»Sie räumen dich weg wie einen Müllsack«

Indigene im Norden Argentiniens kritisieren das Freihandelsabkommen mit der EU, das die Abholzung des Regenwalds erleichtert

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 13 Min.
»Wir Indigene haben immer existiert, bevor es den Nationalstaat gab und bevor Kolumbus und all die anderen kamen«, sagt Noolé.
»Wir Indigene haben immer existiert, bevor es den Nationalstaat gab und bevor Kolumbus und all die anderen kamen«, sagt Noolé.

Sanft hebt der kleine Helikopter ab, dreht eine Schleife und schraubt sich nach oben. Der Flug geht über den Wald der nordargentinischen Provinz Formosa. Aus der Höhe sind unterschiedliche Grüntöne zu erkennen. »Das dunkle Grün ist Wald, das hellere Grün sind gerodete Flächen und das Hellgrün sind die künstlich angelegten Weiden«, sagt Noemi Cruz von der Waldkampagne Greenpeace Argentina.

Greenpeace Argentina beobachtet und dokumentiert den Fortgang der Entwaldung im Norden des Landes. Mit Beobachtungen vor Ort und mit Satellitenbildern. »Was wir da unten sehen, ist das hier«, sagt Cruz und zeigt auf das Satellitenbild auf ihrem Laptop. Deutlich zu erkennen sind die drei Schattierungen, die sich an scharf gezogenen Kanten in Wald-, Kahlschlag- und Weideflächen unterteilen.

Der ursprüngliche Wald in Formosa ist Teil des Gran Chaco, eines ausgedehnten Trockenwaldgebiets, das sich über Argentinien, Paraguay und Bolivien erstreckt. Mit mehr als einer Million Quadratkilometern ist der Gran Chaco nach dem Amazonas das zweitgrößte Waldökosystem in Südamerika. In Sachen Artenvielfalt steht er dem international weitaus bekannteren Amazonas kaum nach: 3400 Pflanzenarten, 500 Vogelarten, 150 Säugetier-, 120 Reptilien- sowie 100 Amphibienarten, so die neuesten Erhebungen.

Leicht gebeugt fliegt der Helikopter. Am Horizont schlängelt sich der Río Bermejo in braunen Kurven durch den Wald. Unten sind jetzt die scharfen Kanten zwischen den Grüns klar zu erkennen. Kleine braune Punkte bewegen sich auf dem Hellgrün. »Rinder, die auf den neu angelegten Weiden grasen«, sagte Noemi Cruz und deutet jetzt auf einen gelben Punkt, der sich im dunklen Grün bewegt: »Ein Bulldozer.« Der Helikopter geht tiefer, zieht Kreise über dem Bulldozer, der mit seiner Stahlplatte voraus den Wald niederreißt. Der Lärm des Rotors übertönt das Krachen und Knacken der umgeknickten und fallenden Bäume.

Neue Rekorde bei der Abholzung

Argentinien war einmal unter den zehn Ländern mit der größten Waldfläche. Die seit 1976 erstellten Statistiken zeigen, dass die Abholzung immer schneller und auf immer größeren Flächen stattfindet. Dabei gehen die Entwaldungen im Gran Chaco weit schneller voran als im Amazonas-Regenwald. Um dem Einhalt zu gebieten, wurde 2007 ein viel gelobtes Waldschutzgesetz in Kraft gesetzt. Die Provinzen sollten Bestandsaufnahmen ihrer noch vorhandenen ursprünglichen Wälder machen und diese in drei Schutzzonen einteilen: eine rote und strenge Schutzzone, eine gelbe Zone für gemischte Nutzung von Forst- und Landwirtschaft, aber ohne Abholzung, und eine grüne Zone für weitgehend zur Abholzung freigegebene Flächen.

In Formosa erwies sich das Schutzgesetz als Bumerang. 45 Prozent der sieben Millionen Hektar Wald wurden als grün ausgewiesen und 65 Prozent davon dürfen gerodet werden. Anstatt sie zu bremsen, wurde die Abholzung des Waldes legalisiert. Die Grundbesitzer in den grünen Zonen jubelten und freuten sich über die über Nacht gestiegenen Hektarpreise ihrer Waldflächen. Im Durchschnitt werden jedes Jahr 30 000 Hektar abgeholzt. Wenn dieser Rhythmus anhält, wird bald nicht mehr viel von einem zusammenhängenden Waldgebiet übrig sein.

