Neu beginnen: Eine Linke für unsere Zeit

Die Linke ist entscheidend – und das ist im Augenblick eine schlechte Nachricht, denn die Partei ist in einem miserablen Zustand

  • Thomas Goes
  • Lesedauer: 8 Min.
Thomas Goes: »Mehr Gleichheit, mehr Solidarität und mehr Demokratie, das muss die Marschrichtung sein.«
Thomas Goes: »Mehr Gleichheit, mehr Solidarität und mehr Demokratie, das muss die Marschrichtung sein.«

Die Linke ist entscheidend. Ohne sie werden diejenigen, die von der Mainstreampolitik übergangen werden, auch in Zukunft nicht gehört werden. Es wird keine Reformen geben, die Armut und Ungleichheit bekämpfen, es wird keine Politik geben, die die Macht des großen Geldes über Parlamente und Regierungen bricht, es wird keinen Aufbruch geben, der die Hasspolitik der Rechten beendet, und die Regierungen werden nicht mit ihrer Politik der verlorenen Zeit aufhören, die das Klima weiter zerstört und droht uns alle umzubringen.

Ohne Die Linke wird auch in den anderen Parteien kein Umdenken einsetzen, ohne wirksame Opposition von links werden sie sich weiter auf die Schultern klopfen, ein bisschen hier Meinungsverschiedenheit in Szene zu setzen, ein bisschen Streit da, um danach weiter zu koalieren. Und ohne Die Linke wird es für alle, die sich eine Regierung wünschen, die die Lebenschancen gleicher, die soziale Ungleichheit kleiner, den Zusammenhalt größer, die Demokratie stärker und den Klimaschutz besser macht, keine Alternative geben. Unionsregierungen können wir uns nicht leisten, die Ampelregierung ist ein Ausfall – SPD und Grüne wurschteln sich durch, ihnen allein fehlt der Mut und auch der Kompass.

Motor gesellschaftlichen Fortschritts

Die Linke ist entscheidend, weil wir in einer Welt der Unruhe, der Unordnung und der Umbrüche kämpfen. Wir leben in einem Krisenkapitalismus und es sieht nicht so aus, als wären die Herrschenden dazu in der Lage, ihn zu stabilisieren und einen Weg in eine neue Epoche des Wachstums und der Ordnung zu schaffen. Gefahren der militärischen Eskalation sind offensichtlich, die Klimakrise wird Verteilungskämpfe verschärfen und auch zu neuartigen Ressourcenkriegen führen, wirtschaftlich häufen sich die tiefen Einschnitte. Politische Lösungen, die eine Win-Win-Situation für Profit- und Lohnabhängige gleichermaßen bieten würden, sind unter diesen Bedingungen unwahrscheinlich. Wir brauchen eine überzeugende Reformpolitik, aber dazu gehört das Wissen um ihre notwendige Radikalität, weil die Wirtschaftseliten und die ihnen loyal ergebenen politischen Parteien uns nichts schenken werden.

Die Linke ist entscheidend – und das ist im Augenblick eine schlechte Nachricht, denn unsere Partei ist in einem miserablen Zustand. Eine linke Partei, eine wirklich linke Partei, muss die Sehnsucht nach Gleichheit, Solidarität und mehr Demokratie im Herzen tragen. Gleichheit als Aufbegehren gegen Klassenausbeutung, aber auch als Streben nach Gleichwürdigkeit und Gleichwertigkeit aller Menschen, auch als Utopie eines »immer größeren Wirs der Menschheit«, wie Papst Franziskus es ausdrückt.

Solidarität als Haltung und Übung, an der man scheitern kann, aber die man immer wieder wollen muss. Jeden Tag. Mit Streikenden, mit Armutsbetroffenen, mit Menschen, die Schutz suchen, ob nun vor nagender Armut oder vor Bomben und Folterkellern. Demokratie als unbedingter Anspruch, dass das Volk die Macht ausübt, im Wissen, dass die Eliten die Demokratie fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Sozialismus, das ist nichts anderes als mehr Gleichheit durch mehr Demokratie. Mehr Gleichheit, mehr Solidarität und mehr Demokratie, das muss die Marschrichtung sein. Daran muss sich eine wirklich linke Politik orientieren, wenn sie ihre Antworten auf alle zentralen Fragen gibt, die unsere Zeit aufwirft. Ob in der Sozial-, Migrations-, Außen- oder Klimapolitik.

