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»Ich möchte in den gesellschaftlichen Raum reinwirken«

Die Ironie steckt im Namen: »Einzeltäter« heißt die Dokumentarfilm-Trilogie von Julian Vogel, in der er sich mit den rechtsextremen Anschlägen von München 2016, Halle 2019 und Hanau 2020 beschäftigt. Ein Gespräch mit dem Regisseur

  • Isabella Caldart
  • Lesedauer: 6 Min.
Çetin Gültekin verlor bei dem Anschlag in Hanau seinen Bruder Gökhan.
Çetin Gültekin verlor bei dem Anschlag in Hanau seinen Bruder Gökhan.

Fangen wir direkt beim Titel an: Die Trilogie heißt »Einzeltäter« – aber es ist eben eine Trilogie. Wie kamen Sie dazu?

Ich habe mich als Fernsehjournalist mit Toten durch rechte Gewalt, die vom Staat nicht als solche anerkannt werden, auseinandergesetzt und einen Beitrag zum Attentat von München gedreht – zu dem Zeitpunkt, Ende 2018 war das, wurde dieses noch nicht als ein politisch motiviertes Verbrechen eingestuft. Ich saß bei der Familie Segashi [die 14-jährige Tochter Armela wurde am 22. Juli 2016 ermordet, Anm. d. Red.] im Wohnzimmer, und das war die traurigste Situation, die ich jemals erlebt habe. Sie hatten ihr Kind verloren, und ihnen wurde nicht einmal gesagt, dass das eine rassistische Tat war. Da habe ich entschieden, dass ich einen richtigen Dokumentarfilm daraus machen will. Und dann passierte im Oktober 2019 der Anschlag von Halle.

Den Sie entsprechend auch aufgenommen haben

Überall in den Medien wurde über »Einzeltäter« berichtet. Der Täter von München hatte ein ganz ähnliches Profil wie der von Halle. Und er hat den Anschlag am Jahrestag der Tat von Anders Breivik begangen, einer von vielen Gründen, warum man das direkt als rechtsextrem hätte bezeichnen können. Noch während meiner Recherche wurde der Anschlag von Hanau verübt, in der Nähe von meiner Heimatstadt. Ich bin hingefahren und habe gemerkt: Okay, womit ich mich hier befasse, hängt zusammen. Ich war viel in den drei Städten unterwegs und habe mit Leuten gesprochen. Schließlich habe ich ein Konzept geschrieben, in dem die drei Taten vorkamen und das »Einzeltäter« als Arbeitstitel genannt.

Wussten Sie von Anfang an, dass drei Filme daraus werden würden?

Geplant war erst mal nur ein Dokumentarfilm. Man bekommt ein Budget vom ZDF, in meinem Fall ergab das 16 Drehtage. Klar, in 16 Tagen kann man das mit Menschen, die schwer traumatisiert sind, nicht machen. Ich wusste, dass ich mir Zeit nehmen muss, auch ohne ein konkretes Ziel am Ende zu haben und entsprechend nicht planen zu können. Man muss offen sein, Angebote machen und gucken, was passiert. Deswegen habe ich mir eine Kamera und Equipment gekauft, die 16 Tage mit einer Kamerafrau gedreht und dann viel alleine. Am Ende waren das gut 50 Drehtage. Insgesamt hatten wir 100 Stunden Material und haben daraus drei Rohschnitte gebaut, um erst mal klarzukommen. Und dann gemerkt: Das sind drei Filme – wie sollen wir das auf einen von 90 Minuten runterbrechen und pro Tat nur 30 Minuten haben? Das geht nicht. Also wurden drei daraus.

Was interessiert Sie überhaupt so sehr an diesem Thema?

Ich habe schon einmal einen Film über einen Toten gemacht [»Bilder vom Flo« (2016), Anm. d. Red.], bei dem das Schöne war, dass wir uns sehr viel Zeit genommen und versucht haben, diesen Menschen, sowohl dem Toten als auch seinen Angehörigen, irgendwie gerecht zu werden. Ich hatte dadurch das Gefühl, die Wichtigkeit des einzelnen Menschen spielt eine große Rolle. Das war der Hintergedanke. Letztendlich ging es mir um die Trauerarbeit der Leute, die mich sehr berührt hat. Ich hatte das Gefühl: Hier soll ich zuhören. Das war ein wichtiger Antrieb. Und gleichzeitig auch dieses Bedrohungsgefühl für unsere Gesellschaft wegen des Aufbegehres der Rechten, ihrer Morde und dieser Gewalt, die auf so vielen Ebenen stattfindet.

Wie sind Sie den Angehörigen begegnet?