»Das Einzige, was der Wald bringt, sind Armut, Elend und Unterernährung. Der Wald produziert keine Nahrungsmittel«, sagt Juan de Hagen, Produktionsleiter von »El Toro«. Mit seinem Pick-up ist er jetzt auf dem Weg zur Estancia, dem Landgut mit Rinderfarm. »Nach dem Waldschutzgesetz von 2007 haben wir in Formosa ein Abholzungspotenzial von drei Millionen Hektar Wald«, sagt er und deutet auf den entlang der Landstraßen stehenden Wald. Davon könnten zwei Millionen in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden, so de Hagen. Dieses Potenzial nicht zu nutzen hieße die Provinz und ihre Menschen zur Armut zu verurteilen, meint er.

Ginge es nach ihm, würde in Formosa der ganze Wald in Weideland verwandelt. Inproduktionsetzung nennt er es. »In Formosa kostet ein Hektar Wald zwischen 300 und 400 Dollar. Dazu kommen etwa 500 Dollar für Rodung und Umwandlung in Weideland.« Der Hektarpreis für das potenziell nutzbare Land beträgt weniger als 1000 Dollar und liegt damit ein Vielfaches unter den Hektarpreisen für Ackerland in Argentiniens landwirtschaftlichem Kernland. Im Süden der Provinz Córdoba werden zwischen 10 000 und 14 000 Dollar pro Hektar guten Ackerlandes verlangt. Die Aussicht auf derartige Wertsteigerungen hat Immobilienunternehmen auf den Plan gerufen, die große Waldflächen aufkaufen, entwalden lassen und auf einen profitablen Weiterverkauf hoffen und sei es auch erst in einigen Jahren.

De Hagen hat den Pick-up am Straßenrand abgestellt, steigt aus und klettert über den Drahtzaun einer Weide. »Hier ist nichts abgeholzt. Die Rinder dort stehen auf der früheren Sandbank eines Flusses«, sagt er und deutet auf eine Herde brauner und schwarzer Bradford- und Brangus-Rinder. Bradford und Brangus sind Kreuzungen mit den aus Asien stammenden Zebu-Rindern. Sie können den extremen Temperaturen im Sommer standhalten.

Neue Flächen für die Rinderzucht

Es knackt und kracht: Der Bulldozer reißt den Wald nieder.
Es knackt und kracht: Der Bulldozer reißt den Wald nieder.

Auf »El Toro«, der Stier, ist der Name Programm. Die Estancia umfasst 5200 Hektar. 1900 Hektar sind Weideland und 560 Hektar sind Ackerland für den Anbau von Mais. Die restlichen gut 2700 Hektar sind noch Wald. Bis zu 3600 Rinder werden pro Jahr produziert. »Jungrinder aus 100-prozentiger Weidewirtschaft für den Export, auch in die Europäische Union.« Erst vor ein paar Tagen hätten sie vier Lkw mit 200 jungen Ochsen beladen. Jeder mit etwa 500 Kilo, bestimmt für einen Schlachthof in Rosario mit dem Exportziel EU.

Aber de Hagen ist wütend auf die EU. Was den 39-Jährigen aufregt, ist die neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Sie verbietet die Einfuhr und den Verkauf von beispielsweise Rindfleisch und Sojabohnen, deren Produktion mit der Entwaldung – wo auch immer auf der Welt – in Verbindung steht. Seit Anfang des Jahres müssen Importunternehmen in der EU nachweisen, wann und wo die Lebensmittel produziert wurden, und überprüfbare Angaben machen, dass sie nicht von Waldflächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzt wurden.

Was für die EU dem Schutz des Waldes und des Klimas dienen soll, ist für de Hagen eine Einmischung in die nationalen Gesetze seines Landes. »In Europa haben sie seit den Zeiten der Römer alle Wälder abgeholzt und jetzt wollen sie uns das verbieten.« Die heutigen EU-Bürokraten und -Parlamentarier seien sicher nicht dafür verantwortlich, dass in Europa keine ursprünglichen Wälder mehr stünden, so de Hagen. Aber sie würden dafür dem Rest der Welt auch keine Bußgelder zahlen. »Wenn der Wald in Lateinamerika einen Umweltservice leisten soll, in dem er unangetastet bleibt, dann sollte die EU dafür auch eine Gegenleistung erbringen«, sagt er.

