DFB-Frauen wollen gegen Südkorea mit neuem Plan zu alten Zielen

Die deutschen Fußballerinnen müssen offensiver spielen

  • Frank Hellmann, Brisbane
  • Lesedauer: 5 Min.
Positives vom Abschlusstraining: Abwehrchefin Marina Hegering (r.) ist endlich bereit für ihren ersten Einsatz bei der WM.
Positives vom Abschlusstraining: Abwehrchefin Marina Hegering (r.) ist endlich bereit für ihren ersten Einsatz bei der WM.

Vielleicht musste es so kommen, dass nicht mal Brisbane bei der Erleuchtung der deutschen Fußballerinnen sofort mitspielt. Mag die lässige Millionenstadt an der australischen Ostküste stets mit ihren 300 Sonnentagen prahlen, hieß es am Mittwoch nicht »big, bold, beautiful«. Statt groß, keck und schön zu strahlen, verdunkelten dichte Regenwolken das Stadtzentrum, zu dem auch jenes Stadion gehört, in dem die DFB-Frauen an diesem Donnerstag ihr drittes Gruppenspiel der WM gegen Südkorea bestreiten. Aber: Sie bestimmen ja auch selbst ihre Aussichten für dieses Turnier, das bald in die entscheidende Phase geht. Siegen oder fliegen?

Mit einem Erfolg wäre der Achtelfinaleinzug klar, für den Gruppensieg bräuchte es allerdings noch Hilfe durch die Marokkanerinnen im Parallelspiel gegen Kolumbien. Im schlimmsten Falle könnte eine Niederlage das Aus bedeuten. Das Schreckensszenario hat indes nur die Reiseabteilung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Kopf, die längst alle Optionen abklopft. Der mal so logisch klingende Masterplan, sich als Erster der Gruppe H vor allem mit Spielen in Sydney den Traum vom dritten Stern in Down Under zu erfüllen, ist eigentlich schon in der Tonne gelandet.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat jedenfalls schon entspannter gewirkt als bei der Pressekonferenz vor dem dritten Match. Man habe die Dinge kritisch angesprochen, aber auch Vertrauen vermittelt: »Deshalb ist es nicht nötig, künstlich den Pausenclown zu spielen. Wir haben überwiegend gute Stimmung.« Sie hat viele Gespräche geführt, gerade auch mit ihrer Assistentin Britta Carlson, deren Einfluss in personellen Fragen nicht zu unterschätzen ist. Es braucht Veränderungen, um mehr Torchancen herauszuspielen. »Es ist klar, dass es Gedankenspiele gibt«, gab die Chefin zu.

Gut möglich, dass mit Lea Schüller eine zweite Zielspielerin in der Offensive in die Startelf rückt, um die Größenvorteile gegen die Asiatinnen auszuspielen. Alexandra Popp würde sich dann tiefer fallen lassen, was die Kapitänin vom VfL Wolfsburg zur Genüge kennt. Lina Magull, die auch beim FC Bayern in der Endphase der Saison überspielt wirkte, bekäme eine Verschnaufpause. Und dazu feiert Abwehrchefin Marina Hegering endlich ihr Debüt bei dieser Endrunde. Voss-Tecklenburg hielt allgemein fest: »Wir bleiben bei uns. Wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen, und wir gehen die nächsten Schritte zusammen.« Die 55-Jährigen hatte zwar immer vor den Gegnern gewarnt, aber im Gegensatz zu Gruppen mit Spanien und Japan, USA und Niederlande oder England und Dänemark hatte Deutschland keinen echten Hochkaräter in Auckland zugelost bekommen. Ergo sollte in der Vorrunde dreimal Selbstvertrauen getankt werden.