Lernen wollen

Die Linke ist entscheidend – und deshalb ist es an der Zeit, neu zu beginnen. Mit Lust, an den gesellschaftlichen Widersprüchen zu arbeiten, wirklich zu arbeiten, nicht sich treiben zu lassen von Umfragen, sondern Antworten zu entwickeln, die uns selbst überzeugen und für die wir deshalb auch leidenschaftlich und auf Augenhöhe mit den Menschen diskutieren können, die wir gewinnen wollen für unseren Weg zum demokratischen grünen Sozialismus.

Mit Zuneigung zu den Arbeiterinnen und Arbeitern, den Angestellten, kleinen Selbständigen, egal woher ihre Vorfahren gekommen sind, und Respekt vor ihnen – wozu gehört sie als Menschen mit Leidenschaften und Anschauungen ernst zu nehmen, mit denen man streiten kann und zuweilen auch muss, weil in einer Klassengesellschaft die herrschenden Gedanken nun mal immer die Gedanken der Herrschenden sind. Weder Opportunismus noch Maßregelung, sondern Aufklärung im Interesse gemeinsamer Kämpfe.

Und mit Mut, links zu sein, auch wenn es gerade mal nicht populär ist, aufrichtig und ehrlich zu sagen, was ist und nicht das, was plausibel erscheint, um Wählerinnen und Wähler von dieser oder jener Partei zu gewinnen. Mit einem echten Interesse an den Menschen, wie sie wirklich sind, nicht wie wir sie uns wünschen – mit ihren Widersprüchen und Fehlern, ihren großen Gaben, Erfahrungen, ihrer Lebensklugheit und ihrem Wissen, ohne das ein Weg in eine bessere Gesellschaft gar nicht möglich ist.

Und mit der Bereitschaft zur Demut und Bescheidenheit, die sich aus unserer Liebe zu den Menschen und unserem Hass auf den Kapitalismus speist. Mit einer Demut, die uns wissen lässt, dass wir nützlich zu sein haben für die in dieser Welt, die unten sind, die ausgebeutet, abgewertet und ausgegrenzt werden. Nützlich sein, damit sie selbst ihre Stimme erheben; nützlich dabei, Widerspenstigkeit zu fördern; nützlich sein, damit Kämpfe besser geführt werden; nützlich dabei sein, Reformen durchzusetzen, die das Leben von Millionen verbessern, weil gegen die Wirtschaftseliten und ihre politischen Kofferträger wirkliche politische Wendepunkte durchgesetzt werden.

Grüner Sozialismus

Die Klimakrise wird alle politischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre prägen. Jede politische Kraft, die sich nicht selbst überflüssig machen will, muss Antworten auf diese drohende Zivilisationskrise geben. Der Kapitalismus zerstört nicht nur die sozialen und demokratischen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung, er vernichtet auch unsere natürliche (Über-) Lebensgrundlage.

SPD und Grüne, in noch rückschrittlicherer Form FDP und Unionsparteien, wollen Klimaschutzpolitik »mit dem Markt und den Konzernen« machen. Die Linke muss Klimaschutzpolitik »gegen den Markt und die Konzerne« betreiben. Unsere Politik muss rot sein, weil wir für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung streiten; und sie muss grün sein, weil sie eine Wirtschafts- und Lebensweise erfinden muss, die nicht die ökologische Lebensgrundlage der Menschheit zerstören wird. Und sie muss »von unten« gemacht werden, weil sie die Interessen und Anliegen derjenigen in den Mittelpunkt zu stellen hat, die ausgebeutet (der Arbeiter*innenklasse) und beherrscht werden (der lohnabhängigen Mittelklasse).

