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Ein fatales Schisma

Vor 75 Jahren verfügte Stalin den Ausschluss der KP Jugoslawiens aus dem Kominform

  • Ronald Friedmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Anfang Mai 1943 hatte Stalin die Selbstauflösung der Kommunistischen Internationale angeordnet, die im März 1919 unter Lenin gegründet worden war. Stalin wollte seinen westlichen Verbündeten Entgegenkommen zeigen und so die Anti-Hitler-Koalition festigen (siehe »nd.DerTag«, 23.5.). Die Anordnung fiel ihm nicht schwer, denn es war bereits seit Jahren deutlich geworden, dass ein zentrales weltweites Führungsgremium für alle kommunistischen Parteien auf Dauer nicht funktionieren konnte. Stalin hatte deshalb schon seit längerer Zeit nach einem Anlass gesucht, sich von der ungeliebten kommunistischen Weltpartei zu verabschieden.

Doch trotz seiner Anordnung war Stalin keineswegs gewillt, auf jede Einflussnahme auf die internationale kommunistische Bewegung zu verzichten. Bereits während der Beratungen über den Beschluss zur Auflösung der Kommunistischen Internationale im Mai 1943, so notierte es Georgi Dimitrow in seinem Tagebuch, hatte Stalin festgestellt: »Vielleicht muss man zu regionalen Vereinigungen übergehen – zum Beispiel für Südamerika, die Vereinigten Staaten und Kanada, einige europäische Staaten usw.« Doch man solle, so Stalin weiter, »nichts überstürzen«.

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Im Frühjahr 1947, zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, schien der Augenblick gekommen, das im Mai 1943 angekündigte Vorhaben in Angriff zu nehmen. Der Kalte Krieg strebte einem ersten Höhepunkt entgegen. Denn US-Präsident Truman hatte am 12. März 1947 in einer »großen« Rede vor beiden Häusern des Kongresses seine »Doktrin« verkündet, dass nämlich die Welt nunmehr in zwei feindliche Lager geteilt und es folglich die Aufgabe der USA sei, den Staaten und Völkern der »freien Welt« vor allem finanzielle und wirtschaftliche Hilfe zu leisten, um die »Freiheit« zu verteidigen und um den internationalen Kommunismus, geführt von der Sowjetunion, einzudämmen.

Stalin sah daher die Notwendigkeit, die eigenen Reihen fester zu schließen und dazu einen speziellen Konsultationsmechanismus zu etablieren, um die als unverzichtbar gesehene Führungsrolle der sowjetischen KP auch unter den veränderten Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit durchsetzen zu können. Er erteilte dem polnischen KP-Chef Władysław Gomułka den Auftrag, die höchsten Vertreter der kommunistischen Parteien der osteuropäischen Volksdemokratien sowie Italiens und Frankreichs zu einer vertraulichen Konferenz einzuladen. Gomulka wies in seinem Einladungsschreiben auftragsgemäß darauf hin, dass auf keinen Fall die Gründung einer neuen Internationale geplant war. Doch als die Vertreter der eingeladenen Parteien vom 22. bis 30. September 1947 im polnischen Kurort Szklarska Poręba zusammenkamen, wurden sie von der Mitteilung überrascht, dass seitens der sowjetischen Führung die Gründung eines Kommunistischen Informationsbüros, Kominform, auf die Tagesordnung gesetzt worden war.

Damit reagierte die sowjetische Führung auf den US-amerikanischen Marshall-Plan vom Juni 1947, mit dem gewaltige finanzielle Mittel für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Europas bereitgestellt wurden. Auch den osteuropäischen Ländern im Machtbereich der Sowjetunion wurde Hilfe angeboten, die jedoch an die Errichtung einer »marktwirtschaftlichen Ordnung« gebunden war. Der Marshall-Plan war in erster Linie ein Konjunkturprogramm für die US-Wirtschaft, doch er trug tatsächlich auch dazu bei, Not und Elend in großen Teilen Europas zu mindern. In der Folge verloren die kommunistischen Parteien in Westeuropa, insbesondere in Frankreich und Italien, deutlich an Rückhalt und Einfluss in der Bevölkerung.

Gerade deshalb wurde Szklarska Poręba zunächst zum Schauplatz eines regelrechten Tribunals gegen die kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens. Den beiden Parteien wurde der Vorwurf gemacht, durch den Austritt aus den nationalen Regierungen wichtige Positionen aufgegeben und sich auf parlamentarische »Spielchen« eingelassen zu haben. Stalin befürchtete, dass ähnliche Entwicklungen auch in den osteuropäischen Ländern eintreten könnten, wo die Kommunisten zu dieser Zeit ebenfalls Partner in breit gefächerten Koalitionsregierungen waren und sich vor allem um parlamentarische Mehrheiten bemühten.