Seit dem Beginn des Soja- und Maisbooms in den Nullerjahren werden im Kernland der argentinischen Landwirtschaft zunehmend Flächen für deren Anbau genutzt. Der Anbau von Ölsaaten und Getreide garantiert weitaus mehr Rendite als die Rinderzucht. In den Provinzen Buenos Aires, Santa Fe und Córdoba wurde in großem Umfang Weideland in Ackerland umgewandelt. Inzwischen wird auf jedem noch so kleinen Zipfel Ackerbau betrieben. Viehwirtschaft ist mobiler als Ackerbau, lautet eine Produzentenweisheit. Die Rinderzucht drängt immer weiter nach Norden und erschließt neue Weideflächen. Die einst marginalen nördlichen Provinzen Santiago del Estero, Chaco, Salta und Formosa mit ihren unrentablen Wäldern stehen heute im Fokus, wenn es darum geht, neue Flächen für die Rinderzucht zu erschließen.

Nichts deutet darauf hin, dass sich dieser Prozess entschleunigen könnte. Im Gegenteil, die massive Steigerung der Produktion von Agrarprodukten für den Export ist Staatspolitik, unabhängig davon, welchem politischen Lager die jeweilige Regierung angehört. Während die Exporte aus den zentralen Erzeugerregionen in die EU mit der Umsetzung des Mercosur-EU-Freihandelsabkommens zunehmen dürften, wird sich die Produktion für Abnehmerländer ohne Schutzklauseln nach Norden verlagern. Der Druck auf die Wälder wird steigen und die Schutzwirkung der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten droht ins Leere zu laufen. »Was den Wald gegenwärtig am meisten schützt, sind die weiten Transportwege zu den Schlachthöfen und den Exporthäfen in das über 1000 Kilometer entfernte Rosario«, sagt Produktionsleiter Juan de Hagen, steigt in seinen Pick-up und verabschiedet sich.

Waldtiere kommen auf die Felder

Lange war der Gran Chaco ein ungestörtes und zusammenhängendes Waldgebiet für die dort lebenden indigenen Völker. Die Sommer sind extrem heiß, während es im Winter sogar Frost geben kann. Die europäischen Kolonisatoren und Einwanderer bevorzugten andere Regionen. Der Name »Chaco« stammt aus der indigenen Sprache Quechua. Das Wort »cha« bezeichnet eine ruhende Sache und das Suffix »cu« drückt den Plural aus. »Chacu« war auch eine Jagdmethode: Ein Ring von Jägern kreiste ein Waldstück ein und verengte den Kreis schließlich immer mehr.

»Wir Indigene haben immer existiert, bevor es den Nationalstaat gab und bevor Kolumbus und all die anderen kamen. Wir waren Nomaden und sind von Zeit zu Zeit weitergezogen«, sagt Noolé vom Volk der Pilagá. Für den Nationalstaat heißt sie Zipriana Palomo. »Als wir Personalausweise bekamen, wurden wir als weiblich oder männlich eingetragen, unser Alter wurde geschätzt.« Damals konnten viele weder lesen noch schreiben und schon gar nicht Spanisch verstehen. Auf den Ämtern hätten sie oft abwertende oder hässliche Namen bekommen. »Mir haben sie den Namen Zipriana Palomo gegeben. Meine Mutter nannte mich Noolé«, sagt sie.

Noolé macht sich auf den Weg zum Kürbisfeld ihrer Chacra. Chacras werden in Argentinien die kleinen Farmen genannt. »Wir denken gar nicht darüber nach, wie viel Geld das Land wert ist«, sagt die Indigene. Am Ende des Pfades öffnet sich der Wald zu ihrem Feld. Rinder muhen in der Ferne, nicht sichtbar, aber deutlich hörbar. »Dort hinten haben sie den Wald gerodet und Weiden angelegt«, sagt sie und zeigt in die Richtung, aus der das Muhen der Tiere kommt.

