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Michael Kröchert: »In der Natur liegt wenig Trost«

Kann man auf dem Fluss vor den Menschen fliehen? Ein Gespräch mit Michael Kröchert über seinen neuen Roman »Wasserläufer«

  • Interview: Frank Willmann
  • Lesedauer: 7 Min.
Sollte Michael Kröcherts Roman je verfilmt werden, würde er damit das Genre des Rivermovies erfunden haben.
Sollte Michael Kröcherts Roman je verfilmt werden, würde er damit das Genre des Rivermovies erfunden haben.

Herr Kröchert, was ist so toll daran, mit einem Floß den Fluss runterzufahren?

Mir ein Floß zu bauen und einfach aufzubrechen, ist seit meiner Kindheit mein Traum gewesen. Es geht darum, loszufahren und ein Abenteuer zu erleben.

Und dann sind Sie im Sommer 2021 auf der Dahme unterwegs gewesen.

Auf die Dahme zu gehen, war naheliegend, weil ich in Berlin lebe. Erst später kam die Idee, einen Roman zu schreiben und eine Figur zu erschaffen, der alles zu viel wird und die sich auf ein Floß zurückzieht. Es war reizvoll, die Hauptfigur, den vierzigjährigen Rio, dabei zu beobachten, wie und ob das überhaupt gelingen kann.

Interview

Michael Kröchert, Jahrgang 1975, fotografiert und schreibt für »Berliner Kurier«, »Freitag« und »Zeit online«. 2020 veröffentlichte er das Buch »Autobahn. Ein Jahr zwischen Mythos und Alptraum«, diese Woche erscheint sein Roman »Wasserläufer«.

Mögen Sie eigentlich Menschen?

In unserer Zeit ist es ein Leichtes, zum Misanthropen zu werden, nicht mehr an die Menschheit zu glauben und sich von ihr lossagen zu wollen. Der Protagonist in meinem Roman versucht es mit einem Floß – er sucht die Einsamkeit. Aber die Einsamkeit in der Natur ist schwer zu ertragen und sie ist zwiespältig. Denn in der Natur liegt wenig Trost. Die Frage ist auch, inwiefern man Verantwortung für den Zustand der Welt übernehmen will, und ob man bereit ist, gemeinsam mit anderen zu handeln. Und ob man überhaupt aussteigen kann.

Sie haben ein Rivermovie geschrieben?

Das ist ein schöner Begriff. Da schwingt auch das Roadmovie mit. Ja, es gibt in meinem Roman Fahrten, doch Rio ist nicht wirklich unterwegs. Er geht vor Anker. Alle um ihn herum sind jedoch in Bewegung. Unterwegs ist auch das Wasser, ununterbrochen. Die Menschen, denen Rio begegnet, mit denen er sich anfreundet, werden zu einem Teil seines Lebens, trotzdem bleibt er losgelöst, es besteht immer die Möglichkeit, sich auf sein Floß zurückzuziehen, auf seine eigene schwimmende Insel. Wir erleben einen Menschen, der herausgelöst ist aus seinem Lebenskontext: Alltag, Arbeit, Freunde, Beziehungen. Rio ist auf der Suche, auf dem Weg.

Sie fuhren für Ihr erstes Buch Hunderte Kilometer auf der Autobahn, nun tuckerten Sie meilenweit übers Wasser. Müssen Sie in Bewegung sein, um gute Bücher zu erschaffen?

Das Buch über die Autobahn war ein subjektives, erzählendes Sachbuch. Mein neues Buch ist ein Roman. Bewegung ist zentral für jedes Buch, vor allem innere Beweglichkeit, Offenheit, Flexibilität und Experimentierfreude im Denken und Fühlen. Als ich das Autobahnbuch geschrieben habe, bin ich viele Kilometer getrampt, auch zu Fuß gegangen und mit dem Rad gefahren, nur einen Teil habe ich mit dem Auto zurückgelegt. Der eigentliche Text entsteht immer aus der Erinnerung, an einem einsamen Ort, an dem man sich mit sich selbst konfrontieren muss. Mit dem Floß lag ich die meiste Zeit vor Anker, weil mein 2-PS-Motor zu schwach war, um große Strecken zurückzulegen. Bewegt war es trotzdem immerzu, weil ein Floß auf jede noch so kleine Welle reagiert. Wie ein sehr sensibles Wesen.

Haben Sie das Floß selbst gebaut?

Zu drei Vierteln habe ich das Floß aus gefundenen Materialien gebaut. Ich habe Container durchwühlt, an Baustellen nach Resten gefragt. In Berlin findet man alles mögliche auf der Straße, von der Holzpalette über Schrauben bis zu Dielenbrettern, die sich ideal für eine Plattform eignen. Ein langer Balken, den ich Bauarbeitern für 5 Euro abgekauft habe, wurde zu meinem Mast. Gekauft habe ich zum Beispiel Gewindestangen und leere Wassertonnen, die dem Floß als Schwimmkörper dienen. An der Stelle ähnele ich der Hauptfigur meines Buches: Es ist ein Abenteuer, einfach loszulegen mit dem Material, was da ist. Mit einem groben Plan im Kopf und Improvisation, statt exakten Plänen und auf den Millimeter ausgesägten Bauteilen.

Wie verbrachten Sie die Nächte?

