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»Das wussten grundsätzlich alle«: Ex-Studierende über HU-Dozenten

Reaktionen auf Belästigungsvorwürfe gegen HU-Dozenten zeugen von offenem Geheimnis, die Humboldt-Universität bestätigt den Eingang von Beschwerden

Seit den öffentlichen Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen einen HU-Dozenten mehren sich entsprechende Berichte in den sozialen Medien. »Seit über zehn Jahren nicht mehr an der HU und ich wusste sofort, um wen es geht«, schreibt Twitter-Nutzerin Mirjam Galley, die laut ihrem Profil als Historikerin beim Transcript-Verlag arbeitet. Das scheint nicht nur auf sie zuzutreffen: »Ich auch und mir fielen auch gleich etliche unangebrachte Sprüche aus Veranstaltungen des besagten Dozenten ein«, kommentiert eine andere Nutzerin. »Same. Wusste nicht um das Ausmaß, aber erinnere mich an sexistische Sprüche in der Vorlesung«, schreibt eine weitere.

Was auffällt: Die Erfahrungen reichen Jahre zurück. Die Historikerin Claudia Roesch kam in den frühen 2000ern an das Geschichtsinstitut. »Ich war damals in der Fachschaft und studentische Hilfskraft und wurde schon von Beginn meines Studiums an vor ihm gewarnt«, teilt sie »nd« mit. »Deshalb habe ich nie eine Lehrveranstaltung bei ihm besucht.« Dennoch erinnert sie sich an eine unangenehme Situation: »Er hat mich dann 2008 oder 2009 auf dem Sommerfest des Instituts auf unangemessene Weise angesprochen. Es war eine ungewollte Anmache, aber nicht in einer Prüfungs- oder Sprechstundensituation, wie bei Kommilitoninnen.«

Teresa Tammer, ebenfalls Historikerin, schreibt, dass eine ehemalige Kommilitonin 2012/13 Opfer sexueller Belästigung wurde. »Sie hat sich bei der Uni beschwert. Keine Konsequenzen folgten. Ich verstehe gerade erst, dass sie wahrscheinlich deshalb das Studium abgebrochen hat.« Gegenüber »nd« bestätigt Tammer ihren Tweet, möchte aber nicht mehr dazu sagen.

Twitter-Nutzer*innen geben Beispiele für das übergriffige Verhalten des Dozenten. Er habe etwa in Vorlesungen Sprüche geäußert wie: »Legen Sie den Arbeiten gern was bei, zum Beispiel ein schönes Foto, aber nur wenn Sie aussehen, wie Frau XY hier vorne zu meiner Linken«, schreibt der Historiker Nikolai Okunew. »Dass er häufig ›scherzhaft‹ Fotos forderte, wussten grundsätzlich alle«, teilt er »nd« mit. Laut einer Nutzerin mit dem Pseudonym »Noujoum« habe der Dozent 2005 ihr und einer Kommilitonin gesagt, »dass wir ja mit ihm baden und Champagner trinken können, wenn wir unser Latinum geschafft haben«. Sie beide seien damals 19 Jahre alt gewesen.

Der Humboldt-Universität sind die Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen den Geschichtsdozenten bekannt. Anonyme Studierende sowie der Referent*innenrat der HU hatten den Dozenten der wiederholten sexuellen Belästigung bezichtigt. In einer Stellungnahme, die »nd« vorliegt, schreibt die Pressesprecherin Kristina Vaillant: »In der Vergangenheit und jüngst wieder sind Vorwürfe gegen einen wissenschaftlichen Mitarbeiter der Geschichtswissenschaft bekannt geworden, die uns alarmieren.«

Vergangene Woche hatte das Kollektiv »Keine Uni für Täter« in einem offenen Brief das Verhalten des Dozenten angeprangert und der Universität, der Fachschaft und dem Referent*innenrat jahrelanges Schweigen vorgeworfen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter fiele demnach seit Jahren durch misogyne, rassistische und transfeindliche Sprüche auf und mache anzügliche Bemerkungen gegenüber Studentinnen. »Er war schon physisch übergriffig, hat also Studentinnen nicht-konsensuell an verschiedenen Körperstellen berührt«, sagte ein Mitglied der Gruppe zu »nd«. Obwohl das Verhalten des Dozenten kein Geheimnis sei, zögen die Verantwortlichen keine Konsequenzen.

Nachdem am Montag der Referent*innenrat mit einer Stellungnahme reagiert und die Vorwürfe gegen den Dozenten untermauert hatte, bestätigte am Dienstag die Pressestelle der Universität, dass Mitarbeitende und Studierende konkrete Vorwürfe bei den zuständigen Stellen angezeigt hätten. Übergriffe wegen körperlich sexualisierter Gewalt oder polizeiliche Ermittlungen seien der Universitätsleitung jedoch nicht bekannt.

Den Vorwurf, sexuellen Machtmissbrauch zu tolerieren, wies die Universität von sich. Es seien »alle Möglichkeiten zur umfassenden Aufklärung der Sachverhalte und zum Schutz der Betroffenen ergriffen worden«, wie etwa die Mitte Mai kommunizierte Auflage, »dass der betreffende Mitarbeiter Gespräche mit Studierenden und studentischen Beschäftigten nur noch online und in Gegenwart der Frauenbeauftragten der Fakultät führen darf«. Weitere Maßnahmen nannte die Pressestelle auf Nachfrage nicht.

Der Referent*innenrat bezeichnete diese Auflage als »absurd«. Zudem sei die Regel nicht konsequent umgesetzt worden, sagte Benjamin Kley, Mitglied der Studierendenvertretung, zu »nd«. Das berichtete auch ein Mitglied von »Keine Uni für Täter«: Auch nach Einführung der Sechs-Augen-Sprechstunde hätten Studierende, die von der Auflage nichts mitbekommen hatten, Gespräche mit dem Dozenten unter vier Augen geführt. Die Gruppe kritisierte zudem die Kommunikation der Universität: Ohne Erklärung, warum der Dozent nur in Begleitung der Frauenbeauftragten zu sprechen sei, habe die Regel lediglich für Verunsicherung gesorgt.

Die Humboldt-Universität betont dennoch, sie wolle »einen geschützten Raum bieten, in dem diskriminierungsfreies Lernen und Arbeiten stattfindet«. Um erneute Übergriffe zu verhindern, würde sie die nun vorgetragenen Vorwürfe intensiv prüfen und etwaige rechtliche Schritte einleiten.

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