Prozess gegen Melvin S. in Kiel: 3,5-Tonner als Angriffswaffe

In Kiel beginnt der Prozess gegen Melvin S., der vor drei Jahren in eine Gruppe von Demonstranten raste

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war der 17. Oktober 2020, ein Samstag. Im Bürgerhaus von Henstedt-Ulzburg im Süden Schleswig-Holsteins hielt die AfD eine Veranstaltung mit dem damaligen Parteichef Jörg Meuthen ab. Antifaschisten hatten sich versammelt, um gegen das Treffen zu protestieren. Dann passierte es: Gegen 18 Uhr fuhr ein schwerer Pick-Up in eine Gruppe Demonstranten. Vier von ihnen wurden durch den Anschlag verletzt.

An diesem Montag beginnt vor dem Landgericht Kiel der Prozess gegen Melvin S., der an jenem Abend am Steuer des Tatfahrzeugs saß. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr vor. Die lange Dauer zwischen Tat und Prozessbeginn wird mit Umstrukturierungen in Gericht und Staatsanwaltschaft erklärt.

Melvin S. aus Föhrden-Barl im Kreis Segeberg war zum Tatzeitpunkt mit 19 Jahren aus strafrechtlicher Sicht Heranwachsender. Wesentliche Teile des Prozesses könnten daher unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Dass der heute 22-Jährige mit der AfD und etlichen anderen rechten Gruppierungen sympathisierte, offenbarte kurz nach der Tat ein Blick auf seine Social-Media-Accounts. Die AfD dementierte derweil Gerüchte, er sei Mitglied der Partei.

Unmittelbar vor der Tat waren S. und Begleiter aufgefallen, weil sie geradezu provozierend auf dem Areal der Gegenkundgebung Sticker der extrem rechten Gruppierung »Ein Prozent« verklebten. Nach Augenzeugenberichten begab sich S. dann mit einem der Begleiter zu seinem silberfarbenen, 3,5 Tonnen schweren VW Amarok, fuhr los und, wie eines der Opfer später aussagte, »mit Vollgas« auf eine Gruppe von Antifaschisten zu.

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Ein Gutachter hat mittlerweile Geschwindigkeit wie Beschleunigung des Tatfahrzeugs untersucht. Der Pick-Up war demnach mit 25 bis 35 km/h unterwegs. Zeugen waren sich damals bereits sicher, dass bei dem Angriff nur durch Zufall niemand ums Leben kam. Die Opfer der Attacke leiden bis heute unter den Folgen ihrer dabei erlittenen, teils schweren Verletzungen, darunter eine Schädelprellung, Rippen- und Halswirbelverletzungen sowie eine gravierende Rückenblessur. Ein Betroffener steht deswegen vor der Frühverrentung und damit auch vor finanziellen Problemen, wie er der »taz« sagte.

Zur unübersichtlichen Situation an jenem Abend trug ein von einem Polizisten abgegebener Warnschuss bei. Für Irritationen sorgte auch die erste Pressemitteilung der Polizei nach dem Angriff. Darin hieß es: »Demonstranten der rechten und linken Szene gerieten außerhalb des Veranstaltungsgeländes aneinander. Dabei wurde im Rahmen eines Verkehrsunfalls eine Person der linken Szene schwer verletzt.« Etliche Medien übernahmen zunächst ungeprüft diese Darstellung.

Die AfD hat sich das Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg bereits mehrfach als Tagungs- und Veranstaltungsort ausgesucht. Weil es der Partei immer schwerer fällt, in Hamburg Räumlichkeiten für Zusammenkünfte zu finden, hat auch ihr Hamburger Landesverband bereits wiederholt das Bürgerhaus der nördlich der Hansestadt gelegenen 26 000-Einwohner-Gemeinde genutzt.

Das Bündnis »Tatort Henstedt-Ulzburg«, das auch die Opfer des Anschlags unterstützt, fordert, der AfD das Bürgerhaus nicht mehr zur Verfügung zu stellen. Das Bündnis berichtete vor Prozessbeginn von der großen Solidarität, die seine Arbeit erfährt. Ein Gruß kam jetzt sogar von der »New York City Antifa«. Zum Prozessauftakt mobilisieren Antifa-Gruppen zu einer Kundgebung vor dem Kieler Landgericht.

Eine heute 24-Jährige, die bei dem Anschlag verletzt wurde, wird in dem Verfahren als Nebenklägerin auftreten. Sie war angefahren worden, verlor das Bewusstsein und musste mit zahlreichen Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden.

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