Die Wegweiser der Tour de France

Luc Kerlouet und seine Kollegen kümmern sich um die Beschilderung der Frankreichrundfahrt – ohne sie gäbe es keine Rennen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 6 Min.
Ohne Pfeile keine Tour: Luc Kerlouet (l.) und sein Kollege Henri kümmern sich um die Wegweiser der Frankreichrundfahrt.
Ohne Pfeile keine Tour: Luc Kerlouet (l.) und sein Kollege Henri kümmern sich um die Wegweiser der Frankreichrundfahrt.

Sie sind die Vorhut der Tour de France, die zwei gelb-schwarz bemalten Transporter, in denen die Männer sitzen, die jeweils am Tag vor einer Etappe die Richtungspfeile für den Tour-Kurs montieren. Luc Kerlouet macht das seit 23 Jahren. »Ich hatte ein Fahrradgeschäft, das habe ich verkauft und dann viel für die ASO gearbeitet«, erzählt er »nd« von den Anfängen. Ursprünglich war er auch bei der Rallye Paris – Dakar in der Logistikabteilung beschäftigt. Die Wüsten-Rallye wird ebenfalls vom Tour de France-Organisator ASO ausgerichtet. Dann aber siegte die Liebe zum Fahrrad: »Du musst schon etwas verrückt sein, um das zu machen, was wir hier tun«, sagt er mit breitem Lächeln im Gesicht. Denn was so einfach klingt: Schilder mit Draht an Pfeilern und Masten befestigen – das ist alles andere als trivial.

Tom auf Tour

Tom Mustroph, Radsportautor und Dopingexperte, berichtet zum 22. Mal für »nd« von der Tour de France.

Für ein paar Kilometer verfolgen wir Luc und seinen Fahrer Henri. Henri stoppt das Auto, wirft die Warnblinkanlage an und der Wagen steht noch nicht richtig, da springt Luc schon heraus, mit einem oder zwei Schildern mit den Pfeilen im Arm. Mit ein paar Schritten ist er beim Befestigungselement seiner Wahl, schlingt den Draht herum, prüft noch den Sitz des Pfeils, ob er auch in die richtige Richtung weist und dann sitzt er schon wieder drin im Auto. »Sechs Sekunden dauert im Schnitt die Befestigung eines Pfeils«, sagt er und fügt stolz hinzu: »Ich habe bisher auch niemanden gefunden, der das schneller macht als ich.« Pro Etappe sind ungefähr 1200 Pfeile anzubringen. »Aus dem Auto, an den Pfahl und dann wieder zurück – da kommen an einem Arbeitstag 15 Kilometer zusammen, die ich laufe«, rechnet er zusammen. Man muss also fit sein und durchaus auch explosiv. Es ist kein Dauerlauf, eher eine Art langwieriges Intervalltraining.

Da kommt dem Pfeile-Anbringer der Tour entgegen, dass er früher selbst aktiver Radsportler war. »Ich komme aus einer Radsportfamilie, mein Vater, meine Brüder, sie haben alle Radsport betrieben. Auch meine Frau Brigitte ist Radsportlerin. Sie fuhr viel mit Jeannie Longo«, erzählt er. Jeannie Longo ist die Grande Dame des Frauenradsports. Sie errang über 1200 Siege – jeder Sieg von ihr wird gewissermaßen durch einen Pfeil, den Kerlouet bei einer Touretappe anbringt, repräsentiert. Seine Frau Brigitte hält immerhin den Streckenrekord des ultralangen Rennens Paris–Brest–Paris. Luc Kerlouet begleitete seine Frau natürlich bei diesem Unternehmen.

Beim Pfeileanbringen, seinem Hauptjob, den er auch bei Paris–Roubaix, Lüttich–Bastogne–Lüttich und dem Arctic Race in Norwegen ausübt, kommt es nicht nur auf Schnelligkeit und Ausdauer an. »Es ist auch nicht ungefährlich. Wenn wir unterwegs sind, fährt ja noch ganz normaler Verkehr. Nichts ist abgesperrt. Und manchmal sind die Masten und Pfeiler von großen Lkws verdeckt. Um die muss man erst einmal herumturnen«, sagt er.

