mehr Menschen anspruchsberechtigt gewesen seien als es Sozialwohnungen gegeben habe.

Einen neuen Anlauf will sie beim schwarz-roten Senat aber mit der Idee eines Solidarfonds starten, ein Vorschlag, mit dem sie unter der rot-grün-roten Vorgängerregierung nicht weiterkam. Dieser sieht vor, dass der Senat einen Fonds auflegt, aus dem die Pflichtanteile für Geflüchtete und Transferleistungsbezieher für WBS-Wohnungen bezahlt werden. Mit dem Ablauf der Sozialbindung der Wohnung und dem Einzug neuer Mieter könnten die Einlagen dann über die von diesen zu erbringenden Genossenschaftsanteile zurückgezahlt werden. Ein Genossenschaftsbeirat könnte die genauen Richtlinien mit allem, was dazu gehört, inklusive Fehlbelegungsabgabe, ausarbeiten.

Alles so zu lassen, wie es sei, könne man sich nicht leisten. »Wir steuern auf eine Unterbringungskatastrophe zu«, sagt Fünfrocken.

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