Atomunfall in Nowouralsk: Uranfass aus Gronau unter Verdacht

Schwerer Unfall im russischen Atomkomplex Nowouralsk mit mindestens einem Todesopfer

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.
Fässer mit abgereichertem Uranhexafluorid (UF6) auf dem Geländer des russischen Atomkomplex Nowouralsk
Fässer mit abgereichertem Uranhexafluorid (UF6) auf dem Geländer des russischen Atomkomplex Nowouralsk

Nach einem schweren Atomunfall in Russland mit einem Toten und drei Verletzten fordern Bürgerinitiativen aus Deutschland die Einschaltung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO. Die Aktivisten vermuten, dass ein undichtes Fass mit abgereichertem Uranhexafluorid (UF6) aus der westfälischen Urananreicherungsanlage Gronau oder deren Schwesterfabrik im niederländischen Almelo den Unfall ausgelöst haben könnte.

Die IAEO solle die Ursachen des gravierenden Vorfalls sowie die möglichen Konsequenzen für die deutschen Uranfabriken in Gronau und Lingen untersuchen, erklärten am Montag das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen und das Bündnis Atomkraftgegner im Emsland (AgiEL). Zugleich verlangen die Initiativen in Schreiben an das Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen, das Umweltministerium in Niedersachsen sowie das Bundesumweltministerium Aufklärung über das Unglück.

Hochgiftige Exporte

Aus Gronau und Almelo wurden jahrzehntelang Abfälle aus dem Urananreicherungsprozess nach Russland gekarrt. Auch die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen arbeitet mit UF6. Dabei handelt es sich um den Grundstoff für die Urananreicherung. Er ist radioaktiv und bildet schon bei leichter Berührung mit Luftfeuchtigkeit die äußerst toxische Flusssäure.

Im russischen Atomkomplex Nowouralsk im Uralgebirge war am vergangenen Freitag eine unbekannte Menge UF6 aus einem Behälter entwichen. Dabei kam ein 65 Jahre alter Beschäftigter ums Leben. Er starb allerdings nicht durch radioaktive Strahlung, sondern erlag seinen bei der Explosion des Behälters erlittenen Verletzungen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti berichtete. Rund 100 Beschäftigte mussten demnach im Krankenhaus behandelt und teilweise dekontaminiert werden. Die meisten von ihnen sollen die Klinik inzwischen wieder verlassen haben.

Betreiber der Atomfabrik Nowouralsk bei Jekaterinburg ist das Uraler Elektrochemische Kombinat, eine Tochter des russischen Staatskonzerns Rosatom. Der Komplex beherbergt nach russischen Angaben unter anderem die weltgrößte Urananreicherungsanlage.

Verstoß gegen EU-Sanktionen

Seit Mitte der 90er Jahre schickte das deutsch-niederländisch-britische Unternehmen Urenco aus seinen Uranfabriken in Gronau und Almelo abgereichertes UF6, als Abfallstoff deklariert, nach Russland – wohl um eine wesentlich teurere Entsorgung in Deutschland und den Niederlanden zu umgehen. Ein großer Teil dieser Exporte ging nach Nowouralsk. Dorthin wurden zuletzt 2019 und 2020 noch einmal 18 000 Tonnen UF6 aus Gronau gebracht.

Diese Transporte verstießen einem von den Grünen in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten zufolge gegen die damals schon geltenden EU-Sanktionen gegen Russland, da abgereichertes UF6 von Rosatom unter anderem zur Herstellung von panzerbrechender Uranmunition verwendet werden kann.

»Es ist sehr traurig, dass ein undicht gewordenes Uranfass aus Gronau oder Almelo die Ursache für den tödlichen Unfall in Nowouralsk gewesen sein kann«, sagt Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen. Die ersten Uranfässer aus Gronau lagern ja bereits seit fast 30 Jahren vor Ort unter freiem Himmel. »Wir fordern deshalb von Urenco, aber auch von der Atomaufsicht in Düsseldorf und Berlin eine klare Auskunft darüber, ob eines der Gronauer oder Almeloer Uranfässer hier beteiligt ist.«

Kritik von russischen Umweltschützern

Wladimir Sliwjak, Co-Vorsitzender der russischen Umweltorganisation Ecodefense und Träger des Alternativen Nobelpreises, bezeichnet die Explosion sowie die Freisetzung von hochtoxischem und radioaktivem Material in Nowouralsk als »Konsequenz einer extrem niedrigen Sicherheitskultur in der russischen Atomindustrie«.

Russische Umweltschützer hätten immer wieder vor Unfällen in den russischen Urananreicherungsanlagen sowie vor der Einfuhr von Uranmüll aus Gronau und Almelo gewarnt, »aber die russische Regierung hat nicht zugehört«. Weil die russische und die europäische Atomindustrie vor allem an ihren Profit und ihre geostrategischen Interessen dächten, seien weitere derartige Unfälle zu befürchten.

Der Vorfall bestätigt den Atomkraftgegnern zufolge zugleich die Gefährlichkeit der Urananreicherung und der damit verbundenen Urantransporte. 2010 führte ein Unfall mit UF6 in Gronau zur Verstrahlung eines Arbeiters. Initiativen und Verbände fordern deshalb schon lange einen Transportstopp für UF6. Auch gegen den Export nach Russland fanden im Münsterland, in den Niederlanden und auch in Russland immer wieder Proteste statt.

In Nowouralsk gab es 2019 ebenfalls eine Protestaktion. Für den 6. August, den Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, haben Atomkraftgegner zu einer weiteren Mahnwache an der Gronauer Urananreicherungsanlage aufgerufen.

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