EU und Tunesien: Geld für Gewalt gegen Geflüchtete

Tunesien schließt Deal mit der EU zur Abwehr von Menschen, die Schutz in Europa suchen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommision, und Georgia Meloni, Regierungschefin Italiens, scheinen auf dem Weg, beste Freundinnen zu werden: Am Sonntag reisten sie erneut gemeinsam zum tunesischen Präsidenten Kais Saied, begleitet wie schon am 11. Juni vom niederländischen Premier Mark Rutte. »Team Europa ist zurück in Tunis«, beginnt die von der EU-Kommission dazu herausgegebene Presseerklärung, die ein Loblied anstimmt über das Erreichte: »Dies ist eine Investition in unseren gemeinsamen Wohlstand, unsere Stabilität und in künftige Generationen«, heißt es da wenig bescheiden.

Das Abkommen der EU mit Tunesien soll Flüchtlinge von der Migration in die EU abhalten und stellt dem nordafrikanischen Staat im Gegenzug umfangreiche Finanzhilfen in Aussicht. Die Vereinbarung solle unter anderem die Kooperation im Kampf gegen Schleuser verbessern, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Tunis. Zugleich kann Tunesien auf finanzielle Unterstützung in Höhe von über einer Milliarde Euro hoffen. Wie viel von dem anvisierten Wohlstand tatsächlich für Tunesien abfallen wird, muss die Ausgestaltung des unterzeichneten Memorandums noch beweisen.

Die Vereinbarung fußt auf fünf Säulen: zwischenmenschliche Beziehungen; wirtschaftliche Entwicklung; Investitionen und Handel; erneuerbare Energien; Migration. Die wichtigste Säule, wegen der von der Leyen, Meloni und Rutte sich zweimal auf den Weg nach Tunis gemacht haben, ist die Migration: Europa will keine Geflüchteten aufnehmen, die unter Lebensgefahr die Überfahrt über das Mittelmeer wagen, um sich in Sicherheit zu bringen. Laut italienischem Innenministerium sind seit Jahresbeginn über 77 000 Geflüchtete in Italien gelandet, mehr als das Doppelte im Vergleich zum Vorjahr. Der tunesische Präsident hatte vor dem ersten Treffen mit den europäischen Regierungschefs im Juni deutlich gemacht, dass er die Rolle als Grenzwächter für Europa ablehne.

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Um ihn umzustimmen, musste also ein ordentliches Paket zusammengeschnürt werden. Die EU-Kommission will etwa für Such- und Rettungsaktionen und Abschiebungen von Migranten 105 Millionen Euro zur Verfügung stellen
und 150 Millionen Euro an Zuschüssen für den Staatshaushaushalt.
Zudem kann das Land auf günstige Darlehen in Höhe bis zu 900
Millionen Euro zur längerfristigen wirtschaftlichen und finanziellen
Stabilisierung hoffen. Die vier anderen Säulen des Memorandums sind das Zuckerbrot für Tunis, zumindest dem Anschein nach.

Denn wenn man genauer hinschaut, ist zum Beispiel auch die Säule »erneuerbare Energien« eher zugeschnitten auf europäische Bedürfnisse als auf tunesische, zumal die Technologie explizit aus Europa geliefert werden soll. »Wir wollen unsere Wirtschaft klimaneutral machen, und dafür sind wir auf saubere Energiequellen – wie zum Beispiel grünen Wasserstoff – und Strom aus erneuerbaren Energien angewiesen«, heißt es in der Presseerklärung von der Leyens. Tunesien soll mithin den Strom liefern, mit dem in Europa Fabriken laufen, deren Produkte mit Mehrwert wieder an Tunesien verkauft werden können. Zwar sollen in Tunesien auch Arbeitsplätze entstehen und die produzierte »saubere Energie zu erschwinglichen Preisen« soll auf beiden Seiten des Mittelmeers angeboten werden. Ob die Tunesier sich das aber tatsächlich werden leisten können oder ob die Infrastruktur zur Verteilung des Stroms in Tunesien das überhaupt möglich macht, steht in den Sternen.

Mit der Unterzeichnung des Memorandums adelt die EU-Kommission gleich zwei Autokraten: zum einen die rechtsradikale italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni, zum anderen den autoritär regierenden Staatspräsidenten Tunesiens, Kais Saied. Meloni kehrt mit einem diplomatischen Erfolg nach Rom zurück, den sie bei ihrer Wählerklientel und gegenüber der Opposition politisch ausschlachten kann. Eines ihrer politischen Kampfthemen war immer die strenge Begrenzung der Migration, nötigenfalls auch mit einer Seeblockade.

Rückenwind erhält auch der tunesische Staatspräsident Saied. Er hat das Parlament kaltgestellt und sich seinen eigenen Verfassungsentwurf absegnen lassen. Wie er Migranten aus Afrika daran hindern will, nach Europa überzusetzen, zeigte er Anfang Juli: Die tunesische Polizei vertrieb Geflüchtete in die tunesisch-libysche Wüste, ohne Wasser und Proviant. Mit der Unterzeichnung des Memorandums stellt die EU Saied gewissermaßen einen Persilschein aus für seine Politik und rassistischen Diskurse gegen Migranten. Dabei war Tunesien erst der Anfang: Nach Angaben aus EU-Kreisen möchte Brüssel ähnliche Vereinbarungen auch mit Ägypten und Marokko abschließen. Auch Meloni wirbt für das »Modell Tunesien«.

Clara Bünger (Linke) forderte die Bundesregierung auf, sich gegen die Vereinbarung zu stellen. Es sei bekannt, dass Tunesien Asylsuchende in der Wüste ausgesetzt habe. Vor diesem Hintergrund sei es zynisch, das Land »zum nächsten Türsteher Europas« zu machen. Die Bundesregierung stehe jedoch hinter dem Abkommen, erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag in Berlin. Für den Vorsitzenden des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne) sei die Vereinbarung »sowohl humanitär als auch geostrategisch nicht klug«, sagte er am Montag dem TV-Sender Welt. Als Tunesien auf einem »guten demokratischen Weg« gewesen sei, habe die EU es »mehr oder weniger hängen lassen«. Jetzt schließe die EU ein Abkommen mit einem Land, »wo ein Autokrat an der Macht ist, dessen Sicherheitskräfte Menschen in die Sahara verschleppen und dort ohne Wasser aussetzen«.

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