Niederlande ringen mit ihrer Kolonialgeschichte

150 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei spricht König Willem-Alexander Entschuldigung aus

  • Sarah Tekath, Amsterdam
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Amsterdamer Oosterpark steht das nationale Sklaverei-Monument. Am vergangenen Samstag tobte hier das Leben mit Musik, Geselligkeit und bunten Farben. Denn die Niederlande feiern am 1. Juli »Keti Koti«. Der Name stammt aus dem Sranan Tongo, einer der Kreolsprachen in Surinam. Erst 1975 hatte der kleine Staat im Norden Südamerikas die politische Unabhängigkeit von den Niederlanden erlangt.

»Keti Koti« bedeutet zerbrochene Kette und steht für die Abschaffung der Sklaverei in den niederländischen Kolonien in der Karibik. In Surinam und auf den niederländischen Antillen dauerte die brutale Ausbeutung auf den Plantagen über 200 Jahre an, offiziell endete die Sklaverei am 1. Juli 1863, also vor 150 Jahren. Zu dem besonderen Jubiläum fanden nicht nur im Oosterpark, sondern an mehreren Orten in Amsterdam Festlichkeiten statt.

Es ist jedoch das Sklaverei-Monument im Oosterpark, wo an dem an diesem Tag König Willem-Alexander der Niederlande erstmals eine Entschuldigung ausspricht: »Wir tragen die Grausamkeit unserer Sklaverei-Vergangenheit noch heute mit uns. Deren Folgen sehen wir heute immer noch in dem Rassismus in unserer Gesellschaft.«

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Im Dezember des vergangenen Jahres habe Ministerpräsident Mark Rutte bereits im Namen der Regierung eine Entschuldigung ausgesprochen, hob Willem-Alexander hervor. »Nun stehe ich hier vor Ihnen, als Ihr König, und bitte ebenfalls um Verzeihung, mit Herz und Seele.« An dieser Stelle wurde die Ansprache des Königs von Jubel und vom Applaus der Anwesenden unterbrochen.

Im Februar dieses Jahres hatte König Willem-Alexander noch erklärt, dass aus seinem Mund keine Entschuldigungen kommen würden, da dies bereits durch Mark Rutte im Namen des Staates geschehen sei.

Die öffentliche Entschuldigung sorgte vor allem bei antirassistischen Organisationen und in Surinam für positive Reaktionen. Gegenstimmen ließen aber auch nicht lange auf sich warten. So twitterte der rechtspopulistische Politiker Geert Wilders (PVV) kurz darauf: »Nicht in meinem Namen, #König. Und nicht im Namen von Millionen von Niederländern.«

Mitchell Esajas, Gründer der Organisation The Black Archives, die »Schwarze Geschichte« in den Niederlanden dokumentiert, schätzt die Entschuldigung des Königs als Geste. Gleichzeitig erklärte er gegenüber dem niederländischen Nachrichtenmagazin »NOS«, dass das nicht reichen würde: »Der König hat in seiner Rede auch zweimal von Wiedergutmachung gesprochen und das ist es, worauf wir schauen.« Esajas fordert Reparationszahlungen, um soziale Ungleichheiten, die als Folge der Sklaverei entstanden sind, anzugehen.

»Es ist an uns als Gesellschaft, an uns als Community und an der Politik, das auf den Weg zu bringen«, unterstreicht er. Allerdings gibt Esajas auch an, nicht viel Zuversicht zu besitzen, dass solche Zahlungen tatsächlich kommen werden.

Neben den Reparationszahlungen gibt es weitere Forderungen. Obwohl Ketikoti in den Niederlanden seit 2002 in zahlreichen Städten im Land gefeiert wird, ist es kein offizieller Feiertag. Viele Niederländer*innen nehmen an diesem Tag mittlerweile selbständig frei. In den sozialen Medien im Internet werden solche Aktionen mit Bannern beworben. Mittlerweile gibt es mehrere Online-Petitionen, die von der Regierung und dem Parlament fordern, Ketikoti zu einem landesweiten Feiertag zu erklären.

»Es ist eine Schande, dass der 1. Juli immer noch kein offizieller Feiertag ist«, sagt Marisella de Cuba, Gründerin der Organisation WePromise, die gegen Rassismus und Diskriminierung in den Niederlanden kämpft. Sie fordert sowohl im Hinblick auf die Sklaverei als auch die Kolonialgeschichte eine aktive Aufarbeitung, gemeinsam mit den Nachkommen der Betroffenen. »Die Regierung ist es nicht gewohnt, mit den Menschen zu sprechen, um die es wirklich geht und mit ihnen gemeinsam zu überlegen, was Lösungen sein können«, beklagt de Cuba.

Die Entschuldigungen sind in den Augen der Aktivistin kein Ersatz für fehlende konkrete Schritte: »Dies ist kein Punkt, sondern ein Komma, und sie sollten aufhören, uns Krümel zuzuwerfen und zu erwarten, dass sich die Menschen darüber freuen.«

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