Überraschendes in Melbourne und Wellington

Mitfavorit Brasilien ist ausgeschieden. Das Team um Superstar Marta kam am Mittwoch in Melbourne nicht über ein 0:0 gegen die Fußballerinnen aus Jamaika hinaus. Damit ist Jamaika als Zweiter der Gruppe F ein möglicher Achtelfinalgegner der DFB-Frauen, die an diesem Donnerstag gegen die Südkoreanerinnen den Einzug in die K.-o-Runde perfekt machen wollen. Für die Jamaikanerinnen ist es bei einer Weltmeisterschaft der erste Einzug in die Runde der letzten 16. Im Parallelspiel setzten sich die Französinnen in Sydney nach einem holprigen Start sicher mit 6:3 (4:1) gegen Panama durch und sicherte vor den Gruppensieg.
Die erste Überraschung des WM-Tages gab es zuvor in Wellington. Südafrikas Fußballerinnen schossen gegen Italien ins Achtelfinale: Durch den 3:2 (1:1)-Sieg beendeten sie die Gruppe G mit vier Punkten auf Rang zwei und treffen am Sonntag im Achtelfinale auf die Niederlande. Nach der Niederlage verkündete Italiens Trainerin Milena Bertolini ihren Abschied. »Ich hoffe, dass ich im Frauenfußball in Italien ein Erbe hinterlasse«, sagte die 57-Jährige nach sechs Jahren im Amt. Gruppensieger wurden nach einem 2:0 gegen Argentinien die Schwedinnen, die am Sonntag im Achtelfinale auf Titelverteidiger USA treffen. Agenturen/nd

Die DFB-Frauen haben sich in der Gruppe H aber nun selbst früh in Bedrängnis gebracht. Torhüterin Merle Frohms räumte ein: Man merke, »dass viel Druck auf uns lastet«. Immerhin hat sie einige Vorderleute, die das in positive Energie ummünzen wollen. »Ich glaube, dass der Druck auch immer ein bisschen dazugehört, um seine Leistung abzurufen«, erklärte Mittelfeldchefin Lena Oberdorf und ergänzte: »Wenn man zu locker in ein Spiel geht, wird es auch nichts. K.o.-Spiele sind für uns nichts Neues. Nur fängt es ein Spiel früher damit an.«

Unter dieser pragmatischen Prämisse wurde schon der Ausrutscher gegen Kolumbien eingeordnet. Doch war diese 1:2-Niederlage wirklich nur das? Oder Vorbote einer seit der EM in England zu beobachtenden Stagnation? Frische Gesichter bei der WM in Australien? Eigentlich Fehlanzeige. Chantal Hagel ist als Linksverteidigerin nur ein Notnagel, der auf dieser Position nicht ausgebildet ist; Sjoeke Nüsken muss auch im Hinblick auf die Anforderungen beim FC Chelsea in zentraler Abwehrposition dringend lernen, den Körper besser einzusetzen.

Noch müssen Diskussionen über defizitäre Grundlagen nicht geführt werden – wenn Deutschland seiner klaren Favoritenrolle gegen die bislang punkt- und torlosen Südkoreanerinnen erfüllt. Deren Trainer Colin Bell – mit Voss-Tecklenburg hin und wieder im Whatsapp-Austausch – hat vor dem Aufeinandertreffen selbstbewusst mitgeteilt: »Lass dich überraschen, Martina!« Aber nur weil er in seinen Reihen mit der 16-jährigen Casey Phair ein in den USA ausgebildetes und viel beachtetes Talent aufbietet, muss ein zweifacher Weltmeister ja nicht gleich in Ehrfurcht erstarren. Auch die taktische Flexibilität des Gegners darf keine Rolle spielen.

Vielleicht nehmen sich die deutschen Spielerinnen einfach an den Bewohnern der Ausrichterstadt der Olympischen Sommerspiele 2032 ein Beispiel. In Brisbane gibt es nach erstem Augenschein eine Menge junger, cooler Menschen, die das Leben gerne genießen. Weil sie wissen, dass schon nach einem schlechten Tag wieder die Sonne scheint. Es gibt von Flensburg bis Passau viele (neue) Fans, die sich einen solchen Umschwung auch für die DFB-Frauen wünschen. Ein Millionenpublikum wird zuschauen, ob die Erleuchtung gelingt.

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