Aber natürlich heißt das auch – wie es immer in der Geschichte unserer Bewegung gewesen ist –, dass Die Linke sich mit Ausgebeuteten und Beherrschten auseinandersetzen muss, die das nicht wollen. Daran ist nichts grundsätzlich nichts neu. Den Kampf für das Wahlrecht hat die Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert geführt, obwohl Teile der unteren Volksschichten monarchistisch eingestellt waren. Ihr Programm der Frauenbefreiung haben revolutionäre Sozialdemokrat*innen wie August Bebel oder Clara Zetkin verfolgt, obwohl das Patriarchat lebendig war in der Arbeiter*innenklasse.

Öffnung zu den Heimatlosen

Die Linke muss neu beginnen in einer Dialektik von Kontinuität und Bruch. Sie muss die besten Traditionen unserer linkssozialistischen Partei bewahren und sich dennoch neu erfinden. Wir müssen uns öffnen in die Gesellschaft gegenüber Gewerkschafter*innen, Bürgerrechtler*innen, Menschenrechts- und Antirassismusaktivist*nnen, gegenüber Jungen und Alten aus der Klimabewegung, die sich in den letzten Jahren enttäuscht von uns abgewandt oder nie den Weg zu uns gefunden haben. Gegenüber den politisch Heimatlosen, die eine moderne linke Partei suchen, die genau so weiß, dass Rebellion jeden Tag gerechtfertigt ist, wie sie überall da zum Guten gestaltet, wo es die politischen Kräfteverhältnisse eben zulassen.

Und wir müssen uns den Teilen der Industriearbeiterschaft und des Dienstleistungsproletariats zuwenden, die sich enttäuscht von der Politik abgewendet haben, weil ihnen 30 Jahre lang gesagt wurde: »Für euch reicht es nicht.« Eine Zukunft wird unsere Partei haben, wenn es uns gelingt, eine Linke neu zu erfinden, die in der Lage ist, in den Zeiten des Umbruchs und der Unordnung ein Projekt der Hoffnung aufzubauen.

Die Linke bringt einen reichhaltigen Erfahrungsschatz mit, der bis in die Wendezeit zurückreicht. Aus Kämpfen gegen die Abwicklung einer ganzen Gesellschaftsordnung, die immenses Leid verursacht hat, aus Experimenten des Regierens, aus den Gehversuchen einer Partei, die den Bann der Ausgrenzung durchbrechen musste. Oder aus Erfahrungen mit der Sozialkahlschlagspolitik der Agenda 2010 und aus Bewegungen gegen imperialistische Kriege. Und in den letzten Jahren sind viele Neue dazu gekommen, Genoss*innen, die sich für die Seenotrettung engagieren, die sich gegen die Hetze der AfD stark gemacht haben, als Gewerkschafter*innen aktiv in den neuen Arbeitskämpfen waren oder ihre ersten politischen Schritte in der Klimagerechtigkeitsbewegung gemacht haben. Erfahrungsschatz – nicht Belastung, oder Herausforderung. Um unsere Partei hat sich ein isolierender Ring gelegt, wie es Dieter Strützel gesagt hätte. Und unser Erfahrungsschatz gibt uns die Chance, ihn zu sprengen.

18 Monate, die entscheiden

Die Geschichte der Linken ist offen. Die große italienische Kommunistin Rossana Rossanda hat einmal geschrieben, eine abstrakte politische Antwort sei nie eine gute politische Antwort. Das gilt auch für uns. Vor uns liegen 18 Monate harter Arbeit. Anfang 2025 müssen wir den Aufbruch geschafft haben, wenn wir eine Chance haben wollen, wieder in den Bundestag einzuziehen. In den nächsten Monaten müssen sich diejenigen zusammenfinden, die dieser Partei eine neue Zukunft schenken wollen, müssen Bundes- und Landesvorstände, Netzwerke und Strömungen an einem strategischen Zentrum arbeiten, das in der Lage ist, Brücken zu bauen, Mut zu machen, strategische Schwerpunkte zu setzen und – nicht zuletzt – eine einig handelnde Partei in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu führen, in denen sie dringend gebraucht wird.

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