Wasserstoffstrategie öffnet Tür und Tor für Erdgas

Die überarbeitete Wasserstoffstrategie der Ampel verspricht eine fragwürdige Farbenvielfalt

  • David Zauner
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein umstrittenes Thema stand am Mittwoch in der Kabinettssitzung auf dem Tagesplan der Ampel-Koalition: die »Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie«, die von den Ministerien für Wirtschaft, Umwelt, Entwicklung, Verkehr und Forschung gemeinsam erstellt wurde. Dabei geht es darum, Tempo bei Erzeugung, Import und Nutzung von Wasserstoff als klimafreundlichem Energieträger zu machen. Doch während mit der vor drei Jahren beschlossenen Strategie nur grüner, also mit erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff gefördert werden sollte, sieht das jetzt ganz anders aus. Zumindest vorübergehend soll eine ganze Farbpalette an weiteren Arten gefördert werden – darunter blauer, türkiser und oranger Wasserstoff, bei denen fossile Energien zum Einsatz kommen.

Das trägt die Handschrift der FDP. Die kleinste Regierungspartei hatte immer wieder für die Ausweitung der Förderungen für den Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft geworben. In der aktualisierten Strategie wird das Ziel, bis zum Jahr 2030 Erzeugungsmöglichkeiten mit grünem Strom in Deutschland von fünf Gigawatt zu schaffen, mindestens verdoppelt. Bereits bis 2027/2028 soll zudem ein Leitungsnetz mit mehr als 1800 Kilometern aufgebaut werden. Nur mit dem Ruf nach direkter Förderung von rotem Wasserstoff, der mit Atomstrom hergestellt wird, konnten sich die Liberalen nicht durchsetzen. Allerdings weist die Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt auf die Möglichkeit des Imports etwa über eine Pipeline aus Frankreich hin.

Blauer Wasserstoff entsteht aus fossilen Brennstoffen. Unter hohem Druck und hohen Temperaturen wird meist Erdgas in Wasserstoff und Kohlendioxid umgewandelt. Diese sogenannte Dampfreformierung hat einen Wirkungsgrad von etwa 60 bis 70 Prozent – etwa zehn Prozentpunkte weniger als bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff mittels Elektrolyse. Das entstandene CO2 soll nicht in die Atmosphäre gepustet, sondern mittels der CCS-Technologie abgeschieden und gespeichert werden. Und das perspektivisch in großen Mengen, schließlich entstehen für jede Tonne Wasserstoff zehn Tonnen CO2.

Auch türkiser Wasserstoff ist in der Theorie klimaneutral. Hier wird mittels Pyrolyse Methan – der Hauptbestandteil von Erdgas – unter hohen Temperaturen in seine Bestandteile Wasserstoff und Kohlenstoff gespalten, letzterer nicht als Treibhausgas, sondern in fester Form. Vergleichsweise unwichtig dürfte auch in Zukunft der orange Wasserstoff bleiben, der unter Verwendung von Strom aus Biogas- oder Müllverbrennungsanlagen hergestellt wird.

»In der Praxis ist weder blauer noch türkiser Wasserstoff klimaneutral, sondern lediglich CO2-arm«, erklärt Frank Merten, Energiesystemforscher am Wuppertal-Institut, im Gespräch mit »nd«. Sowohl bei Förderung und Transport von Erdgas als auch bei der Abscheidung und Speicherung von CO2 gelange ein Teil der Treibhausgase in die Atmosphäre. Und eine sichere Lagerung müsse »über Tausende Jahre gewährleistet werden«, betont Merten. »Damit sind grundsätzlich Restrisiken und insbesondere sogenannte Ewigkeitskosten verbunden, die kommende Generationen zu tragen haben.«

Das größte Manko bei blauem und türkisem Wasserstoff ist der Ausgangsstoff: Erdgas. Bei Förderung und Transport entweicht Methan in die Atmosphäre. Dieses Treibhausgas ist laut Weltklimarat IPCC über einen 20-Jahres-Zeitraum 84-mal so klimaschädlich wie CO2. Ist der Methan-Verlust bei norwegischem Gas laut Merten relativ gering, sieht das bei Erdgas aus den USA oder Saudi-Arabien ganz anders aus. Und da der allergrößte Teil des Wasserstoffbedarfs durch Importe zum Beispiel aus Namibia gedeckt werden soll, wird Norwegen hier keine allzu große Rolle spielen. Zumal das Gas aus Nordeuropa bisher auch schon für Gaskraftwerke und Industrieprozesse gebraucht wird.

Wie viel Erdgas am Ende entweicht, hängt von der Art der Förderung und dem Transportweg ab und ist wegen schlechter Datenlage kaum exakt zu beziffern. Einige Studien schätzen sogar, dass Erdgas aufgrund dieser Vorkettenemissionen stärker zum Treibhauseffekt beiträgt als Kohle oder Öl, vor allem wenn es sich um Flüssigerdgas handelt.

Ein Experte des Nationalen Wasserstoffrates – das unabhängige Beratergremium der Regierung mit 26 Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft – erklärte indes, er gehe nicht davon aus, dass türkiser Wasserstoff jemals eingesetzt werde. Bisher gebe es kaum nennenswerte Produktionskapazitäten, und bis diese aufgebaut seien, werde grüner Wasserstoff mit Sicherheit günstiger sein. Ganz anders bei blauem Wasserstoff. Grauer Wasserstoff aus Erdgas-Dampfreformierung wird gegenwärtig in den mit Abstand größten Mengen hergestellt. Es fehle »nur« CCS.

Indes sprach sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen bereits 2021 in einer Stellungnahme gegen blauen Wasserstoff als Übergangstechnologie aus. Die dafür nötigen Investitionen in Infrastruktur würden die Transformation zu erneuerbaren Energien ausbremsen. Die Gefahren einer Konkurrenz um begrenzte Geldmittel sowie weiterer fossiler Lock-ins sieht auch Forscher Merten. Will heißen: »Die Betreiber von fossiler Wasserstoffinfrastruktur werden diese nicht in wenigen Jahren wieder abschalten wollen.«

Die unterschiedlichen Arten von Wasserstoff sind auch deshalb im Gespräch, da der Energieträger nicht mehr nur für Industrieprozesse, Luft- und Schiffsverkehr sowie Reservekraftwerke vorgesehen ist, sondern auch zum Heizen und im Verkehr. Im Straßenverkehr sollen allerdings nur »schwere Nutzfahrzeuge« mit dem Kraftstoff betrieben werden, und auch bei Gebäudeheizungen soll er eine Ausnahme darstellen. Im Schwerverkehr und vor allem für Heizungen gibt es mit Elektromotoren und Wärmepumpen wesentlich effizientere und nachhaltigere Alternativen.

Deutliche Worte findet zu der geplanten Ausweitung auch die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: »Der grüne Wasserstoff wird für die Industrie benötigt und sollte nicht in SUVs oder Gasheizungen verschwendet werden. Wer heizt schon mit Champagner, wenn es auch mit Brause geht?«

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