Die nachdrücklichste Unterstützung erhielt die Moskauer Position durch den Vertreter der jugoslawischen KP. Denn auch die Belgrader Führung um Josip Broz Tito vertrat die Ansicht, dass es keineswegs zulässig sei, einmal errungene Machtpositionen wieder aufzugeben, weil die parlamentarischen »Spielregeln« das verlangten.

Stalin belohnte dieses Verhalten mit der Entscheidung, Belgrad – und nicht wie ursprünglich geplant Warschau – zum Sitz des neu gegründeten Kominform zu machen. Die Gründungsmitglieder kamen aus neun Ländern: Albanien, Bulgarien, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei und Ungarn. Die SED stellte 1948 einen Aufnahmeantrag, dem jedoch nicht stattgegeben wurde, weil die Partei aus Moskauer Sicht noch nicht »reif« war. 1949 erhielt sie Beobachterstatus.

Das Kominform verfügte über keinen großen Apparat. Etwa 50 Mitarbeiter waren an der Herausgabe der Zeitschrift »Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie« beteiligt, des offiziellen Organs des Kominform, dessen Wirkung jedoch eher unbedeutend blieb. Doch dass das Kominform in der politischen Arena nur eine begrenzte Rolle spielen konnte, hatte andere Ursachen.

Bereits wenige Monate nach der Gründung entwickelte sich ein Konflikt, der zu einer tiefen Spaltung in der internationalen kommunistischen Bewegung führte. Anfang 1948 war Stalin zu der Entscheidung gelangt, den bisherigen eigenständigen Sozialismuskonzeptionen und außenpolitischen Alleingängen in seinem Machtbereich ein Ende zu bereiten. Insbesondere die Parteien in Bulgarien und Jugoslawien hatten »Eigenmächtigkeiten« gezeigt, die zu tolerieren Stalin nicht bereit war. Dazu gehörten die Vorbereitung einer Föderation der volksdemokratischen Balkan- und Donauländer und die Unterstützung der griechischen Partisanen, die weite Teile im Norden Griechenlands kontrollierten. Während die Bulgaren gegenüber Stalin umgehend einräumten, »Fehler« begangen zu haben, waren Tito und seine Genossen zu einem solchen Kotau nicht bereit.

Am 1. März 1948 beschloss das Politbüro in Belgrad, sich unbedingt dem sowjetischen Druck zu widersetzen und die im Kampf gegen Hitlerdeutschland errungene Eigenständigkeit nicht aufzugeben. Stalin, der sehr schnell von diesem Beschluss erfuhr, ließ am 18. und 19. März 1948 alle von der Sowjetunion entsandten militärischen und zivilen Experten aus Jugoslawien abziehen. Am 27. März 1948 übermittelten Stalin und sein Adlatus Wjatscheslaw Molotow einen Brief an Tito, in dem dessen Genossen in der engeren Führung als »zweifelhafte Marxisten« beleidigt wurden. Tito selbst, und das musste als eine unmittelbare Drohung aufgefasst werden, wurde an das Schicksal Trotzkis erinnert: »Seine politische Laufbahn kann, so glauben wir, als Lehre dienen.«

Als Tito eine bilaterale Klärung vorschlug, verwies Stalin auf die »Zuständigkeit« des Kominform. Doch dort hatte er bereits alle Weichen gestellt: Die 2. Tagung des Kominform, die vom 19. bis 28. Juni 1948 in Bukarest stattfand, befasste sich nahezu ausschließlich mit der »jugoslawischen Frage«. Da Tito und seine Genossen weiterhin nicht zum Einlenken bereit waren, verfügten die übrigen Mitglieder des Kominform auf »Wunsch« Stalins am 28. Juni 1948 den Ausschluss der jugoslawischen Kommunisten.

Explizit wurde in der berüchtigten Resolution »Über die Lage in der KP Jugoslawiens« gefordert, Tito zu entmachten und in Jugoslawien eine »neue, internationalistische Führung« einzusetzen. Unmittelbar nach der Kominform-Tagung begann im gesamten sowjetischen Machtbereich der »ideologische« Kampf gegen den »Titoismus«, verbunden mit einer gnadenlosen Jagd auf alle »Titoisten«, der erst nach dem Tod Stalins im März 1953 endete.

Nach der »Geheimrede« von Nikita S. Chruschtschow, dem neuen Mann im Kreml, auf dem 20. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 über die Verbrechen Stalins machte Tito die ersatzlose Auflösung des Kominform zur Voraussetzung für eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen. Chruschtschow kam dieser Forderung umgehend nach: Im April 1956 informierte die Zeitschrift »Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie« über das Ende des Kominform, das allerdings bereits seit dem Ausschluss der jugoslawischen Kommunisten nur noch ein Schattendasein geführt hatte.

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