Einen exakten Plan, wo er die Pfeile anbringen muss, hat er nicht. »Natürlich kennen wir die Strecke. Aber wo genau wir die Pfeile anbringen, entscheiden wir vor Ort. Mir kommt natürlich entgegen, dass ich die Rennfahrermentalität kenne, weil ich selbst Rennen gefahren bin. Ich weiß, an welchen Stellen es wichtig ist. Intuition hilft natürlich auch.« Sollte doch einmal ein Fahrer von der Strecke abkommen, sieht Luc Kerlouet das nicht als seinen Fehler an. »Das liegt an den Leuten, die an den Absperrungen stehen und das Peloton einweisen«, sagt er.

Ärger lösen bei ihm Leute aus, die die Pfeile noch vor dem Rennen abmontieren und als Souvenir mit nach Hause nehmen. Wenn ihn jemand fragt, gibt er dann lieber gleich eines der Schilder ab und freut sich über die glücklichen Gesichter, die er auslöst.

Bergetappen sind für den Pfeile-Mann verhältnismäßig einfach. Denn je höher man kommt, desto dünner wird das Wegenetz, desto weniger Kreuzungen gibt es. Und dem Verlauf der Serpentinen können die Fahrer auch ohne Pfeil folgen. Flachetappen bedeuten da schon mehr Arbeit für ihn. »Erst recht, wenn es durch die großen Städte geht. Da fließt der Verkehr, du kommst kaum durch, wenn du anhältst, hupen sie hinter dir«, meint er.

Jetzt, bei den Etappen in den Alpen, hatte er es also vergleichsweise leicht. Lange geht so ein Arbeitstag für ihn dennoch. Acht Stunden ist er meist unterwegs, viel länger also als eine Etappe für die Radprofis dauert. Um 8.30 Uhr in der Frühe fängt er an. Und nach geschaffener Arbeit kann er sich immerhin das Etappenfinale anschauen. Allerdings nur im Fernsehen, denn er ist ja immer schon einen Tag voraus.

Das Einzige, was ihm an seinem Job nicht gefällt, ist der mangelnde Respekt seitens der anderen Angestellten seines Arbeitgebers. »Wir laufen hier ja in den gelben Westen herum, damit man uns besser sieht. Es ist die Kleidung der Arbeiter. Die anderen Angestellten der ASO stecken hingegen in ihren feinen Anzügen. Und wenn wir mal im gleichen Hotel mit ihnen sind, gucken sie uns nicht mal an, begrüßen uns nicht, weil sie sich wohl für etwas Besseres halten«, schimpft er.

Das ist übel. Aber es entspricht auch der Klassenmentalität, die in Teilen der französischen Gesellschaft auch mehr als 200 Jahre nach der Enthauptung ihres Königs noch stark ausgeprägt ist. Die, die Luc Kerlouet und seine drei Kollegen in insgesamt zwei Fahrzeugen der Flecheurs, wie sie in Frankreich genannt werden, nicht schätzen, ignorieren einfach, dass die große Tour de France ohne die Pfeile an der Strecke recht oft in die Irre gehen würde.

Ohne Pfeile kein Rennen, ohne Pfeilausbringer keine Pfeile. Das Brecht-Gedicht kommt einem in den Sinn: »Wer erbaute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?«, fragt Bertolt Brecht dort. Die Namen der Sieger und auch der Direktoren der Tour de France stehen in den Geschichtsbüchern. Ohne Luc Kerlouet und sein Team könnten sie weder siegen bei der Tour noch die Champagnerflaschen auf dem Podium überreichen. Und wer übrigens baut jeden Tag das Podium auf? Das ist eine Frage für einen weiteren Text.

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