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Ein UFO in Moskau und keiner merkt es

Zwischen Satire und Horror: Dmitry Glukhovsky erzählt neue »Geschichten aus der Heimat«, in der er per Haftbefehl gesucht wird

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Der international bekannte Bestsellerautor Dmitry Glukhovsky, dessen Bücher verfilmt und als Videospiele adaptiert wurden, wird vom russischen Staat per Haftbefehl gesucht – wegen Anti-Kriegs-Botschaften in den sozialen Medien. Glukhovsky ist, wie viele andere russische Künstler*innen und Intellektuelle, zum Staatsfeind geworden. Doch während er sich immer wieder kritisch über das Putin-Regime äußert, war in seinen Romanen, etwa den Bänden der postapokalyptischen »Metro«-Trilogie, diese Kritik bisher höchstens zwischen den Zeilen zu finden. Anders sieht das in einer Reihe von Erzählungen aus, die Glukhovsky in den letzten Jahren in Russland veröffentlichte und die nun im Band »Geschichten aus der Heimat« erstmals in deutscher Übersetzung erschienen sind. Ergänzt werden die Texte durch ein Vorwort des Autors, in dem er Bezug nimmt auf das heutige Russland und den Überfall auf die Ukraine. Den Krieg nennt er darin »eine so ungeheuerliche Barbarei, eine so sinnlose Grausamkeit«, wie er sie sich nicht habe vorstellen können, obwohl er ja schon einige apokalyptische Szenarien entworfen habe.

Glukhovsky sieht seine Geschichten in der Tradition des politischen Witzes, wie er in der Sowjetunion verbreitet war. Diese Form der Opposition feiere heutzutage ein Comeback in den verzweifelten Versuchen, mittels Humors und Satire auf die Absurdität der politischen Realität zu reagieren, weil einem sonst oft nur fassungslose Sprachlosigkeit bliebe. Tatsächlich gelingt es Glukhovsky, die Absurdität des heutigen Russland zu fassen zu bekommen, auch wenn die Erzählungen bereits vor der aktuellen Eskalation geschrieben wurden.

Die einzelnen Geschichten behandeln verschiedene Aspekte des großen Mosaiks Russland. Neben wenig überraschenden Themen wie Korruption, Wahlmanipulation, Militarismus und Großmachtdenken kommen auch seltener behandelte Missstände wie die Ausbeutung von Arbeitsmigrant*innen aus Zentralasien und häusliche Gewalt zur Sprache. Einige der Erzählungen erreichen dabei eine bewegende Ernsthaftigkeit und sogar Tragik, während andere mit ihren bis zur Lächerlichkeit überzeichneten Charakteren und absurden Szenen mal eher platte, mal tiefgründigere Beispiele für den politischen Witz abgeben.

Zu den gelungeneren Beispielen gehört die Geschichte »Futter für thailändische Welse«, die von der modernen Variante Potemkinscher Dörfer erzählt, davon, dass abseits der Zentren nur dann investiert und etwas aufgebaut wird, wenn man es vorzeigen kann: »Wo der Präsident auftaucht, da brodelt das Leben. Wo der Schatten seines Fliegers hinfällt, da erblühen Blumen, da sprießt das Korn. Da sprudeln Gelder wie frisches Blut in die welken, von Ablagerungen verstopften Gefäße der lokalen Politik. (…) Dort, wo sich der Präsident lange nicht zeigt, da gibt es nur Tod und Verfall, nur Schutt und Asche.«

Glukhovsky beschreibt das Problem des Personenkults treffend – und lässt es außerdem in einer absurden Szene lebendig werden: Nach einem Besuch in Sotschi fliegt der Präsident nicht wie geplant weiter in eine andere Stadt, sondern landet unangekündigt noch einmal auf dem Flughafen der Stadt am Schwarzen Meer. Anders als am Tag zuvor ist das Gebäude verlassen, statt hell erleuchteter Terminals voller geschäftiger Reisender findet er nur ein paar Menschen, die um ein Lagerfeuer sitzen. Sie sind engagiert worden, um Passagiere und Bodenpersonal zu mimen. Jetzt trauen sie sich nicht, das Gebäude zu verlassen, weil ihnen niemand Bescheid gesagt hat, ob die Vorstellung beendet ist.

Von Illusionen und Verzerrungen der Realität handeln auch die Geschichten, die das russische Staatsfernsehen aufs Korn nehmen. Da ist zum Beispiel das kleine Mädchen, das ihren Opa fragt, was das für ein magisches Land im Fernseher sei, in dem es allen so gut gehe und alles so bunt sei. Mit Russland kann sie das Gezeigte jedenfalls nicht in Verbindung bringen. In einer anderen Erzählung lässt Glukhovsky eine Talkshow zur buchstäblichen Schlammschlacht werden, in der Politiker aufeinander einprügeln.

Dass die Berichte in den staatlichen Medien längst nichts mit dem tatsächlichen Weltgeschehen zu tun haben müssen, das beschreibt Glukhovsky auf höchst originelle und amüsante Weise in der Geschichte »Die wichtigste Nachricht« – und erinnert dabei die Leser*innen daran, dass er eigentlich Science-Fiction-Autor ist: Ein Kamerateam eines Nachrichtensenders wird zufällig Zeuge, wie ein UFO auf Moskaus Drittem Verkehrsring landet. Die Besucher aus einer benachbarten Galaxie können mithilfe einer künstlich erzeugten Raumkrümmung alle 10 000 Jahre die Erde erreichen, um Kontakt aufzunehmen. Sie haben eine wichtige Botschaft, die sie den Erdenbewohner*innen überbringen wollen. Das Kamerateam wittert seine Chance und will eine Liveschalte zu den Außerirdischen in den Abendnachrichten unterbringen. Doch das erweist sich als schwieriger als gedacht, denn auch die vielen Berichte über die Besuche von Regierungsvertretern in der Provinz müssen untergebracht werden.

Witzige Geschichten wie diese stehen neben solchen, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt, zum Beispiel in »Schwefel«. Die Erzählung spielt in Norilsk, einer Stadt, die durch die Produktion von Nickel derartig verseucht ist, dass die Lebenserwartung zehn Jahre unter dem russischen Durchschnitt liegt. Es ist aber nicht nur die Umweltverschmutzung, die den Bewohner*innen einen frühen Tod beschert. Glukhovsky lässt die Geister der Häftlinge, die Norilsk erbaut haben, nach den Lebenden rufen und sie dazu auffordern, sich gegenseitig umzubringen. Viel Überredungskunst brauchen sie nicht, da ohnehin »so viel Tod ringsum ist«. Glukhovsky gelingt es, auf nur wenigen Seiten etwas vom Horror der Vergangenheit und Gegenwart Russlands greifbar zu machen, in dem ein Menschenleben noch immer wenig Wert hat.

Nicht alle der Erzählungen sind so gelungen wie diese, manche sind ein wenig platt und klischeehaft oder reiben einem die politische Kritik etwas zu deutlich unter die Nase. Ein großer Stilist war Glukhovsky noch nie, seine Texte leben von ihrer spannenden Handlung und lebensnahen Figuren. Doch mit den »Geschichten aus der Heimat« zeigt er, dass er nicht nur Action und Spannung kann, sondern ein politischer Schriftsteller ist, der der Realität den Spiegel vorhält.

Dmitry Glukhovsky: Geschichten aus der Heimat. A. d. Russ. v. Christiane Pöhlmann, Franziska Zwerg und M. David Drevs. Heyne Verlag, 448 S., geb., 24 €.

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