Ich bin viel rumgefahren, immer wieder nach Halle, Hanau, München. Gerade in Hanau war ich sehr lange einfach nur da, habe Zeit mit den Leuten verbracht und Gespräche mit ihnen geführt. Erst ein halbes Jahr nach der Tat habe ich wirklich mit dem Drehen begonnen. Ich wollte übrigens gar nicht alle Familien porträtieren. Denn immer, wenn du was reintust, wird auch etwas anderes weniger. Ich wollte, dass die Nähe groß wird, in Halle zum Beispiel die Beziehung von Karsten und Kevin [Vater des Ermordeten und sein Sohn, Anm. d. Red.] groß wird. Er war ein sehr empathischer, engagierter Vater, der einem nahegeht.

Sie erzählen von drei unterschiedlichen Attentaten. Wie haben Sie narrativ einen roten Faden in die Filme bekommen?

Ich bin in allen Filmen immer davon ausgegangen, wie die Menschen ihre Trauerarbeit machen. Mir wurde irgendwann klar, dass das kein Film über die Toten wird, keine Porträts. Das wäre auch nicht zu schaffen. Es ist viel mehr ein Porträt der Menschen, die trauern und was ihnen in ihrer Trauerarbeit wichtig ist. Für viele meiner Protagonist*innen war auch die politische Seite der Tat ein relevanter Bestandteil, in München etwa die Anerkennung, dass das ein rechtsextremer und kein »verwirrter« Attentäter war.

Ist Ihr Fokus auf die Trauerarbeit der Grund, warum in der Halle-Doku die jüdische Community nicht zu Wort kommt?

Das hat mehrere Gründe. Die meisten Jüd*innen, die in Halle leben, sind in der Sowjetunion groß geworden und mussten dort verbergen, wer sie sind. In Deutschland haben sie das ebenfalls eher verborgen – und dann versucht einer, sie umzubringen. Viele von ihnen sind nicht einmal als Nebenkläger*innen aufgetreten, und wenn doch, haben sie nicht lauter Interviews gegeben. Dazu kam der Faktor, dass es mir um unmittelbare Trauerarbeit ging. Im Schnitt habe ich aber gemerkt, dass das nicht reicht, und aus dem Prozess ein Plädoyer von Anastassia Pletoukhina eingefügt. Es ist auch ihre Stimme, die das aus dem Off liest, weil der Bericht in der Ich-Perspektive verfasst wurde.

Wie haben Sie es geschafft, emotional Abstand zu wahren?

Man muss gar nicht primär auf Abstand gehen, sondern erst mal Nähe aufbauen. Und gleichzeitig nicht vergessen, dass ich nicht derjenige bin, dem das passiert ist und der so emotional sein sollte, wenn wir uns treffen und reden. Aber es ist natürlich sehr belastend. Ich habe, das ist mir vorher noch nie passiert, beim Bedienen der Kamera ein-, zweimal geweint.

Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, dass Sie diese Geschichten als Weißdeutscher erzählen?

Ja, klar, viel und oft. Für mich hat eine Rolle gespielt, dass meine Kinder Migrationsgeschichte haben. Und viele von den Protagonist*innen wollten nicht, dass nur sie sich damit beschäftigen – es ist ja nicht nur ihr Problem. Die Filme drehen sich entsprechend auch um die Frage: Wen gehen diese Taten alles etwas an?

Gibt es ein konkretes Ziel, das Sie mit der Doku erreichen wollen?

Ich möchte, dass man die Menschlichkeit meiner Protagonist*innen nicht ignorieren kann. Ich glaube nicht, dass das Rechtsterroristen von ihren Taten abhalten würde. Aber der gesellschaftliche Raum, in dem sich solche Täter bewegen und von dem sie meinen, sie würden einen »Volkswillen« vollstrecken, ist auch eine wichtige Komponente. In den möchte ich mit meinen Filmen reinwirken, ich glaube, dass man Leute damit erreichen kann. Und das andere Wichtige ist, dass die Menschen im Film erzählen können und gehört werden. Wenn ihnen das auf irgendeiner Ebene guttut, ist das viel. Das reicht mir schon fast.

Alle drei Teile von »Einzeltäter« sind ab 21. Juli in der ZDF-Mediathek abrufbar. »Einzeltäter – München« läuft am 24. Juli um 00.00 Uhr im ZDF.

Interview
Julian Vogel // Regisseur von „Einzeltäter Teil 3 - Hanau“Screen...

Julian Vogel wurde 1985 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg und ist Regisseur mehrerer Dokumentarfilme. »Einzeltäter – Hanau« wurde mit dem Preis des Lichter Filmfests 2023 ausgezeichnet.

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