Ich hatte eine Matratze auf dem Floß. Leider war es mit dem Schlafen schwierig. Das Floß schwankte, die Wellen plätscherten, es kamen die seltsamsten Geräusche vom Ufer. Ruhig zu schlafen, war mir nicht vergönnt. In den Morgenstunden und tagsüber war das anders. Dann war das leichte Schwanken wundervoll. Es war auch sehr angenehm, so knapp über dem Wasser zu liegen. Ich hatte das Gefühl, dass eine große Beruhigung vom Wasser selbst ausgeht.

Haben Sie Respekt vor dem Wasser?

Wasser ist ein sonderbares Element. Im Grunde genommen ist es tot, zugleich erscheint es immerzu lebendig. Bewegt von Wind, Gezeiten, Schiffen und Booten. Ja, ich habe Respekt vor dem Wasser. Beim Schwimmen weiter Strecken ist es immer denkbar, zu ertrinken; auch in einem idyllischen märkischen See. Auch weiß man nie, was sich unter Wasser bewegt. Ein kleiner Fisch? Ein meterlanger Wels? Das gelbe Unterseeboot? – Als ich das Handy bei meinem ersten Floßtrip nach ein paar Tagen Abstinenz anschaltete, sah ich die Bilder aus dem Ahrtal. Die Bilder von Flutkatastrophen graben sich besonders tief in unser kollektives Gedächtnis. Wassermassen wecken Urängste. Die Meeresspiegel steigen. In Berlin und Brandenburg beschäftigt uns eher die Trockenheit, doch in jedem der letzten Sommer kam auch einer dieser biblischen katastophalen Regengüsse.

Sind Sie auch in ein Gewitter geraten?

Ja. Es hatte sich nicht angekündigt. Plötzlich war es da. Ich hatte keine Wetter-App, hatte das Handy bewusst ausgelassen. Der Sturm war so stark, dass er mich und das Floß quer über den See gedrückt hat, obwohl ich den Anker geworfen hatte. Das größere Problem waren allerdings die Blitze. Mein Floß hat einen hohen Mast. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich über einen längeren Zeitraum – es hat eine halbe Stunde gedauert, bis ich in Sicherheit war – Todesangst hatte. Es war ein Wunder, dass kein Blitz eingeschlagen ist. Es ist durchaus möglich, in Brandenburg mit Naturgewalten konfrontiert zu sein. Auch das verarbeite ich in meinem Roman. Mein Protagonist geht durch die Hölle.

Allein auf einem Floß, ist das nicht überhaupt sehr einsam?

Auf einem Fluss und auf dem See ergeben sich Begegnungen. Kajakfahrer kommen vorbei, manchmal ein Tretboot. Dann werden drei neugierige Sätze gewechselt, mehr nicht. Etwas anders wäre es vielleicht, wenn diese Seen wirklich abgelegen wären. Um Berlin herum ist einfach zu viel los. Das Bedürfnis, andere kennenzulernen, hält sich in Grenzen. In meinem Roman lernt der Protagonist jedoch andere Menschen kennen, die am Ufer leben oder mit ihren Booten unterwegs sind. Das sind zentrale Begegnungen, die seine Entwicklung beeinflussen. Begegnungen, die ihm aber zugleich die Einsamkeit nehmen, die er gesucht hat, um über sich selbst und sein Leben nachzudenken, bei sich selbst anzukommen.

Wie sah bei Ihnen ein typischer Tag auf dem Wasser aus?

Im Morgengrauen früh erwachen. Kaffee trinken. Schwimmen gehen. Zähne putzen. In der Sonne liegen. Eine Runde mit dem Kajak fahren. Nudeln auf dem Campingkocher kochen. Vögel beobachten. Sehr viel lesen. Wieder schwimmen gehen. Wein trinken. Wolken ansehen. Sich in Erinnerungen und Tagträumen verlieren. Meditieren, nachdenken. Frei sein.

Haben Sie bestimmte Wasser-Schreibrituale entwickelt?

Als ich auf dem Floß war, habe ich nur Notizen gemacht. Für das eigentliche Schreiben sind Wasser, Wind, Mücken, Wellen und auch die anderen Boote zu präsent. Ich wollte auf dem See und auf dem Fluss Urlaub machen. Mein Protagonist übrigens auch. Aber das ist fast unmöglich auf einem Floß. Mit Ausnahme von kurzen Gedichten in Form japanischer Haikus habe ich nicht an Texten gearbeitet.

Begehren Sie den Leser, oder ist es besser, sich vor ihm zu verstecken?

Mir wurde erst vor ein paar Jahren klar, dass ich im Grunde genommen immer nur für mich selbst geschrieben, und dass ich mich damit in eine Sackgasse begeben habe. Überhaupt an die Leser und Leserinnen zu denken, war für mich eine entscheidende Veränderung. Es mag sich paradox anhören, doch für mich war das eine literarische Befreiung – von mir selbst. Das Schreiben ist für mich ein subjektiver, egozentrischer, aber auch offener und demokratischer Akt. Ich möchte nicht für ein bestimmtes Milieu schreiben, darin sehe ich keinen Sinn. Abgrenzung nimmt in unserem Leben einen zu großen Raum ein. Mein Roman ist ein offener Raum, jeder und jede ist eingeladen hinein- und hindurchzugehen.

Michael Kröchert: Wasserläufer. Tropen Verlag, 329 S., geb., 25 €. Buchpremiere am Dienstag, 11.7., um 20 Uhr im REH@geyersbach, Kopenhagener Str. 17, Berlin

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