Der Wald um die Chacra werde immer weniger und löchriger, meint sie, bückt sich und reißt ein Grasbüschel aus. »Diese Art von Gras wächst hier eigentlich nicht.« Die werde auf den Weiden ausgesät und der Wind wehe die Samen überallhin. Ihr prüfender Blick gilt jedoch den Kürbissen. Es ist Erntezeit. Ein paar Schritte entfernt liegt ein angefressener Kürbis. »Auch den Tieren im Wald wird der Lebensraum genommen. Sie kommen jetzt immer öfter auf unsere Felder.«

Die Sonne steht jetzt hoch, Insekten surren in der Hitze. »Vorgestern hat es zum Glück geregnet. Noch zwei Tage, dann können wir ernten«, sagt sie und macht sich auf den Rückweg durch den schattigen Wald zu ihrem kleinen Anwesen. Drei kleine Holzhäuser, die Dächer mit halbierten Palmenstämmen gedeckt, die sich wie Regenrinnen überlappen. Hühner laufen aufgeregt umher, spindeldürre Hunde schnüffeln neugierig. Neben einer Schubkarre liegen die Melonen der gestrigen Ernte. Auf der offenen Feuerstelle dampft es aus einem Wasserkessel. Der Matetee wird aufgegossen und macht jetzt im Schatten eines großen Johannisbrotbaums die Runde.

»Der Wald ist unsere Mutter«

Ja, im Fernsehen wurde über ein Abkommen zwischen dem Mercosur und der EU gesprochen und dass es dazu immer wieder Treffen gibt. Sie sprachen über Handel und Fortschritt. »Fortschritt, immer heißt es Fortschritt. Für wen?« Noolé schaut sich fragend um, dann gibt sie die Antwort: »Für uns ist dieser Fortschritt Kahlschlag und Entwaldung.« Zu keinem einzigen Treffen seien sie eingeladen worden. »Wir Indigene existieren da gar nicht.« Ihr Fortschritt seien die Chacras und der Wald. Hier produzieren sie die Nahrungsmittel für ihre Familien und ein wenig für den Verkauf, um andere Produkte wie etwa Zucker oder Fleisch zu kaufen.

In einem ihrer Lieder heißt es, der Wald sei ihre Mutter, er gebe ihnen Schutz, Nahrung und Medizin, erzählt sie. Und der Wald habe damals auch viele gerettet, als das Flugzeug kam, aus dem geschossen wurde, und sie sich unter den Bäumen verstecken konnten. Mehr als 400 Pilagá wurden 1947 von bewaffneten Polizisten erschossen. »Einfach so, weil wir die Weißen störten«, sagt sie. Das Massaker von Rincón Bomba, ein Blutbad, das lange Zeit verschwiegen wurde. Doch sie schlossen sich zusammen, sammelten Zeugenaussagen und reichten eine Klage wegen Menschenrechtsverbrechen gegen den argentinischen Staat ein, die vor einem Bundesgericht in zweiter Instanz anhängig ist.

»Der Wald ist das Schlüsselelement für die kulturelle und produktive Kontinuität der indigenen Völker. Der Wald ist die Schule für ihre Kinder. Der Wald ist das konstruktive Element, grundlegend für die kulturelle Transmission. Ohne den Wald sind die Indigenen limitiert und ohne Hoffnung auf das kulturelle Weiterleben.« Die Sätze stammen von Pablo Chianetta, einem Experten für die indigene Bevölkerung der Wälder des Gran Chaco und Leiter der APCD (Verein zur Förderung von Kultur und Entwicklung), einer lokalen NGO, die mit indigenen Völkern wie den Pilagá, Wichí, Toba und N’paglé zusammenarbeitet, die in rund 180 Gemeinschaften leben.

Dabei war Formosa einmal beispielhaft bei der Vergabe von Landtiteln für Indigene gewesen, erzählt Chianetta. In den 80er Jahren bis Anfang der 90er Jahre wurden Landtitel für 300 000 Hektar an anerkannte indigene Gemeinschaften übergeben. Ende der 90er begann dann das Rollback. »Heute werden die indigenen Gemeinschaften nicht mehr als eine Bereicherung angesehen, sondern als eine triste Angelegenheit, die soziale Kosten verursacht. Außerdem muss man ihnen noch Land geben. Sie sind wie der schmutzige Wald, der sauber gemacht werden muss.«

Absurd, meint Chianetta. »Dort, wo Indigene und Campesinos leben, sind die am besten gepflegten Wälder, mit den besten Bedingungen. Für sie ist der Wald ein Lebensraum, hier leben die Geister, die Mythen, die Ahnen.« Auf die neuen Akteure hätten die Werte des Waldes keinen Einfluss. Sie kaufen Wald, bauen Zäune und stellen Schilder mit »Privateigentum – Betreten verboten«-Aufschriften auf. »Sie denken nur in Ertrag und Profit«, sagt er.

