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Vor den Männern im Ziel

Im Radsport der Frauen hat sich viel getan. Ohne große deutsche Hoffnungen startet die zweite Auflage von Paris-Roubaix

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 6 Min.
Lisa Brennauer (v.) wurde im vergangenen Jahr Vierte bei Paris–Roubaix. Der Premiere des Frauenrennens folgt nun die zweite Auflage.
Lisa Brennauer (v.) wurde im vergangenen Jahr Vierte bei Paris–Roubaix. Der Premiere des Frauenrennens folgt nun die zweite Auflage.

Der Rennkalender der Radsportlerinnen strebt auf die großen Höhepunkte zu. Nach dem vorgezogenen Amstel Gold Race am vergangenen Sonntag steht an diesem Sonnabend der Kopfsteinpflaster-Klassiker Paris-Roubaix an. Lisa Brennauer, Straßenweltmeisterin und Bahnolympiasiegerin, hat an die Premiere im vergangenen Jahr noch gute Erinnerungen. Sie wurde Vierte. »Hätte es damals noch eine Runde mehr gegeben im Velodrom, wäre ich sicher auf das Podium gelangt. Denn ich kam im Finale näher und näher«, erzählt sie rückblickend »nd.DieWoche«. »Als Gedanken vom letzten Jahr habe ich mitgenommen, dass man niemals aufgeben darf, bis zum Zielstrich nicht. Denn selbst wenn man denkt, man hat keine Kräfte mehr, so kann man doch alles wagen und dann merkt man, dass doch noch etwas in einem drinsteckt, das man herausholen kann.«

In ihrer Vorfreude auf den Höhepunkt des Frühjahrs wurde Brennauer allerdings jäh ausgebremst. »Ich habe Corona«, erzählt sie am Telefon. Ein paar Erkältungssymptome hat sie auch. Und deshalb hofft sie nicht einmal mehr auf einen Negativbefund kurz vor dem Rennen, sondern verzichtet auf den Start. »Man muss vernünftig sein. Das macht gesundheitlich keinen Sinn«, sagt sie. Ganz ohne Hoffnung sieht Brennauer den deutschen Radsport trotz ihres Ausfalls bei Paris-Roubaix aber nicht. »Lisa Klein kann sicherlich unter die Besten zehn kommen. Das Rennen liegt ihr«, meint Brennauer. Sie schränkt allerdings ein, nicht zu wissen, wie gut ihre Olympiagoldkollegin vom Bahnvierer ihre Verletzung am kleinen Finger auskuriert hat, und wie sich der lädierte Finger beim Ritt über das Kopfsteinpflaster bemerkbar macht.

Diese Einschränkung ist symptomatisch für das Frühjahr der deutschen Radsportlerinnen. In den Ergebnislisten tauchten sie meist weiter hinten auf. Ein Sieg gelang noch nicht. Einziger Lichtblick war Rang drei von Liane Lippert beim Amstel Gold Race, ansonsten gibt es nur zwei- oder gar dreistellige Platzierungen. Die Ursachen sind verschieden. Manche wurden durch Verletzungen ausgebremst. So musste auch Franziska Koch, im letzten Jahr Siebte bei Paris-Roubaix, einen Sturz verdauen. Andere hatten Corona. »Die Form davor war richtig gut. Aber dann habe ich mich krank gefühlt, die Nase war zu und ich hatte Kopfschmerzen«, schildert Lippert ihre Symptome. Umso höher ist ihr dritter Platz am vergangenen Sonntag zu bewerten. »Ich freue mich so für sie. Liane war auch in den Rennen davor oft vorn mit dabei. Aber es spiegelte sich noch nicht in den Ergebnislisten wider«, erklärt Brennauer.

Liane Lippert selbst erklärt ihr Pech in den Rennen zuvor auch mit taktischen Umständen. So sei das Spitzenteam Trek Segafredo in diesem Jahr nicht so stark wie gewohnt. »Die haben mehrfach die Ausreißergruppen verpasst und dann alle Kraft hineingelegt, um sie wieder einzufangen. Ich war oft in den Gruppen mit dabei und wurde so wieder eingefangen. Als wir dann gestellt wurden, konnte ich dann nur noch für meine Teamkolleginnen arbeiten.«

Auch die prinzipiell gute Verfassung von Romy Kasper schlägt sich weniger in eigenen guten Resultaten als in den Erfolgen ihrer Teamgefährtinnen beim Team Jumbo Visma nieder. Kasper hatte ihren Anteil am zweiten Platz von Marianne Vos bei Gent-Wevelgem. Auf dem Pflaster von Roubaix wird die 18. des Vorjahres wohl wieder Helferin für Vos sein. Die Niederländerin ließ sogar das Amstel Gold Race in ihrer Heimat aus, um sich perfekt auf Roubaix vorzubereiten.

