Umgang mit der AfD: Feierabendbier am Brandmäuerle

Die AfD-Ergebnisse verweisen auf ein Demokratiedefizit. In Thüringen genauso wie in Schwaben, meint Christoph Ruf

Es ist wirklich nicht zu glauben. Sonneberg, Raguhn und jetzt Backow. Hier stellt die AfD den Landrat, dort den Bürgermeister. Doch selbst diese beiden Schandmale der demokratischen Kultur kommen nicht an die Demokratieverachtung heran, die sich in Backow abspielt. Zwei Köpfe zählt die AfD-Gemeinderatsfraktion dort, zwei von 26. Und die anderen Fraktionen machen gemeinsame Sache mit den Verfassungsfeinden. Anfang November stellte, wie jüngst bekannt wurde, die AfD einen Antrag zur Finanzierung eines Theaters – und alle stimmten zu: Grüne, FDP, CDU, SPD und Sonstige. Bei einer einzigen Gegenstimme. Auch die fünf Abgeordneten der Grünen stimmten für den AfD-Antrag.

Die Kumpanei in Backow reicht weit über die Tagungen im Ratssaal hinaus. Gemeinsam entert Gemeinderat die Kneipen, wie der örtliche Grünen-Vorsitzende Willy Härtner zu Protokoll gab: »Wir sind alle per Du und gehen nach der Sitzung auch zusammen ein Bier trinken.« Mit den Gemeinderäten der AfD-Fraktion, wohlgemerkt. Klar ist: Solange man sich über die Brandmauer nach rechts hinweg zuprostet, ist der angebliche Antifaschismus der demokratischen Parteien nichts wert. Und wenn das schändliche Treiben des Backower Gemeinderats so lange unentdeckt bleiben kann, hat die AfD leichtes Spiel. Genau deshalb gilt es, sich ernsthafte Fragen über die politische Kultur in der westdeutschen Provinz zu stellen.

Sie haben richtig gelesen, »westdeutsche« Provinz, aber wahrscheinlich mussten Sie gar nicht so weit lesen, um zu merken, dass die Ereignisse nicht im fiktiven Backow stattfanden, sondern im schwäbischen Backnang bei Stuttgart. Sie haben das allein schon daran gemerkt, dass über die Ereignisse kaum berichtet wurde. Denn das wäre fraglos anders, läge Backnang in Sachsen-Anhalt oder Thüringen. Publik wurde es Monate später, weil die Grünen-Vorsitzende Riccarda Lang, in deren Wahlkreis Backnang liegt, ihren Parteifreunden dort erklärte, wie so ein Brandmäuerle zu funktionieren hat. Ansonsten wüssten wir wohl heute noch nicht, dass in der schwäbischen Provinz lustig zusammen Bier getrunken wird, während die Parteiführungen in Berlin sich im verbalen Brandmauer-Bau überbieten.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Das ist schon interessant. Schließlich konnte in Sonneberg nach der Landratswahl keine Einwohnerin mehr über die Straße gehen, ohne von Journalisten vor irgendein Mikrofon gezerrt zu werden. Und nun, in Backnang? Keine Kamerateams, die erst wieder nach Hause fahren, wenn sie einen echten Nazi gesehen haben, der Nazizeug in die Kamera quasselt und dann als repräsentativer Einwohner des Landstrichs herhalten muss. Keine psychologisierenden Porträts über den Landstrich, in dem man nicht wie im Osten zum Nazi wird, weil man in der Kita gemeinsam aufs Töpfchen sollte – was im Übrigen auch gar nicht ging, weil es in dem Landstrich erst seit kurzem Kitas gibt, die länger als bis mittags aufhaben.

Aber Herrgott noch mal, es wird doch wohl irgendeinen bis dato unbekannten Akademiker geben, dem man den Titel des Extremismusforschers umhängen kann und der profund darüber nachdenkt, ob es einen Zusammenhang zwischen schwäbischer Toilettenkultur (mutmaßlich geringer Klopapiereinsatz aus ökologischen wie finanziellen Gründen), unaufgearbeiteten fortdauernden Diktaturerfahrungen (Kehrwoche) und dem Weiterleben antidemokratischer Ideologien in der Alltagskultur gibt. Zwei Gemeinderäte in Backnang gehören der Christlichen Initiative (»Suchet der Stadt Bestes«) an, auch das wäre ein Ansatzpunkt.

Eine profunde Analyse könnte sich jedenfalls lohnen, denn am (von Berlin aus gesehen, und darum geht es ja schließlich) äußeren Rand der Republik braut sich etwas zusammen. Derzeit ist die AfD im Südwesten mit fast 20 Prozent die drittstärkste Partei hinter CDU und Grünen. Dafür kann es nur eine Erklärung geben: Baden-Württemberg liegt im Osten.

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