Angst vor den großen Unternehmen

Viele Gemeinschaften haben keinen Eigentumstitel für das Land, auf dem sie leben. Nur diejenigen, die als juristische Personen anerkannt sind, können einen Titel beantragen. Da dies für Einzelpersonen nicht gilt, müssen sich Indigene und Campesinos zu Gemeinschaften und Genossenschaften zusammenschließen, die wiederum von der Provinz anerkannt werden müssen. Und dort, in den Schubladen der Provinzbehörde, verstauben die Anträge. Ohne Anerkennung gibt es keine Rechtspersönlichkeit – und ohne Rechtspersönlichkeit gibt es auch keinen Eigentumstitel.

Mariela Soto mit der Fahne der Frente Nacional Campesino (FNC), des Dachverbands der Kooperativen
Mariela Soto mit der Fahne der Frente Nacional Campesino (FNC), des Dachverbands der Kooperativen

Die Sonne steht jetzt tief. Auf der Chacra von Mariela Soto kommen die Ziegen zurück. »60 Muttertiere und eine Menge Zicklein«, sagt die 41-jährige Campesina. Mit Schwung öffnet sie das Gatter. »Sie sind den ganzen Tag draußen im Wald und kümmern sich um sich selbst«, sagt sie. Abends kommen sie von selbst zurück. »Das macht vieles einfacher«, sagt Soto, die die Chacra allein mit ihrem kleinen Sohn betreibt. Für Rinder habe sie auf ihren 15 Hektar zu wenig Platz und nicht genügend Wasser.

Die Ziegen sind versorgt, der Mate ist aufgegossen und macht in der untergehenden Sonne die Runde. »Ich stehe jeden Tag mit der Ungewissheit auf, dass sie mir mein Land wegnehmen könnten«, sagt Mariela Soto. Obwohl schon ihre Eltern auf der Chacra lebten, hat sie nur eine geduldete Besitzgenehmigung. Eigentümer ist der Staat und der erkennt ihre Kooperative nicht an. »Es gibt tausend Hindernisse und sie erfinden immer neue«, sagt die Campesina und entrollt demonstrativ die Fahne der Frente Nacional Campesino (FNC), dem Dachverband der Kooperativen.

Wenn große Unternehmen Tausende von Hektar Wald kaufen, um sie abzuholzen, geht alles ruckzuck, sagt sie. »Dann kommen sie mit einem Räumungsbefehl und räumen dich weg wie einen Müllsack.« Als die Finca La Florencia im Westen der Provinz Formosa 2011 geräumt wurde, begannen sie sich zu organisieren. Damals wurden über 200 Familien von den 90 000 Hektar vertrieben. Ein geräumter Campesino sterbe an Traurigkeit, sagen sie. »Wenn sie dir dein Land wegnehmen, deine Wurzeln ausreißen, wo deine Kinder und Enkelkinder aufgewachsen sind, fühlst du nur noch eine tiefe Ohnmacht.« Tränen stehen ihr in den Augen. »Wir würden den Wald nie abholzen, nicht nur, weil unser Vieh davon lebt. Der Wald ist unser Leben, einfach alles.«

Der Helikopter ist von seinem Erkundungsflug zurückgekehrt. Die neuen Beobachtungen werden jetzt ausgewertet. »Wenn das Abkommen EU-Mercosur in Kraft tritt, wird der Abholzungsdruck auf die letzten ursprünglichen Wälder Argentiniens immens steigen«, sagt Noemi Cruz von der Waldkampagne Greenpeace Argentina. Die Umweltschutzorganisation fordert den sofortigen und vollständigen Stopp der Abholzungen. »Die Zerstörung des Waldes ist ein Verbrechen und sollte als Straftat verfolgt werden«, so Cruz.

Der Gran Chaco ist nach dem Amazonasgebiet das zweitgrößte Waldökosystem in Südamerika und besonders stark von Rodung betroffen.
Der Gran Chaco ist nach dem Amazonasgebiet das zweitgrößte Waldökosystem in Südamerika und besonders stark von Rodung betroffen.
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