Für Lippert, die wiederum Paris-Roubaix auslässt, um sich auf die kommenden Ardennenklassiker zu konzentrieren, ist Vos an diesem Sonnabend die große Favoritin. Brennauer hat hingegen die Belgierin Lotte Kopecky, zuletzt überzeugende Siegerin der Flandern-Rundfahrt, an Position eins angekreuzt. Dass bei Brennauer selbst in diesem Jahr bislang nur die Plätze 26 und 71 zu Buche stehen, liegt an einem späteren Saisoneinstieg. »Ich habe im Winter eine längere Pause gemacht. Ich habe gemerkt, dass ich das vom Körper, aber auch vom Kopf her gebraucht habe. In der letzten Saison habe ich so viel rausgeballert. Jetzt musste ich erst einmal neue Kräfte sammeln. Und deshalb habe ich auch etwas länger gebraucht, wieder dort zu sein, wo ich hinwollte«, beschreibt sie ihr Frühjahr. Bei Gent-Wevelgem, ihrem ersten Rennen, fehlte noch die Rennhärte, um mit der Gruppe der Besten mitzugehen. Sie half immerhin ihrer Teamgefährtin Maria Giulia Confalonieri, die noch auf den dritten Platz sprintete. Bei der Flandern-Rundfahrt zeigte die Form weiter nach oben. So war die Hoffnung für Paris- Roubaix groß, dann kam Corona.

Brennauer wird nach überstandener Corona-Infektion erst Ende Mai bei der Thüringen-Rundfahrt wieder auf die Straße zurückkehren. Die längere Rennpause war ohnehin wegen ihrer Abschlussprüfung als Bürokauffrau geplant. Lippert hingegen hat noch im April große Ziele. »Die Ardennenklassiker mit ihren Anstiegen liegen mir einfach. Bei kurzen Anstiegen kann ich meine Stärken am besten ausspielen«, sagt sie »nd.DieWoche« und verweist vor allem auf Lüttich-Bastogne- Lüttich. Danach legt sie eine Pause ein und hat dann das Doppel aus Giro d’Italia und Tour de France vor Augen.

Die generelle Entwicklung im Frauenradsport sehen Lippert und Brennauer vor allem positiv. Gerade die Rennen, die zusammen mit denen der Männer ausgetragen wurden, sorgten für einen Aufmerksamkeitsschub. Welche Formel die beste ist, vermögen beide noch nicht einzuschätzen. »Vom Zuschaueraufkommen an der Strecke ist eine Austragung am gleichen Tag sicherlich vorteilhaft. Das hat man bei der Flandern-Rundfahrt gesehen, wie viele Leute da an der Strecke standen«, meint Brennauer. Ob eine Ankunft am gleichen Tag – entweder eine Stunde nach dem Zieleinlauf der Männer wie bei der Flandern-Rundfahrt oder vor ihnen wie beim Amstel – günstiger ist, kann sie nicht sagen. Auch Lippert ist hin- und hergerissen. »Am gleichen Tag ist schon gut, weil da auch Menschen an die Strecke kommen, die allein wegen uns nicht gekommen wären. Ich finde es aber auch gut, wenn wir unser eigenes Ding haben und die Leute sich wegen uns begeistern und wir uns nicht an die Männer anhängen müssen.«

Bei der Tour de France wird es in diesem Jahr nur einen Tag Überschneidung geben. Danach fahren die Frauen allein weiter. Die Premiere von Paris-Roubaix für die Radsportlerinnen im letzten Herbst macht für diese Variante Mut. Beim Frauenrennen am Sonnabend verzeichnete das französische Fernsehen mit 1,4 Millionen Zuschauern eine Einschaltquote von 15 Prozent. Bei den Männern am Sonntag waren es 21 Prozent und 2,8 Millionen Zuschauer. Auch in diesem Jahr starten die Frauen am Sonnabend und die Männer am Tag danach.

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