Das große Geschäft mit dem Wasserstoff

Für die deutsche Wirtschaft hat ein neues Energiezeitalter längst begonnen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der erste Börsengang in Deutschland nach langer Pause gelang kürzlich Thyssen-Krupp – der Stahlkonzern verkaufte Anteile seines Dortmunder Tochterunternehmens Nucera. Dieses weckt bei vielen Investoren nämlich reichlich Phantasien. Nucera stehe »für den Beginn einer neuen Ära«, gibt sich der Anlagenbauer selbstbewusst, einer Ära der sauberen Energieversorgung mit grünem Wasserstoff im industriellem Maßstab.

Nucera baut schon seit 50 Jahren Elektrolyseure. Diese Maschinen erzeugen mit Hilfe elektrischen Stroms eine chemische Reaktion. Diese Elektrolyse spaltet Wasser unter hohem Energieeinsatz in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff auf. Bislang lieferte die Thyssen-Krupp-Gesellschaft ihre Elektrolyseure lediglich an die chemische Industrie, die aus dem gewonnenen Wasserstoff Ammoniak produzierte, also die Grundlage vieler Düngemittel. Deutschlands Energiewende könnte nun aber für eine ausufernde Zukunft sorgen.

Insbesondere dort, wo Strom aus physikalischen und technischen Gründen nicht direkt zum Einsatz kommen kann, soll zukünftig Wasserstoff Ersatz bieten. »Jahrzehntelang stand die Förderung von Solar und Wind im Fokus – jetzt rückt auch grüner Wasserstoff in der Gunst der Regierenden auf«, schreibt die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in einer Marktanalyse. Die Politik habe die Förderung von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft entdeckt. Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral wird – ohne dabei seine industrielle Basis zu verlieren –, stellten Bund und Länder immer mehr öffentliche Gelder zur Verfügung. »Allerorten sprießen geförderte Projekte aus dem Boden.«

So gebe es schon etliche Beispiele von Unternehmen, welche die bisherige Förderung genutzt haben. Die Firma A-Tron Blockheizkraftwerk lotet gemeinsam mit Partnern aus, ob sich solche Anlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung allein mit Wasserstoff betreiben lassen. Aspens, ein Hersteller von Sonderkraftstoffen, und die Stadtentwässerung Hannover verfolgen das Ziel, ein Großklärwerk durch die Integration einer Wasserstoffproduktionsanlage effizienter zu gestalten. Und gleich mehrere Unternehmen, namentlich CEC Haren, Fendt und Röchling, erproben zusammen mit Hochschulen die Umsetzung einer dezentralen Wasserstoffwirtschaft für Traktoren im Agrarbereich.

Kein Neuland ist Wasserstoff für Linde, Weltmarktführer im Bereich der Industriegase. Das Unternehmen aus dem bayerischen Unterschleißheim verfügt nach eigenen Angaben über das größte Pipeline-Verteilungssystem für gasförmigen Wasserstoff und über die größte Wasserstoffverflüssigungskapazität weltweit. Das Unternehmen betreibt die erste Kaverne zur Speicherung von hochreinem Wasserstoff sowie ein Pipelinenetz von insgesamt rund 1000 Kilometern Länge. Zu den jüngst angekündigten neuen Projekten gehören eine Wasserstoff-Elektrolyse in Norwegen, die Schiffstreibstoff liefern soll, sowie Lieferverträge mit BASF im Elsass und RWE in Lingen.

Bislang wird Wasserstoff auch in der Rohöl-Raffinierung und der Produktion von Methanol für Farben und Plastik verwendet. Zurzeit werden bundesweit insgesamt 55 Terawattstunden oder 1,65 Millionen Tonnen Wasserstoff eingesetzt. Laut einer Studie der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm von der Uni Nürnberg hat allein die hiesige Industrie einen Bedarf von mindestens 200 Terawattstunden pro Jahr, »wenn wir die Produktion in Deutschland halten wollen«.

Mögliche zusätzliche Anwendungsbereiche sind CO2-intensive Produktionsprozesse wie die Herstellung von Stahl, das Transportwesen und das Speichern überschüssiger Energien. Noch ist grüner Wasserstoff mit 3 bis 5 US-Dollar pro Kilo jedoch weit teurer als grauer mit 1,5 Dollar, haben Commerzbank-Analysten ermittelt. Weltweit wird daher auch erst rund ein Prozent des erzeugten Wasserstoffs mit erneuerbaren Energien hergestellt, in Deutschland sind es zehn Prozent. Auch wenn Energiekonzerne wie RWE und Dutzende Stadtwerke ihre laufende Wasserstoff-Erzeugung rasant »grün« ausbauen, werden riesige Mengen vor allem aus Übersee kommen müssen. Die maritime Wirtschaft sieht sich daher in einer Schlüsselrolle.

Häfen kommt eine besondere Rolle als Energie-Hubs zu. So werden im Hamburger Hafen und in Europas größtem Binnenhafen in Duisburg bereits Wasserstoffzentren gebaut. Damit von den Häfen aus Gas ins ganze Land fließen und die wichtigsten Abnehmer in der Industrie erreichen kann, muss aber erst mithilfe staatlicher Förderung ein Netz gesponnen werden. Auch hiervon versprechen sich private Unternehmen wie Eon blendende